Vollstrecker der Volksfürsorge

Kontrollmittel Der Journalist Günter Amendt plädiert für eine kontrollierte Drogenfreigabe

Was geschähe, wenn man die heute illegalen Drogen unter bestimmten Bedingungen legalisierte? Die Frage lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Aber es wird höchste Zeit, das Problem jenseits allzu schlichter Pro-und-Contra-Scharmützel zu erörtern. Genau das tut der Soziologe Günter Amendt in seinem jüngsten Buch über Drogen im Zeitalter der Globalisierung. Der ausgewiesene Drogenexperte Amendt zieht Bilanz aus seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Drogen und Drogenpolitik: "Drogen sind Genußmittel, wenn sie mäßig und kontrolliert genossen werden. Drogen sind medizinisch indizierte Hilfsmittel zur Bewältigung psychischer Probleme, Drogen sind Betäubungsmittel zur Linderung von körperlichem Schmerz, Drogen sind Suchtmittel, wenn der Konsum außer Kontrolle gerät; Drogen sind Zahlungsmittel im Netzwerk der organisierten Kriminalität, Drogen sind Druckmittel zur Durchsetzung autoritärer ›law and order‹-Strategien."

Wie immer man zu Drogen stehen mag, nur eines ist sicher: die seit Jahrzehnten weltweit verfolgte Drogenpolitik ist grandios gescheitert - insbesondere die fundamentalistische US-Variante des mit militärischen Mitteln geführten "war on drugs". Von dem erklärten Ziel einer drogenfreien Welt ist diese Welt weiter entfernt denn je. Es werden immer mehr Drogen konsumiert. Die Vereinten Nationen schätzten 1998 den jährlichen Umsatz durch illegalen Drogenhandel auf weltweit 400 Milliarden Dollar. Das entspricht in etwa acht Prozent des Welthandels. In einem offenen Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen - veröffentlicht in der New York Times im Juni 1998 - forderten 600 Experten, Politiker, Intellektuelle und Wissenschaftler endlich einen neuen Kurs in der Drogenpolitik: "Diese [Drogen]Industrie schafft mächtige kriminelle Organisationen, korrumpiert Regierungen auf allen Ebenen, weicht die internationale Sicherheit auf, stimuliert Gewalt und zerstört sowohl internationale Märkte als auch moralische Werte. Das sind nicht etwa die Konsequenzen des Drogenkonsums per se, sondern einer jahrzehntelangen verfehlten und fruchtlosen Politik des "war on drugs‹."

Bereits mit dem Titel seines Buches No drugs - no future gibt Günter Amendt seine Zentralthese vor, nämlich dass die Beschleunigung unseres Alltags und der Hochleistungsstress des neoliberalen Subjekts den Gebrauch von Drogen aller Art schier unabwendbar mit sich bringen. Und er belegt dann sehr eindringlich, in welchem Ausmaß das Doping der Seele, das Tuning der Leistung, das Designen der Stimmung mit Präparaten aller Art - ob legal oder illegal - längst zum selbstverständlichen Lebensmittel des neoliberalen Bürgers geworden ist. Wenn 28 Millionen Amerikaner das Anti-Depressivum Prozac und ähnliche Mittel schlucken, heißt das nicht, dass 28 Millionen Amerikaner depressiv sind, und es heißt auch nicht, dass der steigende Konsum von Prozac harmlos ist.

Nun ist Günter Amendt gewiss nicht der Meinung, man sollte den Kardinälen des Turbokapitalismus auch noch Zucker beziehungsweise Drogen in den neoliberalen Tee schütten. Doch er fragt sich natürlich, wie es zu erklären ist, dass Herrschaften, die pausenlos die Selbstverantwortlichkeit des Bürgers und die Wonnen der Deregulierung predigen, ausgerechnet bei bestimmten Drogen scharf protektionistisch und militant prohibitionistisch denken. Amendt bietet eine ganze Palette von denkbaren Erklärungen. Die beginnt mit der altbekannten Frage: Cui bono? Wer profitiert davon, wenn bestimmte Drogen illegal bleiben? Es ist nicht unbekannt, dass gewisse Geheimdienste durch Drogen Operationen großen Stils finanziert haben - um den Weg über offiziell bewilligte Staatsetats zu vermeiden. Und es dürfte auch kein Zufall sein, dass Afghanistan nach dem Ende der Taliban wieder zum größten Heroinproduzenten auf Erden aufgestiegen ist.

Doch es gibt noch andere Gründe für die starr prohibitionistische Haltung in der Drogenpolitik, schreibt Amendt: "Drogenpolitik, als eine Politik, mit Drogen Politik zu machen, ist nicht umsonst ein scharfes Instrument im Arsenal aller Parteien und Organisationen, deren Strategie auf der Verbreitung von Angst und Vorurteilen beruht. Über das Drogenproblem sucht die ›moral majority‹, wie Jakob Tanner schreibt, ›in einer kulturellen Krisenlage nach einer neuen Verständigungsbasis‹. Dabei geht es um Fragen wie: Was ist normal? Wer sind die Guten? Wer die Bösen? Wer sind die Gesunden? Wer die Kranken?" Kurz, da es in der aktuellen Politik wenig Anlass für moralische Auftritte gibt, ist der Kampf gegen Drogen ein willkommener Anlass, sich als Vollstrecker der Volksfürsorge zu präsentieren. So kann man einerseits mit Drogen schmutzige Geschäfte machen, andererseits sich in erbaulicher Rhetorik ertüchtigen. Doch vermutlich besteht der Hauptgrund der unbeirrbaren Drogenpolitik in der Informationsresistenz des drogenpolitischen Personals. Im normalen Sprachgebrauch unserer Sonntagsredner funktionieren die Namen der meisten illegalen Drogen immer noch wie der Sirenengesang der Hölle.

Wer wagte beispielsweise über Heroin in sachlichen Termini zu sprechen? Diese halbsynthetische Droge wurde Ende des 19. Jahrhunderts von einem deutschen Pharmahersteller als medikamentöse Allzweckwaffe mit dem hübschen Namen "Heróin" auf den Markt gebracht. Frühen Kritikern, die bald die abhängig machende Wirkung des Medikaments beklagten, wurde kurzerhand der Prozess gemacht. Erst als sich die Wirkung als Seelenstimulanz herumsprach, wurde Heroin zur Droge erklärt, und damit begann seine dämonische Karriere. Gewiss macht Heroin so abhängig wie viele legale Psychopharmaka auch, aber die Toxizität von Heroin ist vergleichsweise gering, jedenfalls wesentlich geringer als bei Alkohol. Heroin zerrüttet auch nicht unbedingt die Seele oder hindert an der Ausübung eines Berufs. Deshalb dürften mitten unter uns seelenruhig einige Tausend Junkies im Anzug leben, denen niemand anmerkt, was sie sich täglich spritzen. Und ihnen kann nicht allzu viel passieren, wenn sie sich mit sauberem Spritzbesteck und reinem Stoff versorgen. Die Herstellungskosten für ein Gramm reines Heroin liegen übrigens bei circa drei Euro. In der Drogenszene findet man so reinen Stoff erst gar nicht, und wenn, dann würde er etwa 500 Euro kosten. Die Herointoten, von denen unsere Medien jeden Einzelfall mahnend dokumentieren, sterben so gut wie nie an der Droge selbst, sondern an verunreinigtem Stoff, an den unklaren Dosierungen der Illegalität, an den Umständen der Beschaffungskriminalität, an Krankheiten und Verwahrlosung. Mit Sicherheit würden 99 Prozent der Heroinabhängigen nicht sterben, wenn der Stoff legal und zu anderen Preisen erhältlich wäre.

Doch was würde sonst noch passieren? Äußerst behutsam und differenziert versucht Günter Amendt die Hypothese durchzuspielen. Angesichts der Tatsache, dass jeder, der will, sich in jeder beliebigen Großstadt fast jeden Stoff besorgen kann, ist es sehr schwer zu sagen, ob der Drogenkonsum unter den Bedingungen der Legalität stiege oder nicht und vor allem, ob es zu einem verstärkt unkontrollierten Gebrauch von Drogen käme. Mit Sicherheit aber ließen sich durch Legalisierung die immer gefährlicheren Formen der Drogenkriminalität unterbinden, ließe sich verhindern, dass Drogenkonsumenten automatisch kriminalisiert werden, und man könnte die immensen Kosten der Drogenprohibition für Aufklärung, Prävention und gegebenenfalls für differenzierte Therapieformen ausgeben. Mit einer beinahe juristischen Akribie macht Amendt schließlich Vorschläge unter welchen Bedingungen die Drogenfreigabe funktionieren könnte. Wer dieses hochintelligente und hochinformative Buch genau gelesen hat, weiß jedenfalls, dass es nicht mehr einfach reicht, "gegen" Drogen zu sein.

Günter Amendt: No drugs - no future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung. Europa-Verlag, Hamburg 2003. 208 S., 17,90 EUR


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