Vor dem Hören: Schuhe ausziehen

Musik Eine neue Kompilation zeigt die ganze Dramatik und Wucht von Maria Callas
Ausgabe 25/2020
Die amerikanisch-griechische Sopranistin Maria Anna Sofia Cecilia Kalogeropoulos, Aufnahme aus dem Jahr 1954
Die amerikanisch-griechische Sopranistin Maria Anna Sofia Cecilia Kalogeropoulos, Aufnahme aus dem Jahr 1954

Foto: Baron/Getty Images

Sie war eine Erscheinung. Nicht nur mit ihrer Präsenz und der scheinbar aus der Antike stammenden, jedenfalls aus allem Zeitlichen herausgefallenen Schönheit. In ihrer Erscheinung vereinigte sich Mondänitat mit Geistesgröße. Womöglich werden einst, wenn selbst die Trümmer okzidentaler Zivilisation zu Staub zerfallen sind, gerade die 50er, 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts als die kulturelle Hochblüte dieser widersprüchlichen Ära gelten. Einer Ära zwischen überkommenen Traditionen und der unerschrockenen Befreiung von ihnen, zwischen originärem Kapitalismus und seiner profunden Kritik.

In der Persönlichkeit von Maria Callas verkörpert sich gewissermassen ihr Glanz und ihr Drama. Geboren in New York als Tochter griechischer Einwanderer, eroberte sie mit einem alles überstrahlenden Sopran eine Welt, die nach dem Zivilisationsbruch diese verschwenderische Pracht aufnahm, wie ausgetrockneter Ackerboden den endlich fallenden Regen aufnimmt. Das Zeitalter der Callas beginnt bereits 1944, als sie in Griechenland (nach der Scheidung der Eltern zogen die beiden Töchter nach Athen) in der dortigen Erstaufführung von Fidelio die Titelrolle übernimmt. Es folgt eine Karriere der Superlative. Ein Tonumfang von fast drei Oktaven, dazu die maßgeblich von ihr betriebene Renaissance des Belcanto lassen sie zur Diva schlechthin werden. Einer Diva, die jedoch den Boulevard ebenso mit Geschichten versorgt, wie sie das Feuilleton in Ekstase über ihre Stimmgewalt versetzt. Sie dreht 1969 mit Pier Paolo Pasolini einen Film und verbringt die Sommer auf der Jacht von Aristoteles Onassis. Die Welt liegt ihr zu Füßen, und gleichzeitig verzehrt sie der Liebeskummer. Die fast übermenschliche Fähigkeit, den Kosmos einer grenzenlosen Gefühlswelt unvermittelt und übergangslos anzuzapfen und in die Form einer buchstäblich umwerfenden Arie zu gießen, wird auf der gerade erschienenen Kompilation Maria Callas – Drama Queen noch eimal greifbar, kommt anhand von neun Beispielen wahrlich geballt über die Zuhörenden. Ziehen Sie die Schuhe vorher aus, Sie werden Sie ohnehin nicht anbehalten.

Max Dax, einst Chefredakteur des Spex, hat gemeinsam mit seinem Vater Fritz Bauer die Stücke zusammengestellt. Natürlich ist da Casta Diva aus Vincenzo Bellinis Norma dabei (die Scala-Version 1954, unter der Leitung ihres Mentors Tullio Serafin), jedoch schöpfen die beiden aus dem von Warner Classics 2014 digital remasterten und neu abgemischten Gesamtkatalog und fördern einige Trouvaillen zutage. Etwa die Aufnahme von 1958 mit ihrem Lieblingsdirigenten Nicola Rescigno. Maria Callas’ Lady Macbeth vermag es, sich vom gesprochenen Wort – dem Verlesen des Briefes ihres Ehemanns – explosionsartig in höchste Emotionalität zu steigern. Wer nun, was immer Sinn und Zweck solcher Kompilationen ist, das Bedürfnis verspürt, sich tiefergehend mit Maria Callas zu beschäftigen, wird – gerade mit der Lady Macbeth-Aufnahme – auf die restlichen fünf Arien aus der Verdi-Oper stoßen, welche sie mit Rescigno in den Londoner Abbey-Road-Studios aufgenommen hat. Allesamt Höhepunkte der Aufzeichnung von Musik, sowohl was den technischen Standard als auch den Ausdruck angeht.

Die in ihrer technischen Rohheit belassene letzte Aufnahme des Albums, die Live-Aufnahme von Gioachino Rossinis Armida von 1952 mit Callas in der Titelrolle, spiegelt dann noch die Wucht der puren Emotion auf der Bühne wider, jenseits aller digitalen Glättung.

Info

Maria Callas – Drama Queen Warner Erscheinungstermin: 29. Mai 2020

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