Von Madonna lernen

Eventkritik In schwierigen Zeiten suchen Menschen Vorbilder an unvermuteter Stelle. Der Xing-Querdenkerclub zum Beispiel bei Madonna. Über einen seltsamen Abend in der Krise

Eine der ganz großen Fragen des 21. Jahrhunderts: Verpass ich etwas, wenn ich nicht Mitglied bei sozialen Netzwerken wie Facebook oder Xing bin? Die Antwortet lautet: Ja. Ereignisse wie dieses zum Beispiel: An einem Dienstagabend treffen sich 100 Menschen in der Lobby eines Berliner Großhotels. Sie haben über Xing – so etwas wie Facebook für Berufstätige – von dem „Querdenker-Club“ gehört. Als „führende Networking-Plattform“ innerhalb und außerhalb von Xing bezeichnet der Club sich selbst. Zielgruppe sind Manager, die von sich sagen, sie seien Querdenker. Das sagen natürlich die meisten, und so hat der im Juni 2008 gegründete Club inzwischen 45.000 Mitglieder. Bei einem Art Massen-Blinddate trifft man sich nun zu einem Vortrag mit dem Titel: „Pop-Ikone Madonna – Vorbild für krisengebeutelte Manager?“

Wie sehen querdenkende, krisengebeutelte Manager aus dem Xing-Imperium aus? Bei einem Glas Sekt in der Lobby stehen verwechselbar ähnliche Gestalten, meist über 40, in dunklen Anzügen die Männer, im braven Deuxpièces die Frauen. Menschen also, die biederer wirken als die eigenen Eltern. Andererseits ist man selbst auch langsam in dem Alter, wo man weiß: Die Guten kann man nicht an der Kleidung erkennen. Vielleicht sind hier Leute, die wirklich etwas verändern wollen?

100 Querdenker also, die andere Querdenker kennenlernen wollen. An meinem Stehtisch: Ein jugendlicher Innovations-Scout eines Wind-Energieriesen, ein wortkarger Unternehmensberater, ein Projektmanager eines ins Straucheln geratenen Finanzdienstleisters, eine ältere Dame von BMW, die in ihrem Auftreten etwas Iris-Berben-Haftes hat. Warum sind die hier? „Ich bin Anfang der 80er mit den Kindern aus der DDR ausgereist. Mein Leben war schon immer quer“, erzählt sie. Der Unternehmensberater sagt: „Ich möchte eigentlich niemanden kennenlernen, ich hoffe hier auf geistigen Input“.

Für den Input soll Gastredner Martin Kupp sorgen, Dozent der „European School of Management and Technology“ in Berlin. Kupp will herausgefunden haben, dass Madonna ein Paradebeispiel für „angewandte Strategie“ ist. Er unterfordert die Querdenker mit folgenden Thesen: Madonna ist so erfolgreich, weil sie eine Vision hat, weil sie konsequent ist, weil sie ständig jene kopiert, die cool sind und sich so alle paar Jahre neu erfindet. Die erste Frage aus dem Publikum lautet: „Was hat Madonna mit querdenken zu tun?“ – „Nichts, aber ich wurde gebeten, über Madonna zu reden“, antwortet Kupp offen. Er ist ein guter Redner, er verpackt das Nichts in kluge Ausführungen über Marktstrategien. Am Ende des Vortrags würde man ihm etwas abkaufen, wenn er denn etwas anbieten würde.

Später am Buffet (Bulletten, Mozzarella mit Tomaten) versuchen die Querdenker, die Kosten des Abends (zwischen 60 und 90 Euro) wieder reinzufuttern. Enttäuschung macht sich breit. Man hatte Tipps erwartet, wie man in einer festgefahrenen Situation neue Ideen durchbringt, statt dessen gab es Anekdoten aus der überdrehten Popwelt. Veranstalter Otmar Ehrl kann das die Laune nicht verderben.“ Es geht um Veränderung“, sagt Ehrl. „Du heiratest, du kriegst Kinder, du lässt dich scheiden, du wechselst den Job, irgendwann gehst du in Rente – und das ist dann die millionste Veränderung in deinem Leben. Da sind wir nicht anders als Madonna – bloß, dass sie alle Veränderungen bewusst gemacht und daran verdient hat.“ Was er meint: Irgendwann schaust du zurück und merkst, wie brav du warst, wie du an jeder Weggabelung immer nur aus den vorgegebenen Möglichkeiten gewählt hast, ohne zu überlegen, ob es auch einen anderen Weg gibt.

Am Ende entpuppt sich Ehrl als derjenige, der mit seinem Querdenker-Club wirklich von Madonna gelernt hat. Was mit einer fixen Idee auf Xing begann, ist für ihn inzwischen zum Geschäftsmodell geworden. Hat nichts mit querdenken zu tun? Denken Sie mal darüber nach.

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