Frage: Als Anhänger welcher TV-Serie kann der intellektuell-kritische Mann im 21. Jahrhundert noch charmant bei Frauen landen? Seit gut einem Jahr lautet die Antwort: Mad Men (stilsichere Serie aus den Untiefen der New-Yorker-Werbewelt der 1960er Jahre). Aber wie erklärt man, was einem an dieser Serie gefällt? Natürlich dürfen Sie nicht sagen: „Ich wäre gern Don Draper“ – der mysteriös-coole, breitschultrige Creative Director– „und ich würde sofort Joan vögeln“ – die porzellanhäutige, sich rar machende Sexbombe. Damit verraten Sie sich als patriarchaler, heteronormativer Durchschnittsmann, der binäre Codierung für einen Agententhriller hält. Sagen Sie: „Mit Don Draper ve
222;Mit Don Draper verbindet mich die Liebe zu Old Fashioned“. Und dann, wenn die Frau sich freut, endlich einen Connaisseur getroffen zu haben, legen Sie nach: „Das schönste an der Serie ist, dass ich mich nicht entscheiden kann, wen ich heißer finde: Joan oder Don“. Mikael KrogerusMarienhof„Es wird viel passieren“: Früher habe ich täglich Marienhof geschaut. Dann bin ich der Sache irgendwie entwachsen – dachte ich wenigstens. Gestern habe ich nach vielen Jahren wieder einmal vorbeigeschaut. Zuerst nur neue Gesichter. Es folgt eine Szene, in der eine Toni ein verletztes Mädchen im Rollstuhl rettet. Zu meinen Zeiten gab es eine Toni, die blonde Tochter von Stefano, diese hier ist auch blond, aber sie ähneln sich sonst kaum. In höchster Not spricht sie Italienisch mit dem Mädchen. Sie muss es wohl doch sein, vielleicht haben sie die Schauspielerin ausgewechselt. Stefano gibt es noch. Das ist beruhigend. Mit seiner Frau führt er immer noch die Kneipe, in der Carlos und der Klempner, dessen Namen ich vergessen habe, als Gäste sitzen. Sie sagen nicht viel, aber es ist schön, dass sie da sind. Ich frage mich, ob Inge Busch noch lebt, so lange sie lebt, ist alles in Ordnung. Und was ist mit Dettmer? Ich fürchte, er ist schon lange tot. Ich erfahre, dass Stefano nun 50 ist, er will sich jünger machen und kleidet sich affig, er hat Probleme mit dem Alter. Nach zwanzig Minuten ist es vorbei, wie immer. Seit Oktober 1992 läuft die ARD-Soap täglich. Mit Stefanos Problemen kann ich etwas anfangen, vielleicht schaue ich nun wieder öfter mal rein. Michael AngeleMy Name is Earl Der Loser Earl Hickey ist der Alptraum jedes politisch Korrekten. Earl lebt in einem Trailer-Park, klaut, pflegt homophobe Vorurteile und ernährt sich von Dosenbier und Chips. Auch die anderen Figuren der NBC-Serie stammen aus dem White Trash. Da gibt es Earls Bruder Randy, hervorstechende Eigenschaft: „Er lebt auf der Couch.“ Und Ex-Frau Joy, eine Sonnenstudio-Blondine mit spitzer Zunge. Earl wäre aber kein echter Amerikaner, wenn er nicht an eine zweite Chance glauben würde. Nachdem er von einem Auto angefahren wurde, hört er erstmals von Karma: „Tue gute Dinge und dir werden gute Dinge widerfahren.“ Er macht eine Liste mit Missetaten aus seiner Vergangenheit, die es zu korrigieren gilt. Hier will jemand ein guter Mensch werden – und wir sehen ihm beim Scheitern zu. Mit jedem Eingriff ins Leben seiner früheren Opfer setzt Earl eine unheilvolle Dynamik in Gang, die alles nur schlimmer macht. Am Ende hat er alle Hände voll zu tun, den Status Quo wieder herzustellen. Das Lachen darüber erleichtert uns, die wir gar nicht erst versuchen, Fehler zu korrigieren. Und zugleich bewundern wir Earl für seinen festen Glauben, dass man sich neu erfinden kann. Jan PfaffSopranos Normalerweise geht der Held raus in die Welt, um Abenteuer zu bestehen. Tony Soprano fährt nach getaner Arbeit erst mal nach Hause – wo das wahre Leben wartet. Jede Folge beginnt mit dem Ritual der Rückkehr. Zu den Klängen von Alabama 3s Woke up this morning, got yourself a gun steuert der Don, Zigarre im Mund, seinen Dienstwagen heimwärts, vorbei an rauchenden Schloten, Bahnlinien und Brücken, bis nach North Caldwell, New Jersey, dem gutsituierten Vorort, wo Tony – der im Laufe der Serie sichtbar altert – stets mit demselben jugendlichen Schwung aus seinem Wagen aussteigt. Und los geht’s: Die Ehefrau will wissen, was aus ihr werden soll, wenn ihm mal was zustößt, die Tochter möchte das elterliche Auto haben, und der Sohn hat keinen Bock auf Sozialkunde. Der Mafiaboss als Familienmensch, der sich eben noch um seine Kinder sorgt und im nächsten Moment kaltblütig einen unbotmäßigen Mitarbeiter zu den Fischen schickt – das hat es auch schon vorher gegeben. Hinreißend und neu an den Sopranos ist die soziologische Präzision, mit der der „bürgerliche“ Alltag des aufstiegsorientierten Mafioso geschildert wird, und die Konsequenz, mit der dieser Alltag in den Mittelpunkt gestellt wird. Auch Verbrechen ist eben nur ein Job, bei dem man sich ein Burnout-Syndrom holen kann. Axel HenriciSix Feet UnderWas waren das doch für sinnstiftende Zeiten, als man sich einmal die Woche zu fortgeschrittener Stunde traf, um gemeinsam ein Tütchen zu rauchen und dabei die neueste Episode der US-amerikanischen Ausnahmeserie zu verfolgen! Wie der Titel erahnen lässt, behandelt Six Feet Under ein eher unangenehmes, tabuisiertes, wenn auch unausweichliches Thema: Die menschliche Vergänglichkeit. Jede Folge beginnt mit den letzten Minuten im Leben eines Menschen, der kurz darauf auf mal tragische, mal komische Weise das Zeitliche segnet. Die Leiche landet anschließend im Bestattungsinstitut von Familie Fisher, um die sich die Serie dreht. Im Pilotfilm ist es Vater Fisher selbst, der fortan seinen Hinterbliebenen erscheint, wobei sich nicht erkennen lässt, dass ihn das Jenseits besser, einsichtiger oder weiser gemacht hätte. Bisweilen vermittelt Six Feet Under das Gefühl, die Toten hätten gegenüber den Lebenden das bessere Los gezogen, so verstrickt sind die Beziehungen zwischen den Protagonisten, so unwahrscheinlich scheint eine Aussöhnung untereinander und mit sich selbst: Wer tot ist, hat den Schlamassel hinter sich. Familie Fisher hat wenig zu lachen, der Zuschauer bisweilen schon: Bei aller Tiefgründigkeit entbehrt die Serie nicht einer komisch-absurden Komponente. Die Serie ist ob der ständig spürbaren Verzweiflung der Figuren geradezu prädestiniert für Existenzkrisen-Zeiten im jungen Erwachsenenalter, wenn das Potential fürs Hinsteigern besonders hoch ist. Six Feet Under ist klug und ehrlich – aber gerade deshalb nicht optimistisch. Ergo sollte man sich die Serie lieber in einem emotional stabilen Zustand zu Gemüte führen, damit sich der Weltschmerz nicht ins Unendliche steigert. Nele JenschTwin Peaks Ein kauziger Holzfäller entdeckt vor der malerischen Kulisse eines Sägewerks eine Mädchenleiche im Fluss. Erschrocken eilt er zurück, lässt sich mit dem Dorfsheriff verbinden. Nach sieben endlosen Minuten der erste Satz: "She's dead. Wrapped in plastic". So beginnt die beste je geschriebene Fernsehserie. Alle Menschen mit TV-Anschluss fragten sich 1990: Wer tötete Laura Palmer? Die Frage wurde in Folge 24 der zweiten Staffel von Twin Peaks beantwortet. Zu einem Zeitpunkt als die einen nicht mehr hinsahen und die anderen die Frage vergessen hatten, weil auf einmal der Verdacht da war, dass da noch mehr sein muss als das, was sichtbar ist. Dinge, die die Wirklichkeit sprengen, weil sie mehr Platz brauchen, als die Normalität zu bieten hat. Und all das in einer Fernsehserie!Die Frage, wer Laura Palmer – das schöne Schulmädchen mit dem Doppelleben - tötete, war für die Schöpfer der Serie, David Lynch und Mark Frost, zweitrangig geworden, sie entschieden sich erst spät aus einer Verlegenheit heraus für einen Mörder. "Wir wollen den Zuschauer jede Woche in eine andere Welt, in eine andere Stimmung versetzen", wurde Frost zitiert. Die Bildsprache war voller Zeichen, die dechiffriert werden wollten, es gab Einarmige und Riesen, Besessene und Rückwärtssprecher – allein schon das Musikthema von Badalamenti! – und es gab Figuren, die so abgrundtief böse waren (Bob, Windom Earle), dass man heute, 20 Jahre später, noch erschaudert. Und wer sich damals vor dem Fernseher nicht in die mysteriös-schöne Audrey Horne und/oder den abergläubischen Rationalisten Dale Cooper verliebte, der hatte kein Herz. Die Geschichte wurde von Episode zu Episode verwirrender und metaphorischer und undurchschaubarer. "Through the darkness of futures past, the magician longs to see. One chants out between two worlds: fire walk with me", war das beziehungsreiche Motto der Serie, die in einem furchterregenden, nie erreichten Cliffhanger endete. Mikael KrogerusWillkommen im LebenMit 14 ist die Welt ein öder Ort, ein undurchdringlicher Morast, ausweglos umzingelt von Feinden (Eltern, Lehrer, böswillige Altersgenossen). Die Verheißungen der Zukunft liegen noch in unerreichbarer Ferne. Fernsehen ist da der beste Eskapismus – umso mehr, wenn es dort um Menschen in derselben, pubertätsbedingt leidvollen Lebensphase geht. Willkommen im Leben (engl. My So-Called Life, was den Serienstoff wesentlich besser beschreibt als der viel zu optimistische deutsche Titel) erzählt vom Erwachsenwerden der 15jährigen Angela, hinreißend verkörpert von der jungen Claire Danes. Angela rebelliert gegen ihre liebevollen, aber spießigen Eltern, bricht mit alten Freunden und findet neue. Sie betet den coolen, introvertierten Schulverweigerer Jordan Catalano (Jared Leto) an, und diese Liebe ist genauso verzweifelt, bittersüß und von Sprachlosigkeit geprägt, wie es das erste Aufwallen romantischer Gefühle nun mal an sich hat. Im Gegensatz zu den üblicherweise realitätsresistenten, klinisch reinen Settings von Teenagersoaps (wie das zeitgleich ausgestrahlte Beverly Hills, 90210) ermöglicht My So-Called Life eine wirkliche Identifikation des Zuschauers mit den Protagonisten. Die Serie bemüht sich um einen sensiblen und anspruchsvollen Umgang mit den Höhen und Tiefen im Leben von Heranwachsenden, behutsam fängt sie deren Melancholie ein, die man nach vollendeter Adoleszenz schnell vergisst. My So-Called Life bringt Erinnerungen zurück, nicht nur an Ereignisse, sondern an subtile Stimmungen, die das Leben einige entscheidende Jahre lang geprägt haben. Nele Jensch
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