Sachlich richtig: Eine Kolumne von Literaturprofessor Erhard Schütz
Illustration: Otto
Mit dem deutschen Kolonialismus war es schlimm genug, aber insgesamt nicht so weit her wie bei Engländern und Franzosen. Darum ist es seit einiger Zeit Mode geworden, ihn herbeizuschreiben, um ihn dann up to scientific correctness postkolonial dekonstruieren zu können.
Von solch Machwerkelei ist Rolf Parrs Buch meilenweit entfernt. Er kommt von einer ganz anderen, viel interessanteren Seite her, nämlich von Verheimatung in der Fremde. Wenn nach Moeller van den Bruck der richtige Konservatismus der ist, der Verhältnisse schafft, die zu bewahren sich lohnt, dann war in den Kolonien etwas zu schaffen, das als Heimat lohnte, eine ganz eigene Variante des Diktums von Ernst Bloch, dass Heimat sei, was „allen als Kindheit scheint und worin noch niemand war“.
Parr zei
war“.Parr zeigt, wie der Süden und Südwesten Afrikas, vor allem während der Burenkriege (1899 – 1902), zu einem Deutschland umprojiziert wurden, das es, industrialisiert, zu Hause längst nicht mehr gab, zeigt, wie die Buren ideologisch einverheimatet wurden. Und er zeigt, wie nach dem Ersten Weltkrieg zwangsweise, aber erfolgreich von Kolonialisierung auf Expeditionen umgeschaltet wurde. Am Ende wirft das ein Licht auf die Fünfzigerjahre, die im Kino erfolgreich zwischen Lüneburger Heide und Serengeti oszillierten.Auf Odysseus' SpurenOdysseus ist bekanntlich ziemlich lang herumgetrieben worden, ehe er heimfand. Und auch da hatte er noch ordentlich aufzuräumen. Bis heute versucht man immer wieder, seine Route exakt zu bestimmen. Am originellsten zuletzt wohl Friedrich Kittler, der natürlich wusste: So und nicht anders! Tobias Lehmkuhl ist da nicht so sicher, macht sich aber dennoch von Troja aus auf den Weg – und erlebt seine ganz eigene Odyssee. Die ist zwar nicht so von den Damen okkupiert und folglich entschieden flotter als die des legendären Vorfahrers (manchmal auch leicht leichthin), dafür aber um so unserweltlicher, gegenwarts- und jüngstvergangenheitsnah. Am Ende ist er froh, wieder daheim zu sein – und der Leser daheim, dass er auf eine solch unterhaltsame Tour mitgenommen ward.Es gibt freilich noch andere Formen, sich in ihr herumtreibend die Welt anzueignen. Marko Martin, längst notorischer Unterwegsler, berichtet u.a. aus San Salvador, Bogotá, Madrid, Nizza, Bangkok, Damaskus. Virtuos wechselt er dabei die stilistischen Register, zuverlässig geführt von feinstem Sensorium. Was bei aller Andersheit untereinander seine Schauplätze zusammenhält, ja, geradezu ein- oder anverleibt, ist eine alles umschlingende Erotik, in der freilich ab und an die Welt in Läufigkeit zu versinken droht. Da hilft dann, abzubrechen und morgen weiterzulesen. Dann wirkt sein Zauber neu.Von der libidinösen Besetzung des Reisens spricht Marko Martin in seinem Nachwort zu drei höchst beeindruckenden Reportagen von Albert Londres. Der, 1884 in Vichy geboren und 1932 – für einen Reporter standesgemäß – bei einem Schiffsunglück im Roten Meer umgekommen, galt seiner Zeit als der Reporter schlechthin. Selbst der selbstbewusste Egon Erwin Kisch erwies ihm die Reverenz.Reisen gegen VorurteileLondres war ein geradezu manisch Reisender. Martin nennt ihn zu Recht einen Solitär und Herzensanarchisten, einer, der kein Urteil anderer anerkannte, ehe er es nicht selbst geprüft hatte. Er war einer, der auch gegen die eigenen Vorurteile schrieb. So der Bericht 1929 aus Palästina, wo seine Skepsis zumindest durchlöchert wurde. Flankiert wird das von einer kritischen Reportage aus China 1922, von noch immer erhellender Eindringlichkeit, und 1931 von der arabischen Halbinsel – auch dies ein noch immer anregendes Glanzstück an Beobachtungsgabe.Nicht nur Egon Erwin Kisch hat den Reporter zum Bruder des Detektivs erklärt. Soziologen und Philosophen verstehen sich hin und wieder als deren Erben – und sachwaltende Erklärer. Kein Wunder in einer Zeit, in der das Fernsehprogramm neben Schlager- und Schaumschlägerei nur noch Krimis zu kennen scheint. Luc Boltanski zum Beispiel hat sich so unlängst erfolgreich als Täterprofiler entlang der Klassiker versucht (Vgl. Freitag v. 29.1. 2014).Parallel dazu hat der Jurist Josef Hoffmann ein Buch zu den Philosophien der Kriminalliteratur vorgelegt, das weniger spektakulär daherkommt, aber auf ganz eigene Art aus dem Kriminalroman, der Kunst, es nicht gewesen zu sein, tröstlich vernünftige Schlüsse zieht. Seine Lektüren von – natürlich – Poe, Holmes und Hammett, aber auch Chesterton (wozu man gern mehr gelesen hätte), verblüffend aber dann logisch, zu Wittgenstein und Camus, schließlich zum Tod im Krimi, enden mit der Gewissheit: „Der Trost der Kriminalliteratur ist stärker als der Trost der Philosophie.“ Hier erklärt ein verständiger Autor, warum und wie der Verstand uns mehr als nur eine Aushilfe ist. Das ist nützlich keineswegs nur für Krimileser, aber die können hier zu ihrer Bekräftigung erfahren, warum Krimilesen nicht unvernünftig ist.
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