Von Fatah, Israel und Hamas verraten

Nahost Die Lage der Palästinenser hat sich durch die Waffenruhe kaum verbessert. Netanjahu ist einer Entmachtung aber bis auf weiteres entgangen
Ausgabe 21/2021
Palästinensische Kinder bei einer Kerzenandacht in Gaza. Nach der Waffenruhe beginnt hier das große Aufräumen und die große Trauer
Palästinensische Kinder bei einer Kerzenandacht in Gaza. Nach der Waffenruhe beginnt hier das große Aufräumen und die große Trauer

Foto: Fatima Shbair/Getty Images

Die Waffenruhe ist in Kraft. Binnen zwei Wochen wurden zwölf Israelis getötet, Dutzende verletzt. Im Gazastreifen starben 250 Menschen, darunter 66 Kinder, 1.900 sind verletzt und 70.000 obdachlos, ganze Straßenzüge liegen in Trümmern. Hinter diesen Zahlen verbergen sich beidseitig Leid und Traumata, und sie offenbaren das asymmetrische Verhältnis der Kriegsparteien. Im Diskurs über den Krieg in Nahost, der auch hierzulande immer unsachlichere, heuchlerische und spalterische Züge annimmt, wird meist suggeriert, es handele sich um zwei ebenbürtige Kontrahenten: Hamas versus Israel.

Dabei wird die Tatsache übergangen, dass die israelische Regierung 2005 ihre Truppen und die Siedler aus Gaza zwar abzog, den übervölkerten Landstrich seither aber weiterhin von Meer, Land und Luftraum aus beherrscht. Kein Bewohner Gazas kann ohne Genehmigung der israelischen Behörden ausreisen; selbst die Aus- und Einfuhr von Waren wird streng kontrolliert. Seit Bestehen der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete 1967 wurden unzählige Vorschriften der israelischen Militärbehörden eingeführt, um die Bevölkerung zu maßregeln und nach Belieben kollektiv zu bestrafen.

Niemand darf Israels Recht auf Selbstverteidigung bestreiten, dasselbe gilt aber auch für die Palästinenser unter alltäglicher Besatzung. Hamas unterdrückt Gazas Einwohner, dennoch ist sie als politische Instanz mit Israels Regierung nicht gleichzusetzen. Seit der Ersten Intifada passten die Islamisten allen israelischen Regierungen als Gegengewicht zur säkularen PLO ins Konzept, man ließ sie gewähren. Die Maßnahmen des Oslo-Friedensprozesses der 1990er Jahre waren es, die Palästinenser in Gaza, Ostjerusalem, Westbank und Diaspora trennten, ihren Widerstand und ihr Bestreben nach Selbstbestimmung schwächten. Die Palästinensische Autonomiebehörde kooperiert seit 1994 mit Israel, was den Prozess politischer Erosion beförderte. Die meisten Palästinenser fühlen sich mittlerweile fast gleichermaßen von Fatah, Israel und Hamas verraten.

Zynisch nehmen die Kontrahenten Tote für ihre Zwecke in Kauf. Benjamin Netanjahu braucht Hamas als Sparringspartner, um sich politisch an der Macht zu halten. Diese Militäroperation sei die nutzloseste von allen gewesen, sagen israelische Kommentatoren, weil die Raketeninfrastruktur der Hamas intakt geblieben sei. Netanjahu scheint allerdings seine Entmachtung durch die Bildung einer neuen Regierung unter Oppositionsführer Yair Lapid erfolgreich abgewendet zu haben, seine Strafverfolgung wegen Korruption ist abermals verzögert. Vom Tisch ist zum x-ten Mal die Aussöhnung zwischen Hamas und Fatah, die überfällige palästinensische Wahl aufs Neue verschoben.

Spätestens nach der israelischen Militäroffensive 2014 hieß es, der Gazastreifen müsse wirtschaftlich unterstützt und Hamas beseitigt werden, um den Konflikt zu beenden. Doch mit dem Mantra der Zweistaatenlösung und humanitärer Hilfe, wie sie Außenminister Heiko Maas jetzt wieder verspricht, lässt sich kein Frieden machen. Internationaler Druck ist gefordert. Das sehen auch 759 jüdische Israelis so, die das Ausland auffordern, die „israelische Apartheid“ zu stoppen. Europa kann die Menschenrechte aller am Ort nur dann schützen, wenn es auf das Ende der Besatzung drängt und Palästina endlich als Staat an der Seite Israels anerkennt. Dazu gehört, Hamas in die Verhandlungen einzubeziehen.

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