Vom Reagan in die Traufe

Jubiläum VI 5.000 bis 6.000 Anschläge aus Washington

Einmal in 15 Jahren muss es so eine kitschige Überschrift geben. Normalerweise schreibt die Redaktion in Berlin die Überschriften zu den Artikeln oder Kommentaren, die wir - das journalistische Freitag-Ensemble im Ausland - den wöchentlichen Bemühungen beisteuern, um ein lesbares und hoffentlich querdenkendes und hinterfragendes Blatt zu machen. Im Ausland sein, hat Vor- und Nachteile zur Existenz in der Redaktion. Man sitzt nicht in den heiligen Hallen, wird nicht in Debatten und Streitereien (die es doch geben muss, nicht?) hineingezogen, vermisst aber auch die Kritik und Anregungen der Kollegen. Und kann nicht allzu viel tun, um die Zeitung als Ganze mit zu gestalten.

So alle zwei Wochen ist Lutz Herden bei mir am Telefon beziehungsweise luhe@freitag.de in der Inbox. Mit Ideen und Anregungen, oder wir verabreden uns zum Telefonat, um zu besprechen, ob es etwas zu behandeln gäbe, ob wir nicht etwas Wichtiges übersehen, wie das einzustufen ist, was in der Tagespresse gerade Schlagzeilen macht. Die Angst des Auslandskorrespondenten einer Wochenzeitung beim Abgabeschluss: Einen Text zu schreiben, der überholt ist, wenn der Freitag in den Briefkästen liegt, oder einen Text, der Trends erwiesenermaßen falsch einschätzt. Zur vermeintlichen Absicherung liest man Spiegel online und die Internet-Ausgaben deutscher Tageszeitungen, und guckt Tagesschau, auch im Internet. In dem kleinen Viereck auf dem Computerbildschirm fällt nicht auf, dass die Moderatoren im Stehen moderieren.

15 Jahre Freitag - für mich 15 Jahre Freitag plus mehrere Jahre oder so mit dem westdeutschen Vorläufer DVZ und Volkszeitung. Das Zeitungsschreiben, dieses Privileg, seine Gedanken für andere festzuhalten, kann auch helfen, die Perspektive zu bewahren. Vor gut 20 Jahren Ronald Reagan, als man meinen wollte, dass es konservativer gar nicht mehr kommen könne. Doch dann Reagan bei Gorbatschow, Bush der Erste, Bill Clinton, und nun Bush der Zweite in der zweiten Runde. Von Reagan in die Traufe eben. Das Phänomen George W. ist manchmal schwer zu verstehen, und daher noch schwerer zu erläutern in 5.000 oder 6.000 Anschlägen. Vor gut 20 Jahren konnte man sich die Welt kaum vorstellen ohne Kalten Krieg. Und jetzt haben die westlichen Sowjetexperten umschulen müssen. Wer weiß, was wir beim 35. Geburtstag des Freitag rückblickend sagen werden.

Im Ausland bewahrt man Perspektive oder kriegt einen neuen Blick auf die Geschehnisse in der Berliner Republik. Was Merkel und Müntefering anstellen, und Bisky und Bosbach - das läuft im US-amerikanischen Kontext unter ferner liefen, wenn überhaupt.

Das Deutschlandbild in den USA - und ich wäre nicht überrascht, hätten meine Kollegen in anderen Ländern ähnliche Erfahrungen - das ist nach wie vor Sauerkraut, Bier und Neuschwanstein, vermischt mit Siemens, Mercedes und VW. Unterm Strich nicht unbedingt realitätsentsprechend, aber insgesamt aus Sicht der meisten US-Amerikaner positiv. Obwohl man im Fernsehen jeden Tag auf irgendeinem Kanal irgendeinen Film über deutsche Nazis sehen kann.


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