Von wegen stilles Örtchen

Transidentität In den USA tobt ein erbitterter Kampf um die Toilettenwahl von Menschen mit Transidentität. Der Streit ist aber nur ein Ausschnitt eines tiefgreifenderen Problems
Ausgabe 21/2016
Aufreger Klosett. Hier flitzt es
Aufreger Klosett. Hier flitzt es

Foto: Doug Pensinger/Getty Images

Mit der Stille auf dem Örtchen ist es erstmal vorbei. In den USA tobt ein Kulturkampf um öffentliche Toiletten. Obamas Regierung macht auf den letzten Metern mit ihrer Antidiskriminierungspolitik Ernst und weist Schulen und staatliche Einrichtungen an, auch für Menschen mit Transidentität Möglichkeiten zu schaffen, sich außerhalb der eigenen vier Wände zu erleichtern. Die konservativen Kräfte des Landes sind darüber in heller Aufregung: „Steuergeldverschwendung“ und „Klientelpolitik für eine irrelevante Minderheit“ lauten die Vorwürfe. Wenn man überhaupt bereit ist, sie als Minderheit anzuerkennen.

Denn die Auseinandersetzung um Toiletten ist nur ein kleiner Ausschnitt eines tiefgreifenden Problems. Und zwar dem, dass es immer noch zu viele Menschen gibt, die Transidentität für einen Witz halten. Für eine Geschmacklosigkeit, ein Täuschungsmanöver, eine Lüge. Für den Versuch, sich wichtig zu machen. Eigentlich gebe es bloß Frauen und Männer, Punkt. Und die sollten gefälligst nur auf die Toiletten gehen, die ihnen nach der Geschlechtsangabe in der Geburtsurkunde offenstehen.

Insbesondere Transfrauen sehen sich solchen Unterstellungen ausgesetzt. Ihnen wird in diesem Zusammenhang vorgeworfen, sich lediglich einen weiblichen Schafspelz zuzulegen, um sich als männlicher Wolf Zutritt zu einem geschützten Bereich zu verschaffen und dort auf Jagd zu gehen. Nach visueller Stimulation, nach weiblicher Nähe – oder nach potenziellen Opfern für sexualisierte Gewalt. Die Situation ist mittlerweile so absurd, dass eine junge Frau in Texas von einem ihr unbekannten Mann auf die Damentoilette verfolgt wurde. Weil sie Shorts, T-Shirt und Basecap trug, wollte er überprüfen, ob sie auch eine Frau ist. Und stellte damit genau die Situation her, die von den Gegnern einer Toilette für alle oder der Möglichkeit für Transmenschen, durch die Tür zu gehen, die sie als ihrer Identität angemessen empfinden, heraufbeschworen wird: Eine Frau fühlt sich durch einen Mann bedroht.

Selbstverständlich ist es wichtig, dass Frauen sich auf öffentlichen Toiletten sicher fühlen. Und ja, zweifellos könnten Täter transinklusive Regelungen missbrauchen. Aber Toiletten sind nicht die Ursache für Übergriffe. Dafür ist eine sexistische Gesellschaft verantwortlich, in der ständig angezweifelt wird, dass Nein auch wirklich Nein heißt. Und in der sexualisierte Gewalt nicht ausreichend geächtet wird. Und um eine solche Gesellschaft zu finden, muss man nicht über den Atlantik schauen. Ein kurzer Blick über die Schulter genügt.

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