Von Voodoo, Schmerzen und Erlösung

Griechenland Die Sparpolitik raubt der Bevölkerung jegliche Perspektive. Wie Irrglaube an Heilung durch Spardogmen ein Land zugrunde richtet
Rentner und Angestellte protestieren gegen die Sparmaßnahmen ihrer Regierung
Rentner und Angestellte protestieren gegen die Sparmaßnahmen ihrer Regierung

Foto: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Staatsschuldenkrisen, das ist eine Faustregel, lassen sich nur auf dreierlei Wegen entschärfen: entweder durch Wachstum. Oder durch Enteignung der Gläubiger (Schuldenschnitt). Oder durch langfristige Enteignung aller (Inflation). Nur eines hat nie funktioniert: Paniksparen, in der Hoffnung, mit den Überschüssen könnten die Schulden zurückgezahlt werden. Denn wenn alle wie verrückt sparen, wird die Wirtschaft abgewürgt, Überschüsse wird es also nie geben. Das sollte eigentlich jedes Kind verstehen. Austeritätspolitik ist die falsche Antwort. Und doch zwingt man nun Griechenland erneut, diese verquere Antwort zu geben. Unter Druck der Troika verabschiedete das Parlament in Athen am Wochenende ein weiteres, das x-te Sparpaket, diesmal im Umfang von 9,4 Milliarden Euro. Davon sollen allein 7,6 Milliarden bei Renten und Gehältern gekürzt werden.

Die Folge ist eine tiefe soziale Krise. Rentner verarmen. Das Einkommen normaler Bürger fällt in den Keller. Ganze Generationen wachsen mit der Erfahrung heran, dass sie buchstäblich keine Chance haben. Ob die laufenden Budgets Überschüsse von einem Prozent oder Defizite von einem Prozent aufweisen: Das sind die Schlüsseldaten, auf die alle starren. Sie werden in den Rang der wichtigsten Markierungspunkte erhoben. Ob aber die Jugendarbeitslosigkeit bei 40 Prozent oder 50 Prozent liegt: Das ist angeblich nicht so wichtig.

Diese schräge Optik allein ist ein moralischer Skandal. Aber sie ist auch ökonomisch verrückt. Denn wer jungen Leuten die Möglichkeit versagt, ein ordentliches Einkommen zu erzielen, der schrumpft die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen. Der sorgt dafür, dass diese Volkswirtschaften noch in fünf, zehn und fünfzehn Jahren unter ihren Möglichkeiten bleiben werden. Der produziert heute eine Katastrophe, im falschen Glauben daran, dass sie morgen segensreiche Wirkung entfalten wird. Wer daran glaubt, der könnte auch Voodoo für vernünftig halten.

Glaube versetzt keine (Schulden-)Berge

Es lohnt sich, hier an einen Aufsatz von Finanzminister Wolfgang Schäuble aus dem Jahr 2011 zu erinnern. Darin heißt es: „Es gibt die Sorge, dass fiskalische Konsolidierung, ein kleinerer öffentlicher Sektor und flexiblere Arbeitsmärkte die Nachfrage in diesen Ländern in kurzer Frist unterminieren würden. Ich bin nicht überzeugt davon, dass dies wirklich der Fall sein würde, aber sogar wenn es der Fall wäre, müsste man eine Abwägung treffen zwischen dem kurzfristigen Schmerz und dem langfristigen Nutzen. Dieser wird den kurzfristigen Einbruch der Nachfrage aufwiegen.“

Aber welches Argument führte Schäuble an? Gar keines. Er glaubt einfach daran, dass es so sein wird. Er glaubt daran, so wie fromme Christen daran glauben, dass Schmerz Erlösung bringen wird. Aber das geschieht nur in der Fantasiewelt masochistischer Frömmler. In der wirklichen Welt der Makroökonomie bringt Schmerz nichts anderes als: Schmerz.

Vielleicht sollten die Anhäger dieser Religion mal einen großen Unternehmer fragen oder einen Anleger, in welchem Land er denn eher produktive Investitionen vornehmen würde: In einem mit vier Prozent Etatdefizit? Oder in einem mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit? Die Antwort würde wohl eindeutig ausfallen. Und es wäre gewiss nicht das Land, in dem das Prinzip Genesung durch Schmerz angewendet wird.

Robert Misik ist Publizist und lebt in Wien

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