Vor dem Gesetz

Männersache Schützenclubs in Berlin

Er gibt mir die Neun-Millimeter Tanfoglio. Fünf Patronen laden, Magazin einführen. Breitbeinig stehen, Waffe im 45 Grad- Winkel nach unten senken. Die rechte Hand hält die linke. Kimme, Korn. Einatmen. "Und gleichmäßig abdrücken", sagt er. "Nicht auf den Schuss warten. Es ist egal, wann der kommt." Arme heben. Atem anhalten. Zielen. Ich wackele jetzt schon. Wumm. Der Rückschlag des Schusses hebt den Arm nach oben, "Impuls" nennt er das. Hart, kurz, schnell, laut. Schießen ist nichts Besonders. Außer eben dem Gefühl, ein ziemlich gefährliches Ding in den Händen zu halten.

"Ich schieß schon immer." Jürgen Dirksen grinst in den Dreitagebart. Gemütlich. Auf seinem olivfarbenen Jerseyhemd sitzt ein kleiner Aufnäher mit dem Schriftzug "Military". Mit dem Blasrohr hat er gezielt, mit dem Bogen, mit dem Luftgewehr. Sein Großvater war bei der Kriminalpolizei, zwei seiner Onkel waren Jäger. Er hat gesehen, wie die zu Hause die Waffen putzten, und das hat ihm gefallen. Sofort ist Erfurt Thema, das Massaker, Robert Steinhäuser, der ja Mitglied eines Schützenvereins war. Als damals die Aufregung herrschte, war die Presse da, das Fernsehen, die haben gefilmt in seinem Schützenclub und worum ging es in dem Beitrag? Um Erfurt! So sind die Medien. Das waren keine wirklich legalen Waffen, mit denen der Robert die 16 Menschen erschossen hat. Dirksen zählt auf, wo der Amok laufende Schüler welche Waffe hatte beantragen müssen und wo was nicht stimmte in der Registrierung; die zur Pumpgun umgebaute Mosberg hätte er nicht haben dürfen, und die Glock 17 war nicht eingetragen, das hätte das Ordnungsamt längst merken müssen. Hat ja alles seine Ordnung. Es gibt legale Waffen und illegale. Und das ist ja klar: "Die meisten Morde geschehen mit Haushaltsgegenständen. Und dann kommt lange nichts. Und dann kommen die illegalen Waffen. Und dann kommt wieder lange nichts."

Der Clubraum hat niedrige Decken, mit seinen schmuddelig geweißten Wänden und dem abgetretenen Linoleum-Boden wirkt er heruntergekommen, hier und da stehen ausrangierte Couchmöbel, Vitrinen mit käuflich zu erwerbenden Souvenirs, Uhren, Dart-Pfeilen. Ein paar Männer im Alter um und über 50 versammeln sich an einer Art Kantinentisch, einer sitzt im Aufsichtsraum wie in der Pförtnerloge. Prospekte liegen herum, Kettner, Frankonia Jagd, und an der Wand hängt das Foto einer Blondine mit weißem Top, die eine Pistole im Ausschnitt trägt, darunter die Erklärung: "Waffenhalter des Schützenclubs Berlin". Darauf gucke ich hin und wieder, während wir reden.

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