Von wegen abschalten

Siemens und die Atomkraft Niemals eine Option aufgeben

Der Bereich KWU sorgt nur für fünf Prozent des Umsatzes, aber für 90 Prozent des Ärgers", meinte bereits 1987 der Siemens-Vorstand Adolf Hüttl über die Kraftwerkssparte des Unternehmens. Und auch zur Jahreshauptversammlung 2004 ist das so geblieben. Denn schon vorher kündigten Belegschaftsaktionäre und Anti-AKW-Gruppen neuen Ärger an. Grund: Die Verkäufe einer Atomfabrik nach China und eines Atomkraftwerks nach Finnland. Damit unterläuft Siemens den Atomkonsens der rot-grünen Regierung. Und nicht nur das: Die Befürchtungen, durch den Neubau in Finnland könnte die Atomkraft einen neuen Schub erhalten, werden durch Aussagen des Siemens-Managers Uriel Sharef bestärkt. Er bezeichnete den Auftrag als "Meilenstein für die weitere Entwicklung der Kernenergie". Siemens erwartet, "dass das finnische Beispiel auch in anderen Ländern Schule machen wird", so Sharef weiter.

Der finnische AKW-Neubau hatte auch in Deutschland zu Streit geführt. Trotz des sogenannten Atomausstiegs in Deutschland hatte die rot-grüne Bundesregierung eine staatliche Förderung des Atomkraftwerks durch Hermes-Bürgschaften geprüft. Solche Bürgschaften sichern üblicherweise Lieferungen an Schwellen- und Entwicklungsländer ab. Die Politik des bundeseigenen Kreditversicherers stößt regelmäßig auf massive Kritik bei Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, weil damit immer wieder ökologisch und sozial schädliche Vorhaben unterstützt werden. Siemens hatte dann im Dezember freiwillig auf eine solche Bürgschaft verzichtet, selbstverständlich nicht unbeeinflusst von der öffentlichen Reaktion. Zudem gab es in der EU-Kommission Bedenken, ob eine solche Bürgschaft mit europäischem Recht vereinbar gewesen wäre. Doch Siemens sorgte gleich mit dem geplanten Verkauf der schon zerlegten Atomfabrik von Hanau noch für einen weiteren Eklat.

Die beiden Atomgeschäfte sind für kritische Aktionäre Grund genug, den Vorstand auf der Hauptversammlung am 22. Januar nicht zu entlasten. Nach dem ständigen Personalabbau und der einseitigen Orientierung auf den "Shareholder value" - den kontroversen Themen der vergangenen Jahre - steht nun bei Siemens die Atompolitik im Mittelpunkt. Über den Bau eines AKWs in Finnland bewege sich die Siemens AG zurück in die Atompolitik, so die Kritik. In Wahrheit aber hatte man dieses Geschäft nie verlassen, auch wenn es zwischenzeitlich einige Schwierigkeiten gab. Vor allem der Nachwuchs an qualifiziertem Personal blieb aus, wie ein Siemens-Ingenieur berichtet, weil Atomkraft unpopulär geworden war. Spätestens jedoch seitdem Siemens im Jahre 2000 seine Kraftwerksaktivitäten mit der französischen Framatome zusammengelegt hatte, sah der Vorstand wieder neue Perspektiven für seine umstrittenste Technologie.

Besonders in Osteuropa werden immer noch AKWs gebaut. So hat die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung Gelder für ukrainische AKWs zur Verfügung gestellt - obwohl die Bundesregierung das angeblich blockieren wollte, hat sie sich nur der Stimme enthalten. Und im März 2000 genehmigte der interministerielle Ausschuss Hermesbürgschaften für den Neubau des AKW Lianyungang in China und die Nachrüstung der AKW Atucha I in Argentinien und Ignalina in Litauen.

Solche Entscheidungen sind vermutlich den guten Verbindungen zur Politik geschuldet, die bei Siemens Tradition haben. Nicht nur dass der Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer bei jeder Kanzlerreise nach China dabei ist - in den achtziger und neunziger Jahren hatte man massiv vor allem an die CDU/CSU gespendet, um Aufträge für AKWs zu bekommen. Also von wegen abschalten. Siemens hat nur in Deutschland die Abschreibung alter Atomkraftwerke akzeptiert und hofft darauf, dass bald eine andere Regierung den jetzigen Atomausstieg rückgängig macht. So groß ist der Ärger offenbar doch noch nicht, dass man ganz aussteigen möchte.


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