FREITAG: Wenn man in den vergangenen Wochen die Presse gelesen hat, konnte der Eindruck entstehen, in Hessen setze das Böse zum Sprung an - namentlich die Linkspartei, gefolgt von der Sozialdemokratin Andrea Ypsilanti. Ist das landespolitische Parkett in Wiesbaden wirklich so zum Fürchten?
TAREK AL-WAZIR: Mit der Landespolitik hat die ganze Aufregung nur am Rande was zu tun. Der springende Punkt ist doch, dass in der Frage des Umgangs mit der Linkspartei die Bundes-SPD einen Richtungskampf austrägt. Daraus resultiert die Aufmerksamkeit der Medien, die bedient wird durch sozialdemokratische Politiker, die meinen, den Hessen die Welt erklären zu müssen.
Sind die hessischen Grünen freier in ihren Entscheidungen?
Die Grünen sind eine sehr antiautoritär strukturierte Partei, in der Druck von oben in aller Regel das Gegenteil von dem bewirkt, was man erreichen will. Natürlich sind wir mit unseren Bundespolitikern in Berlin im Gespräch. Aber es ist ganz klar: Was die hessischen Grünen machen, entscheiden einzig und allein die hessischen Grünen.
Aber Sie stünden sicher auch gern im Rampenlicht - doch berichtet wird fast ausnahmslos über SPD und Linkspartei, obwohl es um eine rot-grüne Minderheitsregierung geht.
Ich habe kein Problem damit, wenn die Presse ihren medialen Belagerungsring um andere legt. Wir Grüne beschäftigen uns mit inhaltlichen Fragen der hessischen Landespolitik. Und da sind wir, mit Verlaub, auch ganz erfolgreich und wollen es auch bleiben.
Die Grünen loben sich bereits als "treibende Kraft des Politikwechsels". Den gibt es also, ebenso eine Mehrheit gegen den nur geschäftsführenden CDU-Ministerpräsidenten Koch. Ist ein Regierungswechsel dann überhaupt noch so dringend?
Wir haben schon kurz nach der Wahl im Januar gesagt, dass eine Regierung ohne Mehrheit ein Problem hat, aber eine Mehrheit ohne Regierungsapparat auch. Da hat die SPD noch davon geträumt, Roland Koch im Parlament vor sich herzutreiben. Das geht aber nur bedingt. Wir haben zwar in der Gesetzgebung Erfolge erzielt, etwa die Abschaffung der Studiengebühren. Wenn diese rot-grün-rote Landtagsmehrheit aber Ziele verfolgen will, bei denen wir auf das Handeln der Exekutive angewiesen sind, stehen uns Koch und sein Apparat im Weg. Und das betrifft sehr wichtige Frage wie etwa Bundesratsentscheidungen oder Tarifpolitik im öffentlichen Dienst. Ein Politikwechsel ohne Regierungswechsel muss zwangsläufig unvollständig bleiben.
Was müsste eine rot-grüne Minderheitsregierung vor allem leisten?
In Hessen gibt es enormen Nachholbedarf bei der Energiewende. Die CDU hat auf diesem Gebiet jahrelang nichts vorangebracht, Roland Kochs Kabinett hat die erneuerbaren Energien massiv blockiert. Mit Biblis A steht das älteste noch laufende Atomkraftwerk in Hessen, bei Hanau soll jetzt der weltgrößte Steinkohlekraftwerksblock gebaut werden. Hier gibt es also viel zu tun. Daneben liegt ein Schwerpunkt auf der Bildungspolitik, wo wir Grüne den Schulkampf, der seit über 30 Jahren zwischen SPD und CDU ausgefochten wird, endlich beenden wollen. Wir wollen eine neue Schule, längeres gemeinsames Lernen auf freiwilliger Basis, kleinere Klassen und mehr echte Ganztagsangebote. Es gibt zudem einige Baustellen in der Verkehrspolitik - Flughafenausbau, Regionalflughafen Kassel, Autobahnen - wo unsere Differenzen mit den beiden großen Parteien im Landtag nahezu identisch sind. Die SPD vertritt da mehr oder weniger die Position der CDU. Das werden also harte Koalitionsverhandlungen, so es denn überhaupt welche geben wird.
Haben Sie schon mit der Linkspartei gesprochen?
Wir waren die einzigen, die gleich nach der Landtagswahl im Januar beschlossen haben, mit allen im Landtag vertretenen Fraktionen zu reden. Und wir haben das auch getan - von der CDU bis zur Linkspartei.
Was hatten Sie für einen Eindruck?
Die Abgeordneten der Linken sind Neulinge im Parlamentsbetrieb, das muss man in Rechnung stellen. So gesehen ist es auch nicht ganz verwunderlich, dass bei der Fraktion zum Teil naive Vorstellungen vom Politikbetrieb bestehen. Es macht aber auch keinen Sinn, die Partei zu ignorieren oder so zu tun, als ob mit ihr die Vorhölle in den Landtag eingezogen sei. Ich bin von einer Zusammenarbeit mit der Linken nicht begeistert. Aber das wäre ich von allen anderen rechnerisch möglichen Konstellationen auch nicht.
Wie viel Zeit geben Sie der SPD noch, sich in der Koalitionsfrage zu entscheiden? Deren Landesparteitag soll mit Rücksicht auf die Bayernwahl verschoben werden.
Ich mache nicht den Zeitplan für die SPD. Aber es muss allen bewusst sein, dass die Situation, die wir in Hessen haben, nicht ewig dauern kann. Die Frage an die SPD, ob sie zur Geschlossenheit zurückfindet, die stellen ja nicht nur wir Grüne, sondern die wollen die Sozialdemokraten auch selbst beantwortet haben. Wir sind gespannt auf das Ergebnis.
Treibt Sie die Sorge vor Neuwahlen?
Die Grünen müssten sich am wenigsten vor Neuwahlen fürchten, aber Neuwahlen können ohnehin nur der allerletzte Ausweg sein, wenn gar nichts mehr geht. So weit sind wir aber noch nicht. Im Übrigen braucht auch Roland Koch für Neuwahlen eine Mehrheit im Landtag.
Nach aktuellen Umfragen würden die Grünen gestärkt aus einer Neuwahl hervorgehen. SPD, Grüne und Linkspartei hätten aber keine Mehrheit mehr. Ein Problem für Sie?
Die Voraussage, wie Wahlen ausgehen, die traue ich mir nach den Erfahrungen mit den Differenzen zwischen Umfragen und Ergebnis beim letzten Mal nicht mehr zu.
Das Gespräch führte Vincent Körner
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