Vor der Rolle sind wir alle gleich

Corona-Notizen Der allgemeine Mangel ruft Erinnerungen wach. In der DDR konnte man Klopapier sogar lesen. Oder die Zeitungen umfunktionieren
Ausgabe 15/2020
Keine Preisempfehlung, sondern allgemeingültig: 50 Pfennig für eine DDR-Klorolle
Keine Preisempfehlung, sondern allgemeingültig: 50 Pfennig für eine DDR-Klorolle

Foto: Imago Images/Petra Schneider

Gern hätte ich diesen Text auf Klopapier geschrieben, aber es gab keins. Okay, zugegeben, ein bisschen platt der Einstieg. Außerdem sind tatsächlich alle Klopapierwitze schon gemacht. Dabei will ich ja auch auf etwas anderes hinaus. Letztens stand sinngemäß in einer Zeitung, Klopapier habe es sogar in der DDR immer gegeben. Mein zartes Hinterteil verfügt über ein ausgesprochen gutes Langzeitgedächtnis und widersprach umgehend. Nur zu gut konnte es sich an die Zeitungsabschnitte erinnern, die in unserem Gartenklo hingen, aufgespießt auf einen Nagel und nicht als Lektüre gedacht. Es hatte tatsächlich etwas Entwürdigendes, ohne ins Detail gehen zu wollen. Obwohl, rein inhaltlich gesehen hatten viele Seiten der DDR-Zeitungen tatsächlich nichts Besseres verdient.

Nachdem die einschlägige Quelle einmal angebohrt war, kamen noch mehr fäkale Erinnerungen ins Bewusstsein. Wenn mich nicht alles täuscht, gab es sogar in der DDR verschiedene Qualitäten Klopapier, grau waren sie natürlich alle, das versteht sich. Es gab eine etwas weichere, sehr dünne Version, eine leicht rötliche und eine brettharte, die nicht viel besser war als das ND. Weil Erinnerungen ja prinzipiell täuschen und Recherche zu meinem Job gehört, wollte ich es dann doch noch mal genauer wissen. Gibt es nicht letztlich alles auf Ebay, vielleicht auch noch einschlägige Altbestände?

Ich wurde nicht enttäuscht. Vier graue Rollen „der harten Art“ wurden für 15 Euro angeboten. Eine andere Offerte stammte ursprünglich aus dem VEB Papierfabrik Heiligenstadt im Kombinat Zellstoff und Papier Heidenau, so viel Zeit muss sein. Eingestellt für sechs! Euro das Stück. Als Kultartikel, gern auch bunt umhäkelt für die Hutablage des Trabi, wurde das DDR-Klopapier angepriesen. Auf der Banderole, die die Rolle umhüllte, stand in blassblauer Schrift: farbig geprägt. Da war sie also, die grau-rosa Varietät aus meinem Klopapiergedächtnis. Wie in der DDR üblich, war auch der Preis abgedruckt, EVP -,50 M. Das war keine unverbindliche Preisempfehlung, sondern der allgemeingültige Einzelhandelsverkaufspreis. Ein Wertartikel war Klopapier also schon damals, bedenkt man den Stundenlohn von drei Mark, den ich als Erntehelferin im Studentensommer verdient habe. Zehn Brötchen oder eine Rolle Klopapier, das kam preislich aufs Gleiche hinaus. Aber wie heute, keine Nudeln ohne Klopapier, ging eben eins nicht ohne das andere.

Hinabgetaucht in meine untrügliche Klopapiererinnerung, sah ich plötzlich noch ein anderes Detail bildlich vor mir: Buchstaben, manchmal halbe Wortfetzen. Die DDR war vorbildlich im Recycling, nur manchmal gingen ihr die Kräfte aus und sie blieb auf halber Strecke stehen. Zurück blieben die Buchstaben, aus dem Zusammenhang gerissen und einsam. Heute wäre das konkrete Poesie oder ein Readymade oder beides.

Als Kind jedenfalls fand ich es aufregend, wenn ich dergestalt wieder etwas gefunden hatte. Ich spürte natürlich sofort, das gehörte da nicht hin, und gerade das machte seinen Reiz aus. Manchmal tanzten die Buchstaben nachgerade auf der Klorolle, etwas schräg und subversiv.

Liebe Klopapierhersteller, wenn ihr mit der Produktion nicht nachkommt, macht es doch genauso und nehmt das Recycling nicht zu genau. Die Kinder hätten in schulfreier Zeit jedenfalls auf alle Fälle Spaß und etwas zum Lesenüben. Ich stelle mir vor, was die Corona-Zeitung wohl für Wortreste hinterlassen würde: viel Co auf alle Fälle, und das lässt sich gut ergänzen. Da fällt mir als Erstes ein: Courage. Und die DDR hätte am Ende doch noch mehr eingebracht in die deutsche Einheit als das Ampelmännchen. Auch die Gewissheit: Vor dem Klopapier sind wir alle gleich.

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