Das von 58 amerikanischen Gelehrten unterzeichnete Manifest Wofür wir kämpfen (s. Freitag vom 1. 3. 2002), in welchem "amerikanische Werte" gelobt und der "Krieg gegen den Terror" als gerecht bezeichnet wird, ist in Europa auf zum Teil scharfe Kritik gestoßen. Es gibt jedoch auch vereinzeltes Lob, so von Jörg Lau in der Zeit (Ausgabe vom 21. Februar). Man missverstehe die Lehre vom gerechten Krieg, so Lau, wenn man sie als bequeme und selbstgerechte Formel betrachte. Man brauche darüber hinaus "einigen bösen Willen, um die sorgsam abgewogenen Worte dieses Manifests ... als Kreuzzugspropaganda zu denunzieren." Nun stellt sich aber die Frage, ob die Autoren des Manifests nicht gerade durch ihre "sorgsam abgewogenen" Worte die Theorie des gerechten Krieges missbr
des gerechten Krieges missbrauchen. Der Versuch einer Antwort gibt zudem Gelegenheit, diese für die derzeitige Debatte so zentrale Theorie noch einmal zu skizzieren und den sogenannten Krieg gegen den Terror an ihr zu messen. Die Theorie des gerechten Krieges unterscheidet die Rechtmäßigkeit des Kriegseintritts (ius ad bellum) von der Rechtmäßigkeit der Kriegsführung (ius in bello). Diese Trennung ist allerdings bloß analytisch, da die Berechtigung zum Kriegseintritt auch davon abhängt, wie der Krieg voraussichtlich geführt wird. Zur Rechtmäßigkeit der Kriegsführung sind dabei vor allem zwei Bedingungen zu erfüllen, nämlich jene der Verhältnismäßigkeit der Mittel (man darf ein Land nicht "in die Steinzeit zurückbomben", wenn der Sieg auch weniger zerstörerisch zu haben ist) sowie jene der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten beziehungsweise legitimen und illegitimen menschlichen Zielobjekten. Für die Berechtigung zum Kriegseintritt wiederum werden gewöhnlich sechs Kriterien genannt. Der Eintritt in den Krieg wäre gerechtfertigt, wenn: man einen guten Grund für ihn hat (zum Beispiel: Verteidigung gegen einen Aggressor); man mit guten Absichten in den Krieg eintritt (also ohne den Plan, es nicht bei der Verteidigung oder eventuellen Bestrafung der Aggressoren zu belassen, sondern weitere Vorteile für sich herauszuholen, etwa Vorteile für die eigene Macht oder Aneignung von Territorien oder Ressourcen); der Krieg ein verhältnismäßiges Mittel ist, so dass er voraussichtlich nicht mehr Unheil schafft als abwendet; der Krieg ein erfolgversprechendes Mittel ist (diese beiden Punkte sind natürlich kaum voneinander zu trennen); Krieg das letzte Mittel darstellt (ultima ratio), also keine erfolgversprechenden Alternativen zur Verfügung stehen; und schließlich über den Kriegseintritt eine legitime Autorität entscheidet. Beginnen wir mit dem letzten Kriterium. Es ist keineswegs schon dadurch erfüllt, dass eine legitime, nach unseren Vorstellungen also eine demokratisch gewählte Regierung die Entscheidung trifft. Vielmehr muss eine solche Regierung, wie der bedeutende Theoretiker des gerechten Krieges Francisco de Vittoria schon im Mittelalter wusste, auch sorgfältig die Argumente der Kriegsgegner prüfen. In den USA hingegen wurden diese Argumente bereits zu Anfang in der öffentlichen Debatte unterdrückt. Lau jedoch meint - in der Tat "entgegen anders lautenden Nachrichten" -, das Manifest der 58 sei selbst "Dokument einer langen und ernsthaften Debatte", was er unter anderem an der Kritik der Unterzeichner an ihrem Land festmacht. Doch wer - wie die Unterzeichner - Angriffskriege, Terrorismus, Unterstützung von Diktaturen und Folter euphemistisch mit sorgsam abgewogenen Worten wie "zuweilen arrogant und ignorant verhalten" umschreibt, auf solche Euphemismen bei der Beschreibung der Taten der anderen aber verzichtet, ist durchaus nicht selbstkritisch, sondern doppelmoralisch. Zudem fragt sich, ob nicht ohnehin die UNO eine geeignetere Entscheidungsinstanz gewesen wäre. Die Unterzeichner meinen jedoch in einer Fußnote, es sei "zweifelhaft", ob eine internationale Körperschaft wie die UNO der beste Richter darüber sei, wann ein Griff zu den Waffen gerechtfertigt ist. Angesichts jedoch der eingestandenen gelegentlichen Arroganz und Ignoranz der USA, sind diese wohl ein noch zweifelhafterer Richter. Was die anderen fünf Bedingungen angeht, so liegt das Abwägen der Worte auch hier darin, dass die Unterzeichner sich die zum großen Teil sparen. Das Vorliegen der Bedingungen wird nicht geprüft, sondern vorausgesetzt. Bei der ersten Bedingung ist das durchaus nachvollziehbar (obgleich auch hier die Dinge noch etwas komplizierter liegen), bei den anderen nicht. Die Öl- und Machtinteressen der USA sind zu deutlich, als dass man sie bei der Bewertung des Afghanistan-Krieges ignorieren dürfte. Und für die Annahme, dass dieser Krieg oder Kriege gegen weitere angeblich Terroristen unterstützende Staaten im Sinne der Kriterien des gerechten Krieges verhältnismäßig, Erfolg versprechend und ohne Alternativen sind, besteht nicht der geringste Grund. So postulieren die Unterzeichner auch einfach, dass zum Schutze Unschuldiger gegen Terror Gewaltanwendung notwendig sei. Aber selbst wenn dies grundsätzlich zuträfe, so lautet die Frage doch, ob es für die Art von Gewalt gilt, die wir im sogenannten Krieg gegen den Terror tatsächlich angewendet sehen. Ist mit dem Schutz Unschuldiger der Schutz amerikanischer Zivilisten vor Terroranschlägen gemeint, so ist dies zweifelhaft, denn eine solch massive und undifferenzierte Gewalt, wie die US-Armee sie jetzt gebraucht, steigert nur anti-amerikanische Ressentiments und ist damit geeignet, weitere Attentate zu provozieren. Ist mit dem Schutz Unschuldiger der Schutz friedlicher Afghanen vor den Taleban gemeint, so ist darauf hinzuweisen, dass man Zivilisten kaum schützen kann, indem man sie bombardiert oder aushungert. Zigtausend friedlicher Afghanen, darunter vor allem Frauen und Kinder, sind durch das Bombardement oder bereits durch die Kriegsdrohung - ganz zu schweigen von einer, durch den Krieg bewirkten Schließung der Grenzen - umgekommen. Seriöse Schätzungen gehen von bis zu 400.000 Opfern aus. Von Verhältnismäßigkeit kann also keine Rede sein. Ein Grund dafür, dass die Kriegsführung in Afghanistan (man danke an den Gebrauch von Splitterbomben und Flächenbombardements) in den USA auf wenig Kritik stieß, liegt in der verbreiteten und auch von den Unterzeichnern geteilten Auffassung, dass die Inkaufnahme ziviler Opfer weniger verwerflich sei als der gezielte Angriff auf Zivilisten. Diese gesinnungsethische Auffassung ist für eine Verwendung von Massenvernichtungswaffen (und das ist nicht erst eine Atomwaffe, sondern bereits ein B-52-Bomber) sicherlich funktional, im Rahmen einer Verantwortungsethik aber völlig inakzeptabel. Ob man nun zur Erreichung seiner Ziele den Tod von Zivilisten als Mittel benutzt oder als Nebenfolge in Kauf nimmt, in beiden Fällen geht man in der Verfolgung seiner Ziele über Leichen Unschuldiger. Dies muss man verantworten, und verantwortbar ist es nur, wenn das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Ein zweiter Grund ist wohl darin zu suchen, dass "die Amerikaner" - wie Jürgen Todenhöfer in der Süddeutschen (vom 29./30. Dezember) konstatierte - "glauben, dass Leben der afghanischen Zivilbevölkerung sei weniger wert als das Leben amerikanischer Soldaten". Dazu passt auch, dass die Unterzeichner zwar mehrfach die Zahl der Opfer des Anschlags vom 11. September erwähnen, die Opfer des Afghanistan-Krieges aber nicht der Zählung für wert erachten. Worte sorgsam abzuwägen und die Kriterien des gerechten Krieges bloß zu erwähnen (die Unterzeichner verbannen die meisten von ihnen in eine Fußnote), reicht nicht, um die Bewertung eines Krieges verantwortlich vorzunehmen. Vielmehr muss man diese Kriterien ernst nehmen und von ihnen geleitet beobachtetes und zu erwartendes Heil und Unheil eines Krieges gegeneinander abwägen. Die Unterzeichner tun das nicht.
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