Vollmond, Wolken

LiBeraturpreis Erkundungsauftrag: Eine Anthologie versammelt 29 Autorinnen aus der ganzen Welt
Ausgabe 35/2018
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Foto: Blickwinkel/Imago

Es muss irgendwann Ende Mai gewesen sein, als ich zum ersten Mal diese sonderbaren blauen Flecken am Körper meiner Frau entdeckte.“ So beginnt Die Früchte meiner Frau, eine Geschichte der Südkoreanerin Han Kang, die 2016 den Man Booker International Prize für Die Vegetarierin erhielt.

Der Erzähler ist konsterniert, spielt das Phänomen aber herunter. Dass er seine Frau so gut wie nie unbekleidet sieht, dass er dauernd beruflich im Ausland ist und bei seiner Rückkehr erwartet, dass sie ihm genügsam lauscht: All das skizziert eine Ehe, in der sie nur Statistin ist, die langsam verblüht. Doch dann werden die Flecken größer, die Haut grau und kratzig. Eines Abends sitzt sie nackt auf dem Balkon, Äste und Blätter sprießen aus ihr. Das Letzte, was sie äußern kann, ist die Bitte um Wasser. Auf wenigen Seiten zeichnet Han eine Ehe in einer patriarchalischen Gesellschaft, in der Gewalt subtil ist. Die Frau wird nicht geschlagen, sondern kommunikativ degradiert. Ihr Leiden wird vom Ehemann nur als mögliches eigenes Problem wahrgenommen.

Die Erzählung ist eine von vielen in dem Panorama weiblicher Stimmen, das die Anthologie Vollmond hinter fahlgelben Wolken präsentiert. Es finden sich Kurzgeschichten, einige Gedichte und Romanauszüge darin. Herausgegeben haben sie Anita Djafari und Juergen Boos anlässlich des 30. Jubiläums des LiBeraturpreises, der jedes Jahr zur Frankfurter Buchmesse vergeben wird. Boos, Direktor der Messe, und Djafari, Geschäftsführerin von Litprom, der Gesellschaft zur Förderung von Literatur aus Asien, Afrika und Lateinamerika, werfen ein Schlaglicht auf die weibliche Literatur der Welt.

Der mit 3.000 Euro dotierte Preis soll Autorinnen aus Asien, Afrika, der arabischen Welt und Lateinamerika nicht nur unterstützen, sondern ihnen hierzulande auch größere Aufmerksamkeit verschaffen. Denn ihre Literatur hat es schwer in Deutschland. Das Interesse der Leserinnen und Leser ist gering, Verlage geben sich aufgrund des zu erwartenden geringen Kassenerfolgs zurückhaltend. Das ist umso bedauerlicher, wenn man sieht, welch starke Bücher zu entdecken sind.

Zum Beispiel Fariba Vafi (Iran) und Raja Alem (Saudi-Arabien), die den Preis 2017 beziehungsweise 2014 erhielten. In Tarlan erzählt Vafi von jungen Mädchen aus allen Teilen Irans, die in Teheran die Polizeischule besuchen, obwohl sie eigentlich nur ihre Jugend leben möchten. Alems Das Halsband der Tauben entfaltet ein vielschichtiges Mekka-Panorama, ambitioniert erzählt aus der Perspektive einer Gasse in der Altstadt, die längst nicht mehr existiert. Boos und Djafari bezeichnen den Preis als „kleine Schwester“ des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Man wünscht sich, er bekäme dieselbe Aufmerksamkeit.

Ich kann keine Kerze sein

Die Texte der Anthologie stammen nicht nur von Preisträgerinnen, sondern auch von Autorinnen, die nominiert waren, oder von wichtigen Wegbereiterinnen. Edwidge Danticat (Haiti, später USA, Preisträgerin 2000) erzählt von einer Familie, die an der schleichenden Demenz der Mutter langsam zerbricht. Auch Ana María Shua (Argentinien) lässt eine Mutter auftreten, aber aus einer gänzlich anderen Perspektive: Ein scheinbar normaler Vormittag gerät außer Kontrolle, als die drei kleinen Kinder das Haus auf den Kopf stellen. Was zuerst lustig anmutet, artet schnell in eine häusliche Apokalypse aus. Meena Kandasamy (Indien, später London) befasst sich in ihren Gedichten sehr direkt mit der Situation der Frauen in ihrem Heimatland: „Liebster, ich kann keine Kerze sein / Weil ich weiß, sie ist eine uralte Lüge. / Die Kerze ist für die Ernsthaften, / Und für die, die sich langsame und / Gesetzte Zärtlichkeit wünschen. Nicht für uns.“

29 Autorinnen aus aller Welt versammelt dieser Band. Seine Stärke ist nicht nur die stimmliche, thematische und stilistische Vielfalt, sondern auch, dass man mehr davon will. Von den meisten Autorinnen liegen inzwischen einzelne Werke auf Deutsch vor. Sie wollen entdeckt und gelesen werden.

Info

Vollmond hinter fahlgelben Wolken. Autorinnen aus vier Kontinenten Anita Djafari / Juergen Boos (Hg.) Unionsverlag 2018, 352 S., 14,95 €

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