Es sind diese unscharfen Bilder einer Überwachungskamera, die bundesweit in Dauerschleife in fast allen Nachrichten liefen: Ein großer schlaksiger Typ schlägt einen anderen nieder und tritt mit voller Wucht vier Mal auf den Kopf des leblos daliegenden Opfers ein. Dann tänzelt er weg. Im nächsten Moment macht er wieder einen Schritt auf das Opfer zu. Ein Dritter greift ein und hält den Täter davon ab, weiter zuzutreten. Die Bilder scheinen bereits alles über die Tat auszusagen. Und das Urteil war nach dem U-Bahn-Überfall vor knapp fünf Monaten ebenfalls schnell gesprochen – zumindest in der Boulevardpresse: Wegsperren, und zwar für immer.
Genau das wollen auch einige Zuschauer, die am Montag zum Prozess gegen Torben P. gekommen sind. Gegen 13 Uhr stehen sie vor dem Berliner Landgericht Schlange. Jurastudenten sind darunter, aber auch ein paar interessierte ältere Bürger. Man wolle sehen, ob dem Opfer Recht gesprochen werde, sagt ein Mittfünfziger im gestreiften Polohemd. Er glaube nicht, dass die Richter in Deutschland so was könnten. Alles zu lasch.
Der Mann spricht aus, was in den vergangenen Monaten hundertfach in Internetforen und sozialen Netzwerken geschrieben wurde. Empörung gab es schon, als für Torben P. keine Untersuchungshaft angeordnet wurde. Dass es nach geltendem Recht keine Gründe gab – etwa Flucht- oder Verdunkelungsgefahr – und sich Torben P. selbst gestellt und die Tat gestanden hatte, spielte kaum eine Rolle.
Kein hoffnungsloser Fall
Eine neue Welle rollte, als es Anfang September in den Medien hieß, dass Torben P. vielleicht mit einer Bewährungsstrafe rechnen könne. „Bewährungsstrafe für einen Mordversuch? Geht’s euch noch gut?“, schallte es vom elektronischen Stammtisch. Dorothee Muchtenbrimm schrieb auf Facebook über einen Tagesspiegel-Artikel: „Nein! Bei aller angeblichen Reue hat er einen Menschen wissentlich, absichtlich und lebensbedrohlich verletzt und das aus reiner Willkür. Wenn bei so einer Tat eine Bewährungsstrafe auch nur in Erwägung gezogen wird, krankt das deutsche Rechtssystem noch mehr als bisher angenommen.“
Man muss nicht alle Kommentare lesen, um zu sehen, wie sehr im Fall Torben P. ein Klischee dem anderen folgt. Doch war der Täter eben nicht wegen Mordes angeklagt. Und er hat sein Opfer – trotz der in den Überwachungsbildern dokumentierten Brutalität – zum Glück nicht lebensbedrohlich verletzt. Möglicherweise hätte auch alles noch schlimmer ausgehen können. Tatsächlich aber konnte der zusammengeschlagene Markus P. nach seinem Schädel-Hirn-Trauma das Krankenhaus wenige Tage später wieder verlassen. So schlimm der Gewaltausbruch für das Opfer war – für die rechtliche Bewertung kommt es doch auf die Einzelheiten an. Und die Bilder sagen, trotz ihrer unheimlichen Macht, eben nicht alles. Der Fall Torben P. taugt nicht dazu, ein vermeintlich zu schwaches Rechtssystem anzuprangern – auch wenn der Laie vielleicht nicht weiß, dass für Mord, im Unterschied zu Totschlag, Heimtücke, Habgier oder ein anderer niedriger Beweggrund vorliegen muss. Dies sah das Gericht aber nicht, zumal der Täter anscheinend volltrunken war. Auch weiß der Laie vermutlich nicht, dass im Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke und eben nicht das Strafen oder die Abschreckung im Vordergrund stehen. Deshalb beträgt die maximale Jugendstrafe auch nur zehn Jahre.
Als sich um 13 Uhr die Türen des Saal 700 im Kriminalgericht Moabit öffnen, sitzt Torben P. wieder links auf der Anklagebank. Er trägt wieder ein hellblaues Hemd. Er guckt zu den Zuschauern, ganz kurz, ganz unsicher. Es ist das einzige Mal in den nächsten 90 Minuten, dass der fast zwei Meter große Schüler einen Blick zur Seite wirft.
Die restliche Zeit sitzt er fast regungslos da, mit hängenden Schultern, und hört an, was der Vorsitzende Richter zu seinem Fall zu sagen hat. Das Gericht hält dem jungen Mann zugute, dass er sich gestellt hat. Auch folgt es seiner Entschuldigung, dass er über sich selbst „entsetzt“ sei. Gleichzeitig stellt der Richter klar, dass dies seine Schuld nicht entfallen lasse. Er wende Jugendstrafrecht an, obwohl theoretisch auch das Erwachsenenstrafrecht möglich sei. Torben sei zum Zeitpunkt der Tat noch nicht lange 18 gewesen, wohnte noch zu Hause bei seinen Eltern, beide sind Rentner. Er sei ein junger Mann, der noch „Entwicklungsmöglichkeiten“ habe, und kein hoffnungsloser Fall, findet der Richter. Eine Bewährungsstrafe ist ihm aber nicht genug. Zwei Jahre und zehn Monate soll Torben P. in Haft.
Überrascht vom Urteil
Ist das nun die viel beschworene Kuscheljustiz? Die deutsche Justiz möchte so lange wie möglich versuchen, aus einem fehlgeleiteten Jugendlichen noch ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft zu machen. Den Sinn von Haftstrafen sehen Experten dabei durchaus kritisch. Nach Darstellung des Kriminologen Christian Pfeiffer werden 70 Prozent der Betroffenen nach Jugendhaft wieder straffällig. Nicht selten kommt es vor, dass sie erst in der Haft eine richtige kriminelle Karriere starten.
Im Saal 700 sitzt das Opfer seinem Peiniger als Nebenkläger genau gegenüber. Für Markus P., der nur mit großem Glück nach dem Überfall am Karfreitag keine körperlichen Schäden davongetragen hat, ist das Urteil gegen Torben P. nicht hart genug. Denn der Verurteilte kann erwarten, dass er nach Absitzen von zwei Dritteln seiner Haftstrafe wieder frei ist. Auch gilt für ihn der sogenannte offene Vollzug. Tagsüber darf er raus und weiter zur Schule gehen. So soll verhindert werden, dass die Tat seine Zukunft völlig verbaut, wie das Gericht erklärt. Ein knallhartes Signal an die Gesellschaft und an künftige Straftäter sähe sicher anders aus. Doch können solche Urteile letztlich gerade für die Opfer positiv sein: Schmerzensgeld kann ein weggesperrter, arbeitsloser Täter kaum zahlen, wohl aber einer, der doch noch seinen Schulabschluss und eine Ausbildung erreicht.
Einige der Besucher hat das Gericht offenbar überzeugt. Ein Mann im Anzug um die 60 faltet ein Transparent auf. „Mein 18-jähriger Sohn wurde am Ku’damm zusammengeschlagen.“ Deswegen sei er heute hier. Er sei „überrascht“, dass das Gericht so fair und angemessen geurteilt habe. Hunderte Facebook-Kommentatoren sehen das anders. Noch am Montagabend sind die Foren wieder voll mit den Urteilen der virtuellen Stammtisch-Gerichte.
Iris Marx ist Juristin und freie Journalistin in Berlin
Kommentare 34
Eigentlich ein Urteil mit dem selbst dieser junge Täter leben kann weil er weiterhin zur Schule gehen kann. Welche Probleme da für in durch seine Mitschüler aufkommen ist allerdings eine wichtige Frage. Dieses Urteil steht sicher auch unter dem Eindruck durch einen ähnlichen Fall in München wo das Opfer einer solch sinnlosen Tat allerdings starb. Ein gut geschriebener Beitrag.
Sehr geehrte Frau Marx,
ein wohltuender, weil unaufgeregter Artikel, wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass Sie selbst als Juristin um die Fallstricke der Strafmaßfindung wissen. In dem Bereich zwischen Erwachsenen- und Jugendstrafrecht, also bei den auf Heranwachsende anzuwendenden Normen eine noch diffizilere Materie.
Gerade deswegen drängt sich bei Lektüre Ihres Artikels auf: Warum Stammtisch? Assoziieren wir tatsächlich nur mit der trüben, dumpfen, vor allem alkoholisierten Atmosphäre des Wirtshauses, der Spelunke das Gegenteil von dem, was wünschbare, konkrete Ausformung von Recht wäre? Ist das gegenseitige Bestätigen und Aufschaukeln im Rausch der Beseeltheit, diese „Volkes Seele“ tatsächlich nur dort zu verorten, so dass auch das Netz solche Ecken aufwiese?
Der Stammtisch ist grundsätzlich ein Ort der Undurchlässigkeit: Um ihn herum sitzen dessen Inhaber, jene die „dazu“ gehören. Das waren hier in Bayern (und sind es in Teilen noch) die Honoratioren – Lehrer, Pfarrer, Bürger- und Baumeister. Die Kakophonie des Netzes ist das nicht (es sei denn, man wollte darin ein dezidiert gesteuertes Element sehen). Sie gleicht eher den vieltausenden Stimmen eines Colosseums, als es darum ging, einen Daumen zu senken.
Das ist keine Haarspalterei, wie vielleicht auf den ersten Blick gemeint werden könnte. Denn Honoratioren wissen ganz genau, wie Justiz funktioniert, die Masse in einem Colosseum nicht. Daraus folgt die nämliche Frage: Was kann -gerade via Netz- getan werden, um diesem schlichten Nichtwissen abzuhelfen?
Ich meine, dazu reichen selbst ausgezeichnete Berichterstattungen wie die Ihre nicht mehr aus. Die Transparenz der Justiz, die sich im Begriff der „Öffenlichkeit der Verhandlung“ kondensiert, sollte in dem Maße weitergeschrieben werden, wie sich die Diskussion um Urteile und deren Findung verbreitet. Das wäre Aufgabe der Gerichte selbst.
Ihrer Beurteilung des Falles stimme ich ansonsten vollinhaltlich zu.
Mit freundlichen Grüßen, e2m
@Way too "lasch" dieses Urteil.
Da fragt man sich, was noch alles passieren muss...
Niedlich, ein Schill-Fan
In meinem Bekanntenkreis wurde auf FB auch eine Diskussion geführt. Suggestivfragen wie "Wenn es Freunde oder Familie von dir wären würdest du da nicht auch eine härtere Strafe fordern?" tauchten da auf.
Das Gerechtigkeit von jedem anders bemessen wird, nehmen die Menschen nicht zur Kenntnis. Die überschäumenden Emotionen lähmen den Verstand, wie wir aus der Kognitionsforschung wissen. Was im übrigen auch der Hauptgund für Affekthandlungen ist...
Auch der Verweis auf unser Grundgesetz, nachdem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und ob man mit diesem demokratischen Grundrecht nicht konform gehe wird ignoriert. Der Pöbel möchte Blut sehen, in Rom gab es die Spiele, im Mittelalter den Pranger.
Deswegen können solche Antidemokraten wie der Friedrich aus der CDU damit Punkten, wenn sie mittels geforderter Law Order Politik diese Freiheiten im Namen der Sicherheit opfern.
"Niedlich" ??
Ich möchte Ihnen weitgehend zustimmen,Iris Marx, insbesondere, was Ihr Urteil über die Stammtische anbetrifft.
Es gibt allerdings zwei Dinge, die ich dem deutschen Justizsystem sehr übelnehme:
- Es ist mittlerweile schon fast der Normalfall, dass sog. "Heranwachsende", also Täter im 19. bis 21. Lebensjahr, als "Jugendliche" behandelt werden. Die juristische Möglichkeit, so zu verfahren, ist im Prinzip sicher richtig - aber als AUSNAHME-, nicht als REGELfall. (Ansonsten sollte bitte auch das Volljährigkeitsalter wieder auf 21 heraufgesetzt werden.)
- Alkoholisierung als Strafmiderungsgrund ("verminderte Zurechnungsfähigkeit") sollte endlich abgeschafft werden. Inzwischen ist der "Suff" schon fast zum Freibrief verkommen, und dem sollte dringend gegengesteuert werden.
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Party, sind in guter Stimmung, trinken etwas über den Durst, am nächsten Morgen wachen Sie auf, man erklärt Ihnen, dass Sie im Vollrausch jemanden erschlagen haben. Sie wissen von nichts und hätten sowas bei klarem Kopf niemals getan.
Kann passieren. Ist passiert. Jemand im Vollrausch ist aber nun, das ist zumindest die Lösung in unserem Rechtsstaat, nicht schuldfähig, und wir haben ein Schuld- und kein Folgestrafrecht ("aber der Ermordete ist doch nicht weniger tot, nur weil die Täterin betrunken war!"). Insofern erst mal über ein generelles Alkoholverbot nachdenken (nicht, dass ich dafür wäre).
Wie viele Fälle kennen Sie denn, dass Sie zu dem Urteil kommen, der "Suff" wäre fast zu einem Freibrief verkommen? ("Jaja, der Suff ist auch nicht mehr das, was er mal war, ist schon echt verkommen heutzutage, fast schon ein Freibrief.")
"So schlimm der Gewaltausbruch für das Opfer war – für die rechtliche Bewertung kommt es doch auf die Einzelheiten an."
was mir zu diesem urteil einfiel war ein vergleich:
das bürgerliche kind mit zukunftsperspektive
www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,787174,00.html
geht unterm strich wohl gar nicht in den knast. das mag in ordnung sein!
aber, das "unterschichten"kind ohne entwicklungschance
www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,716008,00.html
ist sicher kein engel, kriegt hier zuerst aufs maul, und dafür wandert es dann richtig lange ab.
"Diese "Art des Einschreitens" stellte sich in der Hauptverhandlung so dar: Brunner stieg mit den Schülern aus der S-Bahn aus, in der die beiden Angeklagten Markus Sch. und Sebastian L., damals 17 und 18 Jahre alt, herumgepöbelt hatten. Brunner rief die Polizei an und bat, eine Streife möge zur S-Bahn-Haltestelle Solln kommen. Die Angeklagten stiegen weiter hinten aus. Brunner legte Rucksack und Jacke ab und ging - laut Augenzeugen - mit erhobenen Fäusten auf die Angeklagten zu, nachdem er dem S-Bahn-Fahrer noch zugerufen hatte, es passiere jetzt gleich etwas. Zeugen beschrieben dieses Verhalten mit "tänzelnd, in Boxhaltung". Als die jungen Männer darüber witzelten ("Bist ja a ganz a Harter!"), schlug Brunner Sch. mit der Faust ins Gesicht.
Dann entwickelte sich eine Schlägerei ..."
... und das war dem richter neun jahre und zehn monate wert (für sch.), was sich wohl nur erklären läßt, wenn man weiß, dass der leider während des kampfes am herzen verstorbene im schwebenden verfahren postum mit dem bayrischen verdienstorden und dem bundesverdienstkreuz 1. klasse ausgezeichnet worden war.
der junge der daneben stand und später den als haupttäter verurteilten zurückhalten wollte, bekam übrigens sieben jahre ohne bewährung. und das ist im vergleich absurd!
im zusammenhang mit den überraschend hohen strafen nach den britischen unruhen schließe ich auf einen trend zu einer verschärften europäischen klassenjustiz, die mir nicht zum demokratischen selbstverständnis der staaten zu passen scheint und von der man in den erklärungsversuchen nach den nächsten unruhen wohl mehr hören wird.
Der Rechtsstaat ist dann stark, wenn ein Gericht Urteile fällen darf, die der Tat und dem Täter gerecht werden. Er wird nicht besser, wenn Nichtjuristen das Strafmaß oder die Schuldfähigkeit kommentieren. Dies vielleicht noch durch ein Internet-Voting, wie es sich manche vorstellen mögen. Die Problematik der Opfer und deren Genugtuung kann dabei keine Rolle spielen. Dann müssten wir gleich zurück in's Mittelalter oder ein Rechtssystem anderer Kulturen zum Vorbild haben. Wer will das? Niemand wirklich. Also freuen wir uns drüber, dass es ein Urteil gab und das Gericht einen unabhängigen Eindruck machte. Das ist schon sehr viel wert.
Maxi S.
Ich vermag Iris Marx nur sehr bedingt zuzustimmen. Sie nimmt m.E. zu einseitig die Perspektive des Täters ein und betreibt eine gefährliche Relativierung seines Tuns. das mag aus der Sicht einer prozeßtaktisch denkenden Anwältin legitiim sein, wollte man bemüht sein, "das beste" für den Mandanten herauszuholen. Aber was wäre "das Beste" für die Gerechtigkeit, für das Opfer einer brutalen Gewalttat?
Für mich klingt es immer wie purer Hohn, wenn ich lese, dass z.B. der Status der Volltrunkenheit (so sie hier denn wirklich vorlag...) immer noch urteilsmildernd ist. ich betrinke mich, begehe in verbrechen und sage dann entschuldigend, ich könne mich an nichts erinnern, sei ja total blau gewesen. Wie fühlt sich ein Opfer, das so etwas hören und als Milderungsgrund erfahren muss?!
Des weiteren sagt Iris Marx, hier läge keine Heimtücke vor, die sich strafverschärfend hätte auswirken können. Was bitte ist daran keine Heimtücke und auch kein niederer Beweggrund, wenn ein Mensch einfach mal eben so in einer U-Bahn-Station in einem Gewaltrausch fast totgetreten wird? Das hier zu verneinen, kommt für mich einer juristischen Haarspalterei sehr nahe. Und dass das Opfer nach einigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte, ist ja wohl unmöglich Torben P. anzurechen, da hat es einfach Glück gehabt, vielmehr hätte es auch tot sein können. Spätestens hier wird Marx zynisch.
Natürlich ist der Sinn von Haftstrafen zumindest zwiespältig, da stimme ich zu, aber manchmal ist eine Gefängnisstrafe die einzig adäquate Antwort, weil jede andere als Relativierung des Geschehens aufgefasst werden müsste. Und, natürlich, ist der Abschreckungsgedanke m.E. nicht falsch, sondern mitunter geboten. Man habe mit der Zulassung des offenen Vollzuges für Torben P. seine Zukunft nicht völlig verbauen wollen. Na prima - und was ist mit der möglicherweise verbauten Zukunft der Opfer von Schlägern wie ihm? Geht davon nicht das Signal aus, man könne ruhig mal zutreten, es werde schon so schlimm nicht werden mit dem möglichen Urteil?
Man muss kein Konservativer oder Reaktionär und kein law- and- order-Fetischist sein, um um ein solches Urteil für zu milde halten zu können. Und richtig ist, was Harald Martenstein im heutigen "Zeit-Magazin" zu den Aussagen der Gutachter im Verfahren treffend bemerkt: "Ich kenne eigentlich niemanden, dessen Kindheit in jedem Fall ideal verlaufen wäre und dessen Eltern immer alles richtig gemacht hätten. (...) Irgendwas ist immer. (...) Auf der anderen seite gibt es zahllose Menschen, die extrem harte und lieblose Kindheiten zu verdauen hatten, viel härter als Torben P., und die niemals jemanden die Bewusstlosigkeit treten. (...) Natürlich sind wir alle zu einem Teil das Ergebnis der Umstände, die uns prägen. Aber es gibt schon so etwas wie 'Schuld' und 'Verantwortung', und man sendet jungen Tätern, finde ich, das falsche Signal, wenn man ihre Schuld zu einem hohen Prozentsatz an das Elternhaus oder die Gesellschaft überweist."
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Nicht, dass ich etwa Abstinenzler wäre - ich habe mir allerdings schon in sehr jungen Jahren antrainiert, zu wissen, wann beim Saufen Schluss sein muss. Und es ist zudem auch jedem zumutbar, spätestens nach dem dritten Besäufnis herauszufinden, ob er zu denen gehört, die unter Alkoholeinfluss zur Aggressivität neigen.
Und wenn Sie sich mal die Mühe machen, z.B. nur im Videotext Urteile zu Gewaltdelikten zu verfolgen, werden Sie feststellen, dass Alkohol"einfluss" zwar nicht zur Schuldunfähigkeit führt, in vielen Fällen (eine Strichliste habe ich leider nicht) als (Mit-) Begründung für eine Strafmilderung eine Rolle spielt.
@luddisback schrieb am 22.09.2011 um 10:03
Wenn man Schläger einsperrt ist das doch keine "Klassenjustiz"!
Sie wissen doch gar nicht, welcher "Klasse" die Sollner Schläger angehörten. Zudem haben Sie nur die Version der Verteidigung geschildert, was ich schon sehr billig und einseitig finde.
Ach ja..."Klassen" gibt’s nicht mehr
@Maxi Scharfenberg schrieb am 22.09.2011 um 13:54
"Der Rechtsstaat ist dann stark, wenn ein Gericht Urteile fällen darf, die der Tat und dem Täter gerecht werden."
Dem Täter gerecht werden??
Das Opfer lassen wir mal schön außen vor.
"Wer will das? Niemand wirklich."
Das wissen Sie aber ganz genau!
Herr Meister, ich hoffe, dass ich weiss, was Sie meinen. Was ich "genau" zu wissen hätte, ohne dass ich mir sicher bin, dass ich wirklich weiss, was Sie meinen, ist wieder eine andere Frage.
Viel weniger sicher bin ich mir, ob Sie richtig liegen, wenn Sie schreiben: "Wer will das? Niemand wirklich." Das bezweifele ich. Aber solange das System so funktioniert, wie es funktioniert und der Schwerpunkt ist dabei das Funktionieren, ist alles richtig, was das Funktionieren gewährleistet. Moralische Anforderungen, ethische oder einfach nur menschliche Kriterien sind dafür keine guten Ratgeber. Bedenken Sie die Alternativen! Die sind auch nicht besser.
Beste Grüsse
Maxi
@Maxi Scharfenberg schrieb am 22.09.2011 um 18:55
Viele leere Worte.
Härtere Strafen fände ich angebracht.
So kurz und bündig geht das.
Und nun Mehrheit gäb's auch dafür.
Daniel Meister hat voll Recht !
Die Strafen in der deutschen Justiz sind viel zu lasch.
Vor allem für Wirtschaftskriminalität und Steuerflucht, da müßten ganz andere Beträge erhoben werden, und viel früher Gefängnisstrafen, also einsitzen und nicht nur die Portokasse für pro-forma-Beträge plündern.
@
Richard der Hayek schrieb am 22.09.2011 um 20:57
Nein. Denn ehrlich gesagt isses mir lieber, jmd. hinterzieht Steuern, als dass er mir in der U-Bahn eine drüber Zeit.
Die Unversehrtheit der Person sollte schon einen höheren Stellenwert haben, als Geld.
Aber die Strafe soll auch abschrecken.
Da diese Betrüger so viel GEld haben, sollen sie in dem Maße zahlen, wie sie betrügen.
Wenn ein Herr Zumwinkel 10 oder 20 Millionen zahlen muß, daß er was merkt, deshalb werden die Schläger doch nicht brutaler: ha, das kostet mich nur 8 Jahre, ein Klacks gegen die 10 Millions vom Z.
Das Recht ist kein Selbstzweck, sondern hat den Zweck, den Staat zu stabilisieren.
"Dem ist nichts hinzuzufügen." - Gewiss ist dem noch was hinzuzufügen, nämlich das: den Täter mit der Höchststrafe wegschließen, mag archaische Rachegelüste und Opfergefühle ja am besten befriedigen, der Gesellschaft ist aber mehr damit gedient, bei diesem jungen Menschen dem "Erziehungsgedanken", dem "Entwicklungs- und Bewährungs"-Aspekt mehr Raum zu geben, damit nicht in 15 Jahren ein völlig demoralisierter Ex-Knacki unter uns rumläuft. Oder willst Du auf 'Kopf ab' oder 'lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung' hinaus?
"Doch war der Täter eben nicht wegen Mordes angeklagt. Und er hat sein Opfer – trotz der in den Überwachungsbildern dokumentierten Brutalität – zum Glück nicht lebensbedrohlich verletzt. Möglicherweise hätte auch alles noch schlimmer ausgehen können. Tatsächlich aber konnte der zusammengeschlagene Markus P. nach seinem Schädel-Hirn-Trauma das Krankenhaus wenige Tage später wieder verlassen. So schlimm der Gewaltausbruch für das Opfer war – für die rechtliche Bewertung kommt es doch auf die Einzelheiten an."
Wenn Torben sich in seinem, selbsterklärten und zu seinen Gunsten ausgelegten, Vollsuff noch so weit im Griff haben konnte, dass er seinem Opfer eben nur so stark gegen den Kopf trat, dass dieses das eben noch ganz gut verkraften kann, dann wäre die Argumentation Marxs noch nachvollziehbar. Da muss ich H. Hesse zustimmen: Hier wird's zynisch!
Wenn, wie Marx nahelegt, das verhältnismäßige "Glück" des Opfers bei der Urteilsfindung dem Täter zugute kam, kann doch nun wirklich was nicht stimmen! Stellen wir uns doch nur die gleiche Tat mit einem Opfer weniger robuster Gesundheit vor, das dann vielleicht gestorben wäre oder Langszeitschäden davon getragen hätte. Tja, der gleiche Torben hätte so also eine härtere Strafe bekommen müssen.
Ich verstehe den Ansatz des Artikels zum Verständnis unseres Rechtssprechungssystems, contra Stammtischparolen und Selbstjustizmob, durchaus. Auch die Schwierigkeiten, gerecht zu urteilen. Aber solche Begründungen können nur Kopfschütteln erzeugen - und nicht mehr!
Wiederum muss ich H. Hesse zustimmen: Der Artikel riecht stark nach einer Denke, die aus den "prozesstaktischen" Erwägungen einer Anwältin nicht herausfindet - sozusagen Betriebsblindheit. (wenngleich wir freilich nicht wissen, ob Frau Marx als Anwältin arbeitet)
Mir scheint, du unterstellst H. Hesse "Rachegelüste" und Law-and-Order Gedanken. Das gibt der Kommentar aber nicht her.
Die nur schwere Nachvollziehbarkeit der Urteilsfindung, wie sie Marx referiert, stößt auch mir auf.
Nein, das angeführte Zitat suggeriert, als hätte das Gericht in einem Täter ein Opfer seiner Lebensumstände gesehen und ihn deshalb zu milde beurteilt. Der Artikel aber argumentiert einleuchtend, dass das Gericht eine Erziehungsmöglichkeit sah und deshalb diesen Aspekt gegenüber dem Straf- und dem Abschreckungsaspekt aufgewertet hat.
Physische Gewalt wäre nicht entschuldigt, wenn ökonomische Gewalt dem angerichteten Schaden angemessen bestraft würde.
Aber genau das darf ein Vizemeister der Kapitalismuspropaganda niemals wahrhaben wollen.
Lieber goedzak,
deine abschließende Frage ist natürlich pure Polemik; es ist wunderbar einfach, als Denkabkürzung zu Klischees zu greifen. Zwischen "Rübe ab" oder lebenslänglicher Sicherungsverwahrung und einem tatangemessenen Urteil gibt es ja wohl noch etwas. Nicht jedes Plädoyer für eine konsequentere Bestrafung von Gewaltdelikten beruht auf archaischen Rachegelüsten. Also, bitte, weniger Polemik und mehr Differenzierung!
Herzlichen Dank! Ich fühle mich verstanden.
Habe den Beitrag im Print-Medium gelesen. Hat mir sehr gut gefallen. Gut , dass es nicht nur Stammttische sondern auch Juristen gibt. Klar, dass Juristen Menschen sind und Fehler machen! In Berlin wohl nicht!
Müßig ist es sich von dem Berliner Täter zu distanzieren. Da sind sich doch alle Menschen, die die Zivilisation als eine Errungenschaft ansehen einig.
Es muss Recht gesprochen werden. Das ist in Berlin geschehen.
Nein, ist nur die salopp formulierte logische Schlussfolgerung, denn wenn Strafe/Rache, Abschreckung und Schutz der Gesellschaft allein als Urteilsmotivation bleiben, dann wäre eine Entfernung aus der Gesellschaft die zwingende Schlussfolgerung.
Auf den Erziehungsaspekt gehen weder du noch Marthaler ein.
Ich habe weder Mitleid mit dem "armen Täter" noch Verständnis für für das milde Urteil.
Für alle Weichspül-Hobby-Juristen hier das Original Video der Tat :
youtu.be/uFj8uNDpCPc
ACHTUNG:
Das Video ist ungekürzt !!!
Wer es nicht Mental verkraftet bitte nicht anschauen.
Quatsch, Marthaler - MartENSTEIN natürlich. :)
@Richard der Hayek schrieb am 22.09.2011 um 22:39
Genau, Strafe braucht den Abschreckungscharakter.
Ich bin hier nicht angetreten, um Herrn Zumwinkel zu verteidigen. Aber jener Posträuber rechtfertigt doch nicht milde Urteile gegen Schläger.
Das Recht ist eben nicht Politik. Ich unterstelle Ihnen jetzt mal, dass Sie sehr politisch argumentieren, will sagen, den "reichen Ausbeuter" sehen gern hinter Gittern, mit dem "schlagenden Proll" haben Sie Mitleid.
Ich will beide hinter schwedische Gardinen!
@claudia schrieb am 23.09.2011 um 06:30
Sie sind Sklave Ihrer Klischees!
Denken Sie ernsthaft jene U-Bahn- Schläger sind allesamt arme Ausgebeutete?
Dann glauben Sie wohl auch an Märchen.
Ich habe, goedzak, nicht geschrieben, dass "Strafe/Rache, Abschreckung und Schutz der Gesellschaft" die alleinigen Gründe für die Urteilsabfassung seien. es ist da,da wo es halbwegs erfolgversprechend zu sein scheint, der Erziehungsgedanke bei jungen Straftätern zu berücksichtigen. Der aber muss nicht einer konsequenteren, sprich in diesem konkreten Fall: härteren Strafe entgegen stehen.
Wie oft hat es Taten ähnlich der hier vorliegenden gegeben und die Jugendlichen oder heranwachsenden Täter kamen nicht in U-Haft oder in ein offenes Heim und begingen weitere ähnliche Verbrechen. Von zu milden Urteilen geht das Signal aus: macht ja nichts, viel wird mir nicht passieren.
Überlegungen dieser Art sind m.E. ebenso zu berücksichtigen wie evtl. mildernde und soziale Belange. Es ist nur bei vielen Leuten zu sehen, dass das Verständnis für die Täter stärker ausgeprägt ist als ein Gerechtigkeitsempfinden und Verständnis für die Opfer. Für die Richter bleibt jeder Einzelfall nur abwägende und differenzierende Beurteilung, die wir als Zeitungsleser, die wir bei der Verhandlung nicht dabei sind, so in konkreto natürlich nicht anstellen können.
Kommentare wie gerade der letzte, decken auf, warum dem Artikel unbedingt Recht zu geben, aber gleichzeitig an ihm zu kritisieren ist, dass die Autorin auf halbem Weg stehen geblieben ist.
Ja, es gibt keine gerechte Strafe. Und genau deswegen hat das Strafrecht keinen Platz in einem aufgeklärten Rechtssystem. Es gehört abgeschafft.
Ein Strafurteil nach dem derzeit geltenden System kann in den Augen der Opfer nie hart genug sein, weil es eine wesentliche Funktion, die das Strafrecht angeblich gewährleisten soll - die Genugtuung - gerade nicht erfüllt.
Das Strafrecht dient, allen Stammtischreden selbsternannter Opferschützer zu Trotz, tätsächlich ganz anderen Zwecken. Die Staatsgewalt demonstriert damit den übrigen Untertanen, dass sie ein Verhalten des Einzelnen missbilligt, um andere von der Nachahmung abzuhalten. Dementsprechend ist der Geschädigte der Missetat auch nicht Herr des Verfahrens, sondern allenfalls als Zeuge dessen Werkzeug, und dementsprechend unwürdig wird er auch im Prozess behandelt.
Ein aufgeklärtes Rechtssystem würde auf solche Machtdemonstrationen verzichten, und statt dessen darauf dringen, dass den echten Interessen des Opfers gedient werde. Denn recht betrachtet hat ein Opfer keinen Anspruch auf Rache, sehr wohl aber auf umfassende Wiedergutmachung des angerichteten Schadens.
Dem ist jedoch mit einer Bestrafung des Täters mitnichten gedient. Mag das Opfer im Angesicht der Verurteilung oder gar einer Exekution noch so zufrieden sein - spätestens am nächsten Morgen wird es feststellen, dass die Stichwunde immer noch schmerzt, das angezündete Haus immer noch verbrannt und das geplünderte Konto immer noch leer ist. Und was dann ? Noch eine Bestrafung, damit die Zufriedenheit zurückkehrt ? Und am übernächsten Tag wieder ?
Dadurch, dass der Staat seine Bestrafung umsetzt, nimmt er dem Opfer zumeist auch noch jede reale Chance, von dem Täter eine Wiedergutmachungsleistung zu erlangen. Ein Sträfling erzielt nicht nur in der Haft keine Einkünfte, aus denen er Schadensersatz und Schmerzensgelder bestreiten könnte; im Zweifel ist spätestens danach seine Existenz so ruiniert, dass er auch dann nie wieder dazu imstande sein wird. Und selbst wenn ihm nur eine Geldstrafe aufgebrummt wird, sorgt wiederum der Fiskus dafür, dass seine Anprüche hieraus vorrangig vollstreckt werden.
Ein Rechtssystem, das sich wirklich um die Opfer kümmern würde, hülfe ihm, den Sachverhalt zu ermitteln und aufzuklären, würde dann dem Täter aber statt einer Bestrafung die Wiedergutmachung auferlegen, und dem Opfer bei deren Durchsetzung nach Kräften beistehen.
Dass dazu dann auch Schmerzensgelder gehören, die sich weit oberhalb der derzeitigen Sätze bewegen müssten (die Angehörigen eines Mordopfers bekommen nach derzeit geltender Rechtslage als Schadensersatz gerade einmal die Bestattungskosten ersetzt), versteht sich dabei nachgerade von selbst.
Ceterum censeo: Schafft das Strafrecht ab, und stärkt stattdessen die zivilrechtliche Unterstützung der Opfer bei der Durchsetzung ihrer wahren Interessen !