1997 hatte sich das Bündnis Erlassjahr 2000 - Entwicklung braucht Entschuldung als deutsche Sektion der internationalen Jubilee-2000-Kampagnen gegründet. Es sollte eine Entschuldung der Länder des Südens bis zum Jahrtausendwechsel erreicht werden - ein Thema, das gerade auch auf dem G 8-Gipfels von Genua eine Rolle spielte. Mit der »Ziel 2000« wollte die Initiative ihr Mandat selbst zeitlich befristen. Inzwischen erfolgte die Gründung des Nachfolgebündnisses erlassjahr.de. Anlass zum kritischen Rückblick auf eine Kampagne, bei der Pro und Contra weit auseinander liegen.
Alles wird gut. Warum? Darum! Anders als ihre Vorgängerin, habe die rot-grüne Bundesregierung eine aktive Rolle bei der Entschuldung der ärmsten Länder üb
sten Länder übergenommen. Für diese Staaten könne damit eine Lösung der seit Jahrzehnten drückenden Schuldenkrise näher gerückt sein. Angesichts dieser von Vertretern der Erlassjahr-Kampagne kolportierten Erfolgsstory sollte es erlaubt sein, ein bisschen in die Suppe zu spucken. Erlassjahr 2000 markiert aus unserer Sicht einen Tiefpunkt lobbyistischer Kampagnen der neunziger Jahre. Über Ursachen und Bedeutung der Schuldenkrise für die Durchsetzung einer Globalisierung unter neoliberalem Vorzeichen findet sich nichts in ihren Publikationen. Statt dessen grassiert ein strikter Ausgewogenheitsdiskurs: Nicht nur die Gläubiger sind für die Verschuldungskrise verantwortlich, sondern auch die Schuldner. Dem schließt sich eine Argumentation im angeblich wohlverstandenen Interesse der Bevölkerung des Nordens, der deutschen Exportindustrie und der Banken an: Wenn die Schulden nicht auf ein tragfähiges Niveau zusammengestrichen werden - so die Formel - verlieren alle. »Ausländische Investoren« würden von allzu hohen Schuldenbergen abgeschreckt. Gefahr bestehe auch »durch den Verlust von Exportmärkten für unsere Industrie«. Überall lauern die Fallstricke des Schuldenbumerangs, »die früher oder später auch uns (treffen): durch Drogenhandel, Klimaveränderungen, Flüchtlinge«. Ob in diesem Bedrohungsszenario die Grenze zum Rassismus überschritten ist, mögen andere beurteilen. Bis heute hat sich die Kampagne jedenfalls nicht von diesem Satz distanziert.Angesichts der vorgetragenen Argumente konnte man fast denken, private Gläubiger sind die eigentlich Leidtragenden der Verschuldungskrise. »Es ist wichtig zu unterstreichen, dass die unfaire Behandlung einer Gruppe von Gläubigern durch andere Gläubiger derzeit das eigentliche Problem darstellt«, schreibt etwa der Wirtschaftsprofessor Kunibert Raffer, der sich mit der Kampagne für ein internationales Insolvenzrecht einsetzte. Auf die Frage nach der Legitimität der Schulden überhaupt wurde ganz verzichtet. Dazu hätte man ja auch politisch argumentieren müssen, anstatt moralisierend über die untragbare Höhe der Schulden zu klagen. Das hätte wiederum bedeutet, über Ursachen und Profiteure der Schuldenkrise zu streiten, die Rolle der deutschen Exekutivräte bei IWF und Weltbank zu hinterfragen, sich nicht nur mit der Bundesregierung, sondern mit einer Reihe von Trägern der Kampagne - etwa Teilen des katholischen Klerus - anzulegen. Doch das war von vornherein nicht gewollt, deshalb wurde der Forderungskatalog so zurechtgestutzt, dass fast jede/r den Appell unterschreiben konnte. Über 24 Millionen haben dies mittlerweile weltweit getan. Folgenlos ist die Kampagne also wahrlich nicht. Bald wird man sich im Guinness-Buch der Rekorde finden.Aber gerade die Beliebigkeit ihrer Ziele brachte die Nord-Kampagne in Konflikt mit einer Reihe von Süd-Organisationen, die sich als Jubilee South zusammengeschlossen hatten. Sie bestanden auf einer Debatte über die Rechtmäßigkeit der Schulden und wehrten sich vehement gegen den paternalistischen Anspruch der Nord-Kampagne, als Sprecher für den Süden aufzutreten. Die Bereitschaft zum Selbstbetrug führte bei der Nord-Kampagne soweit, dass die Verlautbarungen der Bundesregierung und der Weltbank für bare Münze genommen wurden - nicht zuletzt eine Folge der zahlreichen Gespräche von Kampagne-Lobbyisten mit Vertretern dieser Institutionen, die immer wieder beteuerten, ohne Druck der »Zivilgesellschaft« gäbe es keinen Schuldenerlass. Dank dieser Schmeicheleien entwickelten viele NGOs Verständnis für Positionen der Weltbank. Sie übernahmen deren Konzept der »tragfähigen Schulden«, so dass sich die Position der Kampagne »nur noch in den quantitativen Nuancen von der Weltbank unterschied«, wie WEED-Mitarbeiter Peter Wahl eingestehen musste.So bleibt als Fazit, die Einführung eines internationalen Insolvenzrechts wird es nicht geben. Auch das andere Hauptziel der Kampagne, die Reduzierung der Schulden der ärmsten Staaten auf das von der Weltbank definierte »Tragfähigkeitsniveau«, kommt nicht voran. Die HIPC II-Initiative steht vor dem Scheitern. Der »große Wurf« für eine umfassende Schuldenreduzierung, den die Kampagne herbeizureden suchte, wird ebenfalls Wunschtraum bleiben.Moe Hierlmeier ist Mitglied im BUKO-Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft, Michael Ramminger arbeitet am Institut für Theologie und Politik.