Wenn sie scheitern, dann an ihren eigenen heiligen Kühen, an der Professionalität, mit der mittelmäßige Geister die claims verteidigen, für die sie Kompetenz beanspruchen und an der Furcht, Gedanken zu Ende zu denken. Die Ursache ihres Scheiterns wird nicht intellektuelle Brache sein. Sondern Selbstblockade. Das zumindest hat der Strategie- und Grundsatzprogrammkongress der Grünen am vergangenen Wochenende in Kassel gezeigt. Die Komposition der Pflichtschuldigen gab einen Vorgeschmack künftiger Kämpfe, falls das Projekt Grundsatzprogramm in Zukunft ernsthaft verfolgt werden sollte. Da Joseph Fischer Anhänger es für überflüssig halten, ist das allerdings nicht sicher. Zumal als ausgemacht gilt, dass im März nicht nur die Struk
rukturreform beschlossen wird, sondern dass auch direkt auf derselben Delegiertenkonferenz eine Fischer genehme Riege gewählt wird. Parteijugend und (Partei-) Linke waren bereits kaum noch nach Kassel gekommen. Als gelehriger Schüler Helmut Kohls machte Fischer die wenigen verbliebenen Kritiker lächerlich und spielte mit dem gleichen autoritären Gehabe den Gönner derer, die von ihm Orientierung erflehten. Vielleicht hat Fischer Recht. Braucht ein Vizekanzlerwahlverein ein Grundsatzprogramm?Fraglich ist, ob die Grünen es schaffen, von isolierten technokratischen Einzelfragen zu übergeordneten Zielen zu finden, die ihrerseits dann Einzelpunkte, die heute als gesellschaftlich notwendig gelten, als verzichtbar erscheinen lassen - und andere als wichtig. Ob sie also von der Umweltpolitik wieder zurück zur Ökologiepolitik finden, ob es ihnen gelingt, im Sinne sozialer Gerechtigkeit für eine immer heterogener werdende Gesellschaft zu einer Neubewertung der Förderungswürdigkeit einzelner Instrumente zu kommen. Andrea Fischer zeigte in diesem Sinne eine Vielzahl neuer Wege auf, ohne sie aber zu bündeln und statt über die horizontale Stufung (Lernen, Arbeiten, Rente) zu einer lebenslangen Dreisäuligkeit von Erwerbsarbeit, Weiterbildung und Engagement zu kommen - obwohl ihre Einzelpunkte ein solches Leitbild erforderlich machen. Fehlte es am Mut zu einem Wurf?Jede an übergeordneten Zielen orientierte Neubewertung, die Andrea Fischer, Jürgen Trittin, Bärbel Höhn anstreben möchten, gefährdet die Rolle gegenwartsfixierter Detailpolitiker, denen nur die Kleinteiligkeit des derzeitigen technokratischen Ansatzes auf simple Weise eine Rolle gibt, im Ökologiebereich etwa als verkehrs-, als luftverkehrs-, als energie-, atom- oder umweltpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Denen, die Ziele und Leitbilder für Transformationsprozesse ins Grundsatzprogramm schreiben wollen, wird scharfer Wind ins Gesicht wehen.Die zweite Kernfrage ist, ob die Grünen, wie Trittin und Höhn fordern, wieder zum Primat der Politik zurückfinden oder ob sie fortfahren, die Externalisierung der Kosten als betriebswirtschaftliche Antwort auf die Globalisierung zu akzeptieren. Für Matthias Berninger etwa ist es derart wichtig, dass der immer noch so genannte Ausstieg aus der Atomkraft entschädigungsfrei gestaltet wird, dass er sogar darauf verzichten würde, auch nur ein Atomkraftwerk in dieser Legislaturperiode abzuschalten. Ralf Fücks, der ein neues ökologisches Leitbild forderte, fiel, nach einer entsprechenden Persönlichkeit gefragt, niemand ein als Reinhard Loske, der zwar als Wissenschaftler für die Studie "Nachhaltiges Deutschland" verantwortlich zeichnete, als Bundestagsabgeordneter aber auf die freiwillige Einsicht der Unternehmen setzt und ordnungspolitische Instrumente abbauen will. Loske als Leitbild einer ökologischen Wende - in Konkurrenz mit einem Hermann Scheer?Die Frage der Zukunft sei, so Trittin, wie man den Verbraucher, der zugleich Wähler ist, für ein ökologisches Ziel gewinnt, für das er seinen Lebensstil ändern muss. Höhns Strategie, Umwelt- mit Gesundheits- und Verbraucherschutz zu verbinden, wäre tragfähig. Der zusätzliche Fokus der beiden Umweltminister ist richtig, aber er spiegelt auch Resignation angesichts der Macht von Piech Co. auf die politisch Gewählten.Die Mittelmäßigen werden Sand ins Getriebe derer streuen, die nach der vereinigungsbedingten Priorisierung quantitativen Denkens zurück zur Suche nach qualitativen Alternativen wollen. Beispiel: Die Impulsgeber des Forums "Globalisierung und Nachhaltigkeit", Wolfgang Sachs (Wuppertal-Institut) und Barbara Unmüßig (WEED), hätten eine ausgezeichnete Ausgangslage dafür geboten, die Vorreiterrolle in Globaler Strukturpolitik zurückzuerobern, die die Grünen hatten, als Ludger Volmer noch für dieses Politikfeld verantwortlich war. Sachs' Frage, wie man die Erde zum Wohnzimmer für immer mehr Menschen machen kann, hätte diskutiert werden können. Da aber der Kongress-Organisator Reinhard Bütikofer der Dame auf Listenplatz Eins seiner eigenen Landesliste (Baden-Württemberg) die öffentliche Rolle der Moderation zubilligen wollte, und Uschi Eid erfahrungsgemäß über Projektzusammenarbeit mit Afrika wenig hinauszudenken bereit ist, wurde die Chance vergeben, Vision und Strategie zu entwickeln - und stattdessen über korrupte Eliten in afrikanischen Ländern gesprochen. Man kann sich auch selbst ein Bein stellen. Manche grüne Akteure sind in ihrer Fixierung auf die Verteidigung von Besitzständen und die Pflege von karriereerhaltenden Beziehungen zu wahren Meistern dieser akrobatischen Kunst geworden.Für das Grundsatzprogramm kann sich das fatal auswirken: Von den sieben Foren gab es keines für eine grüne Vision von Europa - der Europapolitiker der Grünen, Christian Sterzing, gehört zu den Linken. Stattdessen gewährte die Kongress-Organisation Antje Vollmer ihr Forum für Eigenverantwortung und Bürgergesellschaft, Krista Sager ihres über Wissen und Nicht-Wissen als soziale Frage und dann gab es auch noch eines über Informationsgesellschaft und Demokratie. - Die Frage, ob man auf einem so schiefen Fundament bauen kann, wurde nicht gestellt.
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