Von Fall zu Fall

Schlüsselwerk Blick in das Internationale Germanistenlexikon

Nun ist der Kokeldampf verraucht, den man offenbar meinte entfachen zu müssen, da das Internationale Germanistenlexikon 1800 bis 1950 sonst für die Medien nicht sexy genug sei: Über die NS-Mitgliedschaften einiger Prominenter wird nun einschlägig akademisch weiter diskutiert, unterm Stichwort "Jugendsünde". Das soll nicht noch einmal aufgerührt werden. Indes hat das Lexikon auch so gebührende Aufmerksamkeit verdient. Denn es ist das Ergebnis einer stupenden Arbeitsinvestition und -organisation: Über 700 Mitarbeiter haben biobibliographische Artikel zu über 1.500 Germanisten aus über 40 Ländern vorgelegt: Drei Bände mit über 2.200 Seiten sind so entstanden. Sie sind zudem auf einer CD-ROM zu haben.

"Wer als Germanist gelten darf, ist nicht leicht zu bestimmen" - heißt es im Vorwort, das auf den Wandel des fachlichen Selbstverständnisses und der Zeitläufte verweist. Jedenfalls sei bei der Suche nicht der deutsche Professor das Leitbild gewesen. Immerhin 12.000 Namen haben zur Diskussion gestanden, aus denen die nun vorliegenden ausgewählt wurden. Dabei wurde insgesamt weniger nach einem wie auch immer gearteten Kriterium der fachlichen Bedeutung als nach einem gegenwärtigen Verständnis von political correctness verfahren: In der Karriere behinderte jüdische Intellektuelle, zur Emigration Gezwungene, Literaturkritiker, Publizisten, auch marxistische Intellektuelle, vor allem aber Frauen wurden gegenüber dem doch weithin völkischen oder nationalistischen Mainstream überproportional berücksichtigt. So ist eher eine Germanistik entstanden, wie sie vielleicht hätte sein sollen als eine, wie sie sich real gebärdete.

Von daher wiederum ist das Nachschlagewerk, wenn man es nicht einfach nur von biografischem Fall zu biografischem Fall benutzen will, als statistisches Schlüsselwerk nur bedingt geeignet. Dennoch verlockt natürlich gerade eine CD-ROM zu entsprechenden Recherchen. Tatsächlich ist, sieht man denn doch noch mal nach, die Liste der NSDAP-Mitglieder recht lang, wohingegen zum Beispiel SED-Mitgliedschaften sich nur in einem guten Dutzend finden, kaum mehr, wiewohl die Partei einiges länger gedauert hat. Es gibt Mitglieder der SPD, eine handvoll bekennende CDU-Mitglieder, aber niemanden, der in der CSU gewesen sein will. Das bestätigt noch einmal die Schieflagen bei solchen Suchen. Anderes ist ergiebiger. Sucht man zum Beispiel auf braunen Spuren nach "Hitler", dann zeigt sich, wie oft Titel und Ehrungen durch den "Führer" vergeben wurden oder wer ihm ehrerbietig schleimend was widmete. Wohingegen wiederum zum monströsen Forschungsprojekt des SS-Ahnenerbes zu "Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte" neben einem Mitarbeiter lediglich zwei zu finden sind, deren Teilnahme abgelehnt wurde.

Das Stichwort "Feuilleton" zeigt, dass der erklärte Erzfeind des Faches verblüffend früh und überaus zahlreich innerhalb der angeblich dichten Mauern zu finden war. Bei derartigen Spielchen findet man etwa auch heraus, dass die aparte Form der Ghaselen offenbar den Forscherdrang nicht beflügelte und selbst das lyrische Haustier Sonett weniger häufig traktiert wurde als zu erwarten. Natürlich kann man auch nachsehen, wessen Vater Fabrikant war - oder gar, wer selbst: Immerhin hat sich ein argentinischer Germanist, unter anderem Nachlassverwalter Stefan Zweigs, demnach als Fabrikant von Rouleaubändern durchgeschlagen. Und wenn man dann auf Entlassungen wegen sexueller Vorlieben trifft oder die Information, dass einer seiner geschiedenen Frau das weitere Führen seines Namens habe verbieten lassen, dann ist man entschieden zu tief im Boudoir gelandet. Eher peinlich berührt, stiehlt man sich mit Hilfe des nächsten Stichworts wieder hinaus. Zweckentfremden lässt sich ja alles. Dies von Christoph König und dem Basislager des Deutschen Literaturarchivs in Marbach in jeder Hinsicht vorbildlich organisierte Werk wird auch solcherlei überstehen.

Internationales Germanistenlexikon 1800 - 1950. Herausgegeben von Christoph König. de Gruyter, Berlin 2003, 3 Bände. 2256 S., und 1 CD-ROM, 348 EUR


der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden