Vorboten erbeten

Festival Der Fokus Türkei beim Frauenfilmfestival in Köln zeigt die Vorgeschichte der aktuellen Proteste und eine Rarität
Ausgabe 16/2014

Die Vorführkopie von Türkân Şorays The Return zu beschaffen, sei die bisher kniffligste Herausforderung in diesem Geschäft für sie gewesen, sagte Betty Schiel, die mit Emel Celebi und Sonja Hofmann den türkischen Regional-Fokus beim diesjährigen Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund/Köln kuratierte. Dabei war Şoray als Schauspielerin einst ein großer Star. Doch die Regiearbeit aus dem Jahr 1972 (die erste einer Frau in der Türkei) hatte wohl niemand ernst genommen. Zudem sind die türkischen Filmarchive in einem beklagenswerten Zustand.

Umso besser, dass der Film in Köln gezeigt wurde. Denn die aus weiblicher Perspektive erzählte Geschichte einer zwischen Patriarchenherrlichkeit und westlichen Verlockungen zerriebenen Familie ist auch filmkünstlerisch eine Rarität, die faszinierend zwischen Melodram und Sozialdrama, großer Oper und Horrorfilm glänzt. Inhaltlich geht es um feudale Abhängigkeit ebenso wie um die Arbeitsmigration ins ferne Deutschland, um Zwängen und Armut zu entgehen. Neben dem Kampf der zurückgebliebenen Ehefrau gegen die Nachstellungen des Großgrundbesitzers steht ihr Erschaudern, wenn der Gatte beim ersten Heimaturlaub als mit sinnlosen Geschenken behängter und bizarr verkleideter Fremder in der Stube steht: das Urbild des „Deutschländers“. Aufschlussreich für heutige Debatten auch, wie die patriarchale Repression hier nicht im Religiösen, sondern in sozialer Herrschaft gründet.

Es waren die frisch entflammten Kämpfe in Istanbul, die bei der Planung des Festivals vor etwa einem Jahr die Blicke Richtung Türkei lenkten und jetzt in den Berichten der in großer Zahl nach Köln gereisten türkischen Filmemacherinnen und den von ihnen mitgebrachten Beiträgen ein Echo fanden. Fast noch interessanter aber vielleicht der – durch die Proteste geschärfte – Blick zurück auf den Boom weiblichen Filmschaffens der letzten Jahre, das beim IFFF in großer Auswahl präsent war und von heute aus in fast zwanghaft scheinender Einmütigkeit um die Dialektik von technischer Modernisierung und sozialer Apathie kreist: am bekanntesten in den Filme der Regisseurin Yeşim Ustaoğlu (Pandora’s Box, 2008), die zu einem Werkstattgespräch angereist war. Rüya Arzu Köksal dokumentiert in The Shore (2008) die Zerstörung der Schwarzmeerküste durch den Bau einer Autobahn. Und Pelin Esmers Spielfilm 10 vor 11 (2009) scheint seismografische Vorahnung späterer Entwicklung: Die „Kollektion“ des manischen alten Zeitungssammlers konterkariert das fehlende kulturelle Gedächtnis ebenso wie der Abriss des alten Hauses wegen angeblicher Erdbebengefährdung die derzeitige Baupolitik auf den Punkt bringt. Sie sei sich der politischen Brisanz ihres Stoffes damals nicht bewusst gewesen, sagte Esmer in Köln: Verdrängtes, das erst durch die Proteste bewussten Ausdruck fand.

Erstaunlich einstimmig priesen die Gäste auf diversen Panels die befreit kreative Stimmung, die seit der Revolte und auch nach den Wahlen („der Anfang vom Ende Erdoğans“) bei den Kulturschaffenden grassiere. Schärfste Waffe derzeit: der Humor.

Gesprächskultur, Workshops und Debatten (auch dieses Jahr nicht nur zur Türkei) sind traditionell Kern des Festivals, das sich trotz Wettbewerben für Debütfilme (Gewinner: La Plaga von Neus Ballús) und Kamerafrauen (Bine Jankowski und Christiane Schmidt) mehr als Ort von Kommunikation und Vernetzung denn als Abspielstätte versteht. Eine Besonderheit ist das ausführliche Werkstattgespräch mit Film-Praktikerinnen, das die Kamerafrau und Professorin Sophie Maintigneux seit Jahren gibt: Überzeugend luxuriös in dem Mut, in fünf Stunden jegliche Festival-Zeit-Ökonomie zu sprengen, wie in dem (typisch weiblich?) großzügig geteilten Wissen. Gäste waren diesmal die Beleuchterinnen Therese Andersson und Verena Schulte und die Kamerabühnen-Frau Maike Maier. Es wäre nicht nur für Filmfrauen ein Gewinn, den dort versammelten Erfahrungsschatz auch (technisch) für ein größeres Publikum aufzubereiten.

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