Von der Niedertracht im Eiskeller

Legende Ein Sammelband zum Conne Island würdigt 20 Jahre Jugendkultur in Leipzig. Und offenbart ein aus Hoffnung, Kleinmut und Intrige gestricktes Drama

Im April 1991 zogen „viele zornige kulturbedürftige Menschen“ ins Leipziger Rathaus und forderten „Gebt uns den Eiskeller!“ In der zugehörigen Flugschrift hieß es: „Wir sind keine Parlamentarier und haben nicht soviel Zeit (…) Wenn ihr nicht eine Entscheidung zu unseren Gunsten fällt, wird es eine Menge Ärger geben.“ Wie diese phantastische Episode aus einer Zeit der Gesetzlosigkeit im Osten des wiedervereinigten Deutschlands endete, kann sich jeder denken, dem das Conne Island in Leipzig-Connewitz ein Begriff ist.

In einem Sammelband anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Jugendzentrums beschwören Faksimiles maschinengeschriebener Flyer, Aufrufe und erster handschriftlicher programmatischer Entwürfe noch einmal die Zeit, in der die Pioniere aus den Kirchenkellern und Durchhaltenischen heraustraten, um alles anders zu machen, was am autoritären Kulturbetrieb der DDR so gestört hatte. Noch lange nicht Geschichte trotzt der Titel.

Der Legendenbildung entkommt der knapp 300 Seiten starke Jubiläumsband, in dem Generationen von Machern und Macherinnen, „Politniks“, wie „Kulturniks“ und Liebhabern des Conne Islands unweigerlich das Altbekannte beschwören, trotzdem nicht. Eine Verklärung nennt sich Thomas Ebermanns Hommage sinnfällig und augenzwinkernd zugleich, hält aber dennoch, was sie verspricht. Ray Schneiders Beitrag „Vom hohen Anspruch auf Anspruch“ entzieht sich der feierlichen Selbstumarmung. Frei von der Genugtuung des Betrogenen erzählt der ehemalige Ost-Punk-Aktivist ein typisches aus Hoffnung, Kleinmut, Intrige und Verrat gestricktes DDR-Drama. Denn die Geschichte wollte es, dass ausgerechnet Imad, ein ehemaliger inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit, die Rathausbesetzung vorschlug, um den Verkauf des einstigen FDJ-Heims zu verhindern.

IM Schwarz

Imad galt in den achtziger Jahren als Star der ostdeutschen Punkszene. Er war der Kopf der Band L’Attentat, die ihre Platte Made in GDR im Westen veröffentlichte. Großmäuliger, als es sich andere trauten, rief er zum Widerstand gegen den Staat auf und forderte, den Wehrdienst zu verweigern. Als IM Schwarz wurde er beauftragt, ausgerechnet die Band, deren Frontmann er war, zu „zersetzen“. Er stahl Mitschnitte, informierte über politische Aktivitäten, die er selbst vorantrieb, und lieferte diejenigen, die ihn störten oder die ihm egal waren, nach Belieben ans Messer. Aus „Abenteuerlust“ und Hoffnung auf eine Ausreisegenehmigung, protokollierte die Stasi.

Der klassische Spitzel hätte sich mit dem Untergang der Auftraggeber aus seinem „Arbeitsumfeld“ zurückgezogen, er teilte nie die Sache, die Ziele und Träume der anderen. Der Verräter schon. 1991 wurde Imad der erste Booker im Conne Island – bis der Nekrolog auf die DDR, die Öffnung der Stasi-Akten, die alte Wirklichkeit des Szene-Stars in Matrizen und Protokolle der Niedertracht zerlegte.

Oppositionelle Zusammenhänge haben diese Enttäuschungen, die unwiderrufliche Entwertung des sozialen und politischen Lebens der Bespitzelten, selten überlebt. Die Akteure des Conne Islands waren wahrscheinlich jung genug, um nicht auf ewig an der unbegreiflich gewordenen Vergangenheit kleben zu bleiben. Der Enttarnte schaut in der Regel nicht zurück, er beschönigt und banalisiert seine Doppelrolle, oder er schweigt und leugnet – wie Imad. Auf eine seltsame Weise ist er sich aber treu geblieben. Er desertierte in die Rock’n’Roll- und Swing-Szene, und auch wenn diese Musik seit Jahrzehnten nichts Neues mehr zu bieten hat. Imad mit großen Tattoos, langen Kotletten und Schiebermütze macht wieder den Booker. Für eine heile Welt aus echten Nylonstrümpfen mit Naht, hellblonder Wasserwelle und knallrotem Lippenstift.


20 YRS - Noch lange nicht GeschichteThomas Ebermann (Autor), Sonja Eismann (Autor), Bela B (Conne Island (Hg.), Verbrecher Verlag 2011, 309 S., 12,20

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