Dräuende Musik und Kriegsgeschrei: gleich am Anfang lässt der Regisseur Stefan Pucher die zahlreichen Kombattanten gegeneinander laufen, die ganze riesige Schiffbauhalle entlang. Wir sitzen in einem Gerüst und blicken in die düstere Industrieanlage: das Chaos lichtet sich, und an stählernen Hebekränen hängen, wie auf den Sesseln eines Skilifts, nur eben im leeren Raum, fahl angeleuchtet, die Teilnehmer des Machtspiels, in unterschiedlichen Höhenlagen. Der ganze erste Teil ist ein Hörspiel, eine langsame, sorgfältige Inszenierung der Intrige und des Verrats. Heinrich Bolingbroke hat als Heinrich IV. die Krone an sich gebracht, und seine Helfershelfer haben sich schon gegen ihn verschworen, wächserne Gestalten wie Northumberland (Walter
(Walter Hess) und ehrgeizige neue Wilde wie Percy Hotspur (Sebastian Rudolph). Im Programmheft viel Nietzsche und Wille zur Macht, aber es ist eine seltsam traurige, desillusionierte politische Mechanik, die da abläuft; der Aufstand der Egoisten ist reflektiert und voller Sprachkultur. Peter Brombacher spielt den schwächelnden König als grimmige Figur ohne Zukunft. Die Drohgebärde des elektronischen Sounds (von Paul Lemp) hängt über den Szenen wie ein Verhängnis. Klar: dies ist das Gegenprogramm zu Frank Castorf, der im letzten Jahr (Berlin Alexanderplatz) die Schiffbau-Industriehalle mit bösem Kraftmeiertheater bespielte. Dies ist aber auch ein Gegenprogramm zu Stefan Puchers eigenen Inszenierungen, die oft nur ein dekonstruktivistisches Chaos waren, wie die durcheinandergeratenen depressiven Drei Schwestern. Pucher hat sich vor allem in den schwierigen Szenen der Politkonversation des ersten Teils entschieden, Heinrich IV. simpel und geradeaus zu erzählen. Erstaunlicherweise kann er das, und er stellt dabei eine trübe, aussichtslose Stimmung her, die den Krieg als Normalzustand nicht beklagt, sondern immer schon voraussetzt. Die Historiendramen sind nicht unbedingt Shakespeares stärkste Stücke; aber in der geschmeidigen Übersetzung des Frank Günther mit ihren schönen Metaphern bekommen sie ein neues Kleid. Heinrich IV. lebt nicht von der Hauptfigur, sondern von deren Sohn, dem jungen Heiner, Prince of Wales, der sich mit dem gemeinen Volk einlässt, mit einer scheinbar ordinären Person wie Falstaff eben. Die Politstrategen hängen oben am Fleischerhaken unter der Decke, das Volk sitzt unten in der Sauna, in einem kleinen Waschzuber, spritzt mit Sekt und lässt es sich wohl sein. Das ist entschieden zu putzig geraten: Es gibt hier keine verführerischen Leiber, böse Schläger oder die soziale Drastik der Alkoholexzesse. Stefan Pucher umgibt den Falstaff mit lauter kurzberockten Playmates, die genauso als Bunnys in harmlosen Herrenklubs durchgehen würden. Aber er hat auch den jungen Heinrich mit einer Frau besetzt, der mit erfrischender Direktheit spielenden Kristina Brons. Wenn die sich im Bade an den fetten Falstaff lehnt, dann ergibt sich eine merkwürdig unschuldige, entsexualisierte Stimmung: ein reflektiertes Kind, das das Leben in der Kneipe, in der Gosse, im Puff kennenlernen will. Und auch der Falstaff des massigen Josef Ostendorf ist ein infantiler Badewannen-Gott, ein großer Naiver und gleichzeitig ein ausgebuffter politischer Poker-Spieler, ein Dialektiker und ein Relativist. Ostendorf gelingt es, den platten Freuden der Trunksucht und des Nichtstuns etwas Verführerisch-Halbintellektuelles zu geben, er ist das barocke Gegenprogramm zum politischen Partei-Apparat, der oben währenddessen Bürgerkrieg spielt. Pucher hat der Versuchung widerstanden, nun das große Schlachtengemälde zu malen - und es ist fast minimalistisch und leise, wie er die Läuterung des jungen Heinrich zum Politrealisten zeigt. Das ist jemand, der nur als Beobachter in der Gosse war und der weiß, dass man sich im Vergnügen auch verlieren kann. Pucher hat gestrichen und gestrafft, und er hat für die Gewaltszenen des zweiten Teils bezwingend naive Bilder gefunden, oder wahrscheinlich war das doch eher die Choreographin Meg Stuart: Aus Kriegern wird ein ängstlich verkeilter Menschenhaufen, aus der Schlacht ein pantomimisches Ballett aus Kampfsprüngen und Judo-Drehungen, und die Toten fügen sich gleich in eine merkwürdige Friedhofs-Ordnung. In ihrer Vorsicht, in ihren politischen Ritualen, in ihrer Langsamkeit und sorgfältigen Sprache hat die Aufführung manchmal etwas fast Heiliges. Pucher leistet sich auch ein paar Kinderträume: Er lässt vor der großen Schlacht die Parteien in seltsamen, mit Sonnenmarkisen bestückten Auto-Scootern auf die Bühne fahren, elektrogesteuerte Krankenstühle, die oben wie Maikäfer aussehen; und er lässt den Vernon (Raphael Clamer) auf einem geschniegelten Pferd einreiten und dazu Sting singen ("I´ll go out of my mind for you"). Dem Falstaff hat Pucher allerdings alles Überbordend-Vulgäre weggestriegelt; der ist in Zürich nicht der notorische Genussmensch und Verführer, der den Hedonismus auch noch eloquent verteidigen kann, sondern er ist ein gutmütiger Bär, dessen Körpersprache Einsicht zeigt in die Notwendigkeiten des Lebens. Das ist - konzeptionell - konsequent gedacht, weil auch in dieser Figur die schleppenden Stimmungen erhalten bleiben. Aber es nimmt dem Stück auch jeden Aufruhr. Der kleine Heinrich, kaum eingetaucht in das sündige Leben, gewinnt das fast sportiv ausgetragene Schlachtfest quasi ohne Absicht gegen den Ehrgeizling Percy Hotspur - auch der in Sebastian Rudolphs Spiel eine desillusionierte Gestalt. Wieso nun, in der neuen Ordnung, Falstaff verbannt werden muss, bleibt in dieser Inszenierung eher unklar: seine kleinlauten Klagegesänge würden eigentlich niemanden stören. Auch der Schluss ist von musikalischer Leitmotivik dominiert: Waren die Verhandlungen der Polit-Etage von maschinalem Gebrumm unterlegt, so löst sich nun alles in Wohlgefallen auf, in kleine absteigende Kindermelodien von Beatles-Format. Der durch Zufall an die Macht gelangte Jungheinrich tut so, als werde er ein besserer Herrscher sein, als werde er die bitteren Pillen der instrumentellen Vernunft durch Rechtschaffenheit veredeln können. Wir alle wissen, dass dies ein schöner Traum ist, Stefan Pucher weiß es auch, aber er inszeniert es trotzdem. So ist Theater. Verbannst du Falstaff, verbannst du die ganze Welt: Josef Ostendorf spielt den traurigen Sancho Panza des vulgären, aber vielleicht besseren Lebens. Kristina Brons spielt das aufgeklärte Kind. Der Widerspruch bleibt. Trotz mancher Badewannen-Niedlichkeiten ist dies - in ihrer intellektuellen Melancholie - die beste, klarste, überlegteste Inszenierung, die ich in dieser Saison gesehen habe. Wer wissen will, wie man heute Historienstücke spielen kann, der muss nach Zürich fahren.
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