A-Z „Sing meinen Song“ wird 10 Jahre alt, Jan Böhmermann moderiert mit Olli Schulz im Radio den ESC – sie hatten legendäre Vorgänger, wie Alfred Biolek oder Ilja Richter. Und was tat eigentlich Erich Honecker gegen Langeweile? Unser Lexikon
Deutschlands beliebteste Quizsendung der 1980er Jahre: „Erkennen Sie die Melodie?“
Foto: „Erkennen Sie die Melodie?“; United Archives/Imago Images
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Anfänge Ich erinnere mich noch an die Mutter aller Musikshows, Erkennen Sie die Melodie?, mit Ernst Stankovski oder Johanna von Koczian. Gesendet wurde ab 1969, da war ich gerade mal zehn Jahre alt, schaute mit meinen Eltern zusammen und es wurde fleißig mitgeraten, schließlich ging es um Opern und Operetten, auch Musicals, aber da wussten die beiden nicht so Bescheid. Die Kandidaten (➝ Canzone) mussten live gesungene Melodien erkennen mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass das Setting nicht stimmte. Eine Arie aus dem „Barbier von Sevilla“ wurde im falschen Bühnenbild präsentiert, das man dann auch noch benennen musste. Und das Ganze unter Zeitdruck! Eigentlich habe ich fast mein gesamtes Wissen zu diesem Thema, der „leichten Muse
mtes Wissen zu diesem Thema, der „leichten Muse“, aus dieser Sendung. Noch heute kann ich die Titelmelodie aus der Ouvertüre zur komischen Oper Donna Diana nachsingen. Jutta ZeiseBBio’s Bahnhof Als Sammy Davis jr. sich 1982 für Bio’s Bahnhof ankündigte, war man im Frechener Eisenbahndepot auf alles vorbereitet, um den Superstar würdig zu empfangen. In dieser außergewöhnlichen Musikshow, in der spätere Stars wie Kate Bush und Sting ihre ersten TV-Auftritte in Deutschland hatten. Durch den Bahnanschluss konnten die Stars per Zug an das Bühnengleis gefahren werden. Mit einem Wunsch des amerikanischen Sängers rechnete man aber nicht: Portwein.In seiner Not rief Alfred Biolek Milva an, die dann mit dem Port aus dem Hotel zum Depot eilte. Und da man keine Portweingläser hatte, verkaufte der findige Jurist Biolek dem Weltstar eine Kölschstange als regionales Portweinglas. Davis nahm keinen Anstoß daran, im Gegenteil: Er würdigte die Show on stage so: „Ich muss sagen, dass dies die außergewöhnlichste und am wunderbarsten gemischte Fernsehshow ist, in der ich jemals die Ehre hatte, auftreten zu dürfen.“ Bio hörte kurz danach mit der legendären Show auf. Jan C. BehmannCCanzone Lass uns San Remo einschalten, sagte mein italienischer Mann. Come?Das Gloria- und Ti-amo-Festival? Er spielt sonst eher Mark-Knopfler-Soli. „Das gucken alle!“, verteidigte er sich. Das Festival della Canzone Italiana, der älteste Popmusikwettbewerb Europas. Anfangs lief es nur im Radio, seit 1955 wird es im Fernsehen übertragen. Nach seinem Vorbild entstand 1956 der Grand Prix, Vorläufer des heutigen ➝ ESC. San Remo war immer mehr als nur Show, ein Blick in Italiens Befindlichkeit. Früher streng konservativ, wie das katholische Land, landeten Rebellen wie Vasco Rossi auf dem letzten Platz.Zuletzt wurde es immer politischer: Im Februar machte Oscar-Gewinner Roberto Benigni dem Artikel 21 der Verfassung (es geht um Meinungsfreiheit) eine Liebeserklärung, Italiens Präsident Sergio Mattarella saß erstmals im Publikum und nickte. La Repubblica schrieb: Die entschiedenste Opposition gegen die rechte Giorgia Meloni komme vom San-Remo-Festival. Fast elf Millionen schauten dieses Jahr zu, eine Rekordquote für das Flaggschiff der Rai.Natürlich liegt das auch an den Canzoni. Al Bano trat auf, der Schlagerdinosaurier, die Glamrock-Band Måneskin, die Black Eyed Peas, sogar Depeche Mode. Wie kann man da abschalten? Maxi LeinkaufDDisco Wie wenig es für eine Musikshow braucht und dass Showmaster sein trotzdem gekonnt sein will (➝ Bio’s Bahnhof), bewies in den Achtzigerjahren Ilja Richter mit disco: ein Tresen, ein kreisförmiges Spotlight, ein Barhocker, auf dem Sänger Platz nahmen, etwa Jürgen Drews, der bei Ein Bett im Kornfeld das Publikum mit „Jetzt macht doch mal mit“ zum Klatschen animierte. Die Adresse für Autogrammkarten wurde bei jedem Song eingeblendet. Hin und wieder las Ilja Richter anstelle von Zwischenmoderationen Zuschauerpost vor. Stars, die nicht vorbeikamen, wurden per Video eingespielt. Meine Schwester und ich saßen im Schlafanzug vorm Fernseher und sangen die englischen Lieder später in Kinderkauderwelsch nach.In seiner Beschränkung auf das Wesentliche kommt mir disco heute wie das Manufactum unter den Musikshows vor. Beate TrögerEESC Der Eurovision Song Contest findet seit 1956 jährlich statt und erreicht mehr als 180 Millionen Zuschauer. Das hat auch mit legendären Moderator:innen zu tun. Jan Böhmermann und Olli Schulz ordnen diesen Mai aus Liverpool für den ORF ein. Und beerben damit nicht ESC-Legende Peter Urban (ARD), sondern die Altmeister Stermann & Grissemann, die das Spektakel – eine Mischung aus Folklore, Schlagerpop und seltsamen Bühnenoutfits (➝ Zander, Frank) – von 1995 bis 2002 auf Radio FM4 bissig kommentierten. Elke AllensteinFFreilichtbühne Conférencier Günthi Krause erzählt Schwiegermutter- und Ehefrauenwitze. Dann kommt Andreas Holm im schmalen weinroten Dreiteiler, Seitenscheitel, Haare gepflegt über Ohren und Kragen, auf die Bühne und singt orchesterbegleitet: „Bin schon vergeben ...“ Danach wirft jemand diverse glitzernde Maiskolben in die Luft. Überhaupt funkeln viel Strass und Glimmer auf der Bühne. Scheinwerfer nicht. Es ist Nachmittag. Ich bin zwölf und darf zum Parkfest auf der Freilichtbühne in Brüssow radeln. Ich kriege nicht mit, dass Günthi auch meine Oma und meine Mama meint, um meinen Papa zum Lachen zu bringen. Aber was der schicke Andreas singt, verstehe ich, weil heftig, wenn auch unerklärt, in Christiane verliebt. Michael Suckow GGespräche Trotz der Musikshow-Anteile ist Inas Nacht sehenswert. Gewiss, eigentlich sollen musikalische Einlagen den Late-Night-Talk im Hamburger Schellfischposten aufpeppen. Aber regelmäßig wirken diese wie Störelemente, die die Gespräche unterbrechen. Da hat eine Unterhaltung mit den meist gut ausgesuchten Gästen gerade Schwung bekommen, schon muss sie ein Lalala zerstören. Gemeint ist nicht nur der Shanty-Chor, der wie ein Karnevalstusch ins Gespräch rauscht: „Witzig, witzig! Heute haben wir gelacht, denn wir sind bei ,Inas Nacht‘, hahahahaha, hey.“ Eine Ausnahme: der Auftritt von Dieter Pfaff 2017 und seine Version von Johnny Cashs Ring of Fire. Doch die um Lokalkolorit bemühte Einlage ist angesichts der schwer hamburgernden Müller überflüssig. Auch die musikalischen Gäste nehmen dem Talk meist Esprit und Leichtigkeit, wirken wie Pflichtaufgaben. Immerhin gibt die Moderatorin Newcomern und eigenen Entdeckungen eine Bühne, statt sich mit Stars zu schmücken. Tobias Prüwer KKessel Buntes „Theo, wir fahr’n nach Lodz“, sang Vicky Leandros, und meine Eltern, noch in den besten Jahren, machten es sich in ihren Sesseln bequem. Ein Kessel Buntes wurde im Januar 1972 erstmals im DDR-Fernsehen ausgestrahlt. Nach der Mahnung Erich Honeckers auf dem VIII. Parteitag der SED, in den Adlershofer Studios „eine bestimmte Langeweile zu überwinden“, war das kein Zufall und erhielt entsprechende Finanzierung. Eine Show mit Musik, Komik, Tanz und Artistik – 118 Ausgaben mit fast 11.000 Mitwirkenden gab es in mehr als 20 Jahren. Wer in der Unterhaltungskunst des Ostens Rang und Namen hatte, war dabei. Und hinzu kamen – ein Novum! – Gäste aus dem „Westen“. Nicht kostenlos natürlich, erwiesen sie der DDR Respekt: Katja Ebstein oder Amanda Lear, Mireille Mathieu oder Bonnie Tyler, Adamo oder Alphaville – für jeden sollte was dabei sein. Und man wollte den Samstagabendprogrammen von ARD und ZDF (➝ Öffentlich-rechtlich) Konkurrenz machen. Zumindest in diesem Fall könnte es gelungen sein. Irmtraud GutschkeÖÖffentlich-rechtlich Dass dieser Eintrag der längste ist, drückt den Proporz aus, der Musikshows im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukommt. Aktuell ruft das die Jungen Liberalen auf den Plan. Beim FDP-Parteitag am kommenden Wochenende wollen sie einen Antrag gegen Unterhaltungsshows im ÖRR einbringen: „Wer Florian Silbereisen sehen will, der kann dafür zahlen, genauso wie andere für ihr Netflix-Abo zahlen“, sagt ihre Vorsitzende.Im berüchtigten MDR war das Abendprogramm im April etwa zu einem Drittel von Schlagerartigem und Volkstümlichem geprägt. Etwas gemischter geht es bei anderen Sendern zu, wo neben Schlager auch Oldie, Klassik und ➝ Pop vorkommen darf. So sah die Playlist von Willkommen bei Carmen Nebel aus, die vor zwei Jahren von der Giovanni Zarrella Show abgelöst wurde, die sich jünger gibt. Musikalisch noch offener war Dieter Thomas Hecks ZDF-Hitparade. Hier entschied zunächst eine Jury über die Musikbeiträge, später orientierte sich die Auswahl an den Verkaufszahlen und den Radio-und-TV-Spielzeiten. So kamen da schon mal schräge Typen der Neuen Deutschen Welle auf die Bildschirme. Die „Hitparade“ brachte eine Neuerung mit sich: Es wurde live gespielt. In Wahrheit war es nur Halb-Playback, aber immerhin kam der Gesang nicht vom Band. Das ist heute wieder anders. Alle großen Musikshows setzen Voll-Playback ein. Anders seien diese nicht zu realisieren, heißt es von den Produzenten. Und die Künstler hätten so Raum für die Inszenierung. Tobias PrüwerPPop Am 5. April 1983 war es so weit: Pop kam im deutschen Fernsehen so richtig auf Touren. Das erste Mal lief die TV-Show Formel Eins auf allen dritten Programmen der ARD – und, verrückt, es waren auch Musikvideos zu sehen! Schon zwei Jahre nach der Gründung des Westcoast-Senders MTV. Heute wünscht man sich so etwas zurück: einmal Pop die Woche, präsentiert in einer Studio-TV-Werkstatt mit einem rosafarbenen Studebaker Starlight als Markenzeichen. Top-Ten-Hits aus Amerika und England, Neueinsteiger in den deutschen Charts, moderiert von zuerst Peter Illmann, dann Ingolf Lück, Stefanie Tücking und am Ende Kai Böcking. 300 Ausgaben wurden bis 1990 gesendet. Die erste Titelmelodie war der New-Wave-Knüller We Got The Beat von den Go-Go’s aus Kalifornien. Es gab einige Versuche, Formel Eins zu reanimieren, doch alles vergebens. Wer sich das alles noch mal anschauen möchte: 2013 erschien die Jubiläumsedition 30 Jahre Formel Eins auf drei DVDs, die es heute für kleines Geld bei Ebay gibt. Marc Peschke ZZander, Frank Mittlerweile mehr für seine soziale Ader bekannt, moderierte Frank Zander – gemeinsam mit der Spaßdrossel vom Dienst, Helga Feddersen – von 1976 bis 1980 Die Plattenküche in der ARD. Die Show begann immer mit einer „witzischen“ Kocheinlage zum Anwärmen. Wenn schon Hits, dann mit dem Mixer. Was ganz anderes sollte es werden und wurde, wie es immer war, nur noch überdrehter: Klamauk, Krawall, Griff an den Busen der Go-Go-Girls, Gags im Überbietungsmodus. Die Sendung war erfolgreich. ➝ Popgrößen oder solche, die es werden wollten, strebten masochistisch hin und fanden sich ab mit den schnöden Unterbrechungen durch scheppernde Scherze (1982). Magda Geisler