Von der Weide

ULLRICH SCHUR Wenig Spielraum

Einer naturnahen Landwirtschaft sind durch die EU-Agrarpolitik enge Grenzen gesetzt. Deutschlands neue Superministerin erwartet ein Hürdenlauf auf Langstreckendistanz

Wer auf eine baldige agrarpolitische Kehrtwende hofft, darf dabei die augenblickliche EU-Agrarpolitik nicht übersehen oder gar ignorieren. Die Grundorientierung der Agenda 2000 besteht eindeutig in der Förderung billiger Massenproduktion. Über 90 Prozent des EU-Agrarbudgets von jährlich rund 40 Milliarden Euro fließen bis auf weiteres in die so genannten Marktordnungen, sind also damit nicht an ökologische, arbeitsmarktpolitische oder Qualitätsziele gebunden. Deutschland - bislang mächtigster Bremser einer Abkehr von industriellen Produktionsmethoden - hat daran wohl die größte Aktie. Es war Bundeskanzler Schröder, der im Verein mit Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke beim Berliner Sondergipfel im März 1999 alle ökologischen Ansätze der Agenda 2000 vom Pflichtfach zur fakultativen Übung herabstufte.

Sollten sich die Schleusen für genmanipulierte Billigprodukte öffnen ...

Zu den größten Sündenfällen gehört dabei die auf deutsches Drängen durchgesetzte Gleichstellung der intensiven Bullenmast mit der extensiven Weidehaltung. Jährlich verschleudert die EU allein 1,2 Milliarden Euro für die Subventionierung von Silomais, während die Mittel für eine Grünlandprämie dem Rotstift zum Opfer fielen. Das Rindvieh wird damit buchstäblich von der Weide in die Mastbox getrieben. Die Liste derartiger Beispiele ließe sich fortsetzen. Eine radikale Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch Bindung der EU-Agrarsubventionen an Qualitätsproduktion, Extensivierung, Umwelt- und Landschaftsschutz, tiergerechte Haltung oder soziale Kriterien bleibt die eigentliche Mammut-Aufgabe und gleicht einem Hürdenlauf auf Langstreckendistanz.

Eine erste Gelegenheit bietet sich im Jahre 2003 bei der vorgesehenen Halbzeit-Revision der Agenda 2000. Renate Künast, die neue Ministerin für Verbraucherschutz, wird sich dabei mit etlichen ihrer EU-Kollegen hart anlegen müssen, die bei weitem nicht von gleichem Reformeifer beseelt sein werden, wie ihn die deutsche Seite momentan zu erkennen gibt. Auch die Lobby der Groß-Agrarier, die angesichts der BSE-Krise zeitweilig in die Defensive gedrängt ist, wird dann mit massiver Schützenhilfe der Futtermittelbranche und des gesamten internationalen Agro-Business massiv mobil machen.

Außerdem dürfte schon bald eine nach dem Scheitern der WTO-Konferenz von Seattle (November 1999) zeitweilig in den Hintergrund getretene Kontroverse wieder aufbrechen: die Liberalisierung des Welt-Agrarhandels. Höhere Preise für europäische Qualitätsprodukte lassen sich nämlich nur dann durchzusetzen, wenn sie nicht durch Billig-Angebote aus Übersee unterlaufen werden. Sollten die Importschranken nicht nur für hochwertiges argentinisches Steak-, sondern auch für Hormonfleisch made in USA gehoben werden, sollten sich die Schleusen für genmanipulierte Billigprodukte öffnen, müssen sich die europäischen Bauern besonders warm anziehen.

Eine entscheidende Voraussetzung für naturnahen Landbau wäre insofern die Absicherung hoher Verbraucherschutz- und Umweltstandards in den bevorstehenden WTO-Verhandlungen. Es bleibt eine spannende und aufschlussreiche Frage, ob sich der deutsche Auto-Kanzler auch dann noch hinter seine neue grüne Frontfrau stellt, wenn ihn Duzfreunde aus der PS-Branche wieder anläuten und auf Kompromisse zugunsten des freien Welthandels drängen sollten.

Lauscht man in diesen Tagen EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler, erscheint die Agenda 2000 fast schon als agrarpolitische Öko-Bibel, deren Botschaft von den Deutschen nur noch nicht recht verstanden wurde. Gerade sie, so der Kommissar, erlaube doch den Einstieg in die beschworene Neuorientierung der Agrarpolitik. Vorhandene Spielräume seien leider bisher in deutschen Landen nicht genutzt worden. Hier hat Fischler zweifellos recht, auch wenn er sich zuweilen ein wenig zu heftig auf die eigene Brust klopft. Die Agenda stellt es in der Tat ins Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten, einige der schlimmsten Auswüchse der industriellen Massentierhaltung oder der Überdüngung der Äcker zumindest abzumildern. Die Regierungen sind sogar gehalten, nationale Mindestumweltstandards festzulegen, die für alle Landwirte verbindlich sind.

Was unter "guter landwirtschaftlicher Praxis" zu verstehen ist, kann also in Berlin bestimmt werden. Die neue Superministerin Renate Künast und Umweltressortchef Jürgen Trittin haben damit die Möglichkeit, die ökologischen Zügel durch Verschärfung allzu laxer Vorschriften deutlich anzuziehen. Verstöße gegen solche Auflagen, etwa ungebremste Gülleflut überdimensionaler Mastanlagen, können durch Kürzungen oder gar vollständige Streichung direkter Einkommensbeihilfen sanktioniert werden. An dieses heiße Eisen hat sich Berlin bislang auch nicht im Ansatz herangewagt - wird es Renate Künast tun?

Die Öko-Kasse könnte noch weiter gefüllt werden ...

Neben der Peitsche bietet Brüssel auch reichlich Zuckerbrot. Mit der Agenda wurde eine Extensivierungsprämie für Rindermäster eingeführt, die der intensiven Stallhaltung abschwören und das Vieh wieder auf die Weide treiben. Auch können freiwillige Leistungen, die über Mindeststandards hinausgehen, durch Agrarumweltzahlungen honoriert werden. Die dafür im EU-Haushalt vorgesehenen Mittel sind erheblich aufgestockt worden. Nordrhein-Westfalens Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn hat damit schon so manchen Landwirt bewegen können, sein Vieh nicht in enge Boxen zu pferchen. Auch für die Vermarktung von Qualitätserzeugnissen oder die Umstellung auf den in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckenden Ökolandbau steht Geld aus Brüssel zur Verfügung. Die Öko-Kasse könnte noch weiter gefüllt werden, wenn Deutschland nach britischem oder französischem Vorbild die Subventionen für Großbetriebe kürzen wollte. Diese Degression, die Franz Fischler schon mit der Agenda 2000 am liebsten generell verordnet hätte und derzeit beständig anpreist, hat allerdings einen Pferdefuß. Eine solche finanzielle Daumenschraube würde die im Osten dominierenden Großbetriebe zu harter Rationalisierung zwingen und damit vom Tugendpfad naturnahen Wirtschaftens abdrängen. Die Praxis zeigt vielmehr, dass groß bei weitem nicht immer Intensivmast oder gar Agrarfabrik bedeutet. In Brandenburg, wo die meisten Flächen von LPG-Nachfolgern bewirtschaftet werden, stehen im Durchschnitt 0,5 "Großvieheinheiten" auf dem Hektar. In Nordrhein-Westfalen wird das Vierfache als Extensivierungsgrenze angestrebt. Auch im ökologischen Landbau liegen Mecklenburg-Vorpommern mit sieben und Brandenburg mit sechs Prozent aller Betriebe an der bundesdeutschen Spitze. In Bayerns Familienbetrieben ist hingegen die intensive Bullenmast bei Zukauf von dubiosem Industrie-Futter an der Tagesordnung. Degression wäre also nur dann ein Hebel zur Durchsetzung naturnaher Qualitätsproduktion, wenn sie nicht an der Betriebsgröße, sondern an Extensivierungskriterien oder der Zahl von Arbeitskräften pro Flächeneinheit festgemacht würde.

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