Vom Umgang mit Peter Wapnewski

Flohmarkt In Ramschkisten werden Teile der Bibliothek des Germanisten verkauft. Wie sollen Politiker da die Geisteswissenschaftler ernst nehmen?
Ausgabe 17/2013

Der Flohmarkt vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin an einem Samstagvormittag. Die Bücher in den Umzugskartons der Anbieter sind nicht gerade überfüllt, fordern dem Kunden aber doch einiges an Wühlarbeit ab. Aber da, etliche Meter lang, braucht man kaum zu wühlen. Rasch erkennbar geht es immer um dasselbe: alt- und mittelhochdeutsche Literatur. Das ist für die Welt hier üblicher Autoren einigermaßen überraschend. Wissenschaftliche Werke und dröge Textausgaben. Ein Blick hinein, auf die erste Seite, steigert die Überraschung. Da steht, oft sehr akkurat geschrieben: Peter Wapnewski.

Auf dem Flohmarkt werden, recht kurz nach seinem Tod, Teile der Bibliothek – nur Teile, so wollen wir hoffen – des bedeutenden, weit über sein Fach hinaus bekannten Germanisten und Gründungsrektors des Berliner Wissenschaftskollegs, verramscht. Kiste um Kiste. Teile? „Das meiste ist schon weg“, sagt die Bouquinistin, „aber wir haben noch viel Neidhardt von Reuental da.“ Man möchte nicht fragen, seit wann sie den Namen kennt, aber sie spricht ihn aus, als gehöre sie zum vornehmen Versteigerungsinstitut von Haus Wedell. Wenigstens sie ist sich also der Besonderheit der Situation bewusst. Wapnewski, ein großer Name.

Mussten die Erben die Bücher loswerden?

Das ändert wenig. Zunächst möchte man denken sic transit gloria ... , so vergeht der Ruhm. Dann aber drängt sich die Frage vor: Warum vergeht er und warum so rasch? Es ist noch nicht lange her, da zogen sich ernste Leute die guten Klamotten an, um zu einer Gedenkveranstaltung zu schreiten, auf der sie sich bei teuren Paninis und schlechtem Weißwein Leben und Wirken des Gelehrten in Erinnerung riefen. War da über seine Bibliothek schon entschieden? Gute Freunde durften wohl Preziosen daraus entnehmen, über anderes wurde – vielleicht – mit einem Antiquar verhandelt. Die große Masse aber? Auf den Ramsch. Die Erben mussten das schließlich irgendwie loswerden. Mussten sie?

Man hätte die Bibliothek auch einigermaßen geschlossen abgeben können, zum Beispiel an eine osteuropäische Universität. So etwas kommt vor. Und berühmt genug dafür war Wapnewski. Auf dem Flohmarkt dagegen wird nicht dieser Name, wohl aber das Fach, die Germanistik, entehrt. Wie sollen Politiker oder sonstige Geldgeber die Geisteswissenschaftler ernst nehmen, wenn die so mit sich selbst umgehen?

P. S.: Ich habe zugegriffen: Die Überlieferung des Althochdeutschen Tatian von Georg Baesecke, Halle an der Saale 1948, 50 Cent, und Mittelalterliche Vagantenlieder, ein Euro. Meum est propositum in taberna mori.

Jürgen Busche ist Kolumnist des Freitag. Er hat viele Jahre lang vor allem für große Tageszeitungen gearbeitet, darunter Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung. Busche war außerdem Chefredakteur der Wochenpost und der Badischen Zeitung. Er lebt in Berlin.

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