Vorsatz für 2023: Mit Mondkrams #Metoo manifestieren
Gewalt in der Beziehung Die Gerichtsverhandlung zwischen Johnny Depp und Amber Heard hat gezeigt: Wir leben noch immer in einer Gesellschaft, die Täter schützt, Opfer verhöhnt und Gewalt gegen Frauen feiert. Höchste Zeit, dagegen zu kämpfen – mit allen Mitteln
Ist Johnny Depp ein Engel? Wohl kaum. Eher ein verklärter Täter
Foto: Brendan Smialowski/AFP via Getty Images
Esoterisch darf man werden, wenn das neue Jahr kommt, sagt mir meine Freundin Berit. Wir verabschieden uns vom alten Jahr, bedanken uns und denken darüber nach, was wir beim neuen bestellen wollen. 2022 war das Jahr des Täters, und ich muss hier nicht gendern, denn obwohl es stimmt, dass Frauen manchmal Täterinnen sein können – 2022 hatte damit nichts zu tun.
2022 war das Jahr, in dem die Männergewalt beschützt, zelebriert und gefeiert worden ist. Es war das Recht der Männer, die Frauen, die ihnen angeblich gehören, zu schlagen, zu vergewaltigen und, wenn wir ehrlich sind, zu töten. 2022 war das Jahr, in dem ein mutmaßlicher Vergewaltiger, gerichtlich erwiesen ein Frauenschläger, sein Opfer dafür verklagen konnte, dass sie in
n Frauenschläger, sein Opfer dafür verklagen konnte, dass sie in einem Meinungsartikel über sexuelle Gewalt schrieb, die sie an der Uni erlebt hatte. Außerdem hatte sie es gewagt, zu sagen, dass sie eine öffentliche Figur sei, die häusliche Gewalt repräsentiere, und deswegen mit der Wucht der Gesellschaft konfrontiert werde.Es geht gar nicht um den Täter. Der einzige Grund, weshalb man, nachdem man diesen harmlosen feministischen Artikel gelesen hat, klagen wollen könnte, ist, dass man in seinem Herzen sehr wütend ist über die Idee, dass Vergewaltigung, besonders Vergewaltigung in der Ehe, eine Straftat ist. Die Welt jubelte, als das Opfer vor Gericht, vor laufenden Kameras, erniedrigt und retraumatisiert wurde. Viele, die mitgejubelt haben, nennen sich Feministinnen.Johnny Depp lachte Amber Heard einfach ausDie Menschen, die zuschauten, sind Mittäter*innen geworden. Menschen standen vor dem Gerichtssaal und riefen dem Opfer zu, sie sei eine Hure, sie sei wertlos, sie solle sterben. Das Opfer beschrieb vor laufenden Kameras die Vergewaltigung, die Nötigungen und die psychische Gewalt. Sie weinte – und der Täter und seine Mittäter*innen lachten sie aus. Seine Anwältin fragte sie, warum sie nicht Bilder von den Wunden und von dem Blut in ihrer Vagina gemacht hätte. Die Welt lachte. Die Welt jubelte. Die Welt genoss es. Es war im Grunde genommen wie eine globale Massenvergewaltigung, und zu viele machten mit. Eine Welle von Gewalt gegen eine, meiner Meinung nach, unschuldige Frau. Ihr einziges Verbrechen bestand darin, einen reichen, weißen Mann verlassen zu wollen. Und man hat uns viel erzählt über diesen Fall. Sozialistische Feministinnen haben uns zum Beispiel erklärt, dass es egal sei, ob das Opfer nun tatsächlich vergewaltigt wurde oder nicht, denn sie sei weiß.Jugendliche bastelten Videos aus den Aufnahmen von der Beschreibung der Vergewaltigung und luden sie auf Tiktok hoch. Sie dachten, dass Vergewaltigung geil ist, wenn der mutmaßliche Vergewaltiger berühmt und machtvoll ist. Die deutsche Supermarktkette Lidl verwendete diese Clips und dachte: Ja, das ist eine gute Idee, wir werden auch diesen Gerichtsprozess mit der grausamen Beschreibung einer Vergewaltigung nutzen, um Tiefkühlpizzas zu verkaufen.Ihr Trauma war lustig. 2022 war das Jahr, in dem der Engländer Sean Lloyd versuchte, seine Partnerin zu ermorden, indem er sie würgte, während er sie Amber Heard nannte. 2022 war das Jahr, in dem in Deutschland alle 72 Stunden eine Frau von ihrem Partner ermordet worden ist. Und wir werden weiterhin die Täter schützen und die Opfer verhöhnen. Wir werden diesen natürlichen Hass den Opfern gegenüber ausnutzen, um eine Welt zu schaffen, in der Männergewalt belohnt wird und Opfer, die dieser Gewalt entfliehen möchten, zu Tätern gemacht werden.In einem früheren Verfahren in Großbritannien vor drei Jahren hatte der High Court in London entschieden, dass Johnny Depp als „Frauenschläger“ bezeichnet werden durfte. Das Gericht stützte sich dabei auf Aussagen seiner Ex-Frau. Im jüngeren Gerichtsprozess in den USA wurde Depp im Verleumdungsprozess größtenteils recht gegeben. Dieses Gerichtsurteil hat die Entscheidung in Großbritannien nie aufgehoben. Im Dezember haben Heard und Depp entschieden, sich außergerichtlich zu einigen. Als noch britische Staatsbürgerin habe ich also das Recht, Depp weiterhin Frauenschläger zu nennen – und, noch wichtiger, Amber Heards Stimme zu erläutern.#MeToo wird aus dem Grab klettern„Und, was machen wir im neuen Jahr anders?“, fragt mich meine deutsche Freundin Berit. Sie schlägt vor, dass ich mir keine allgemeinen Vorsätze fürs Jahr überlege, sondern mir für jeden Monat einen Vorsatz auswähle. Ich sage: „Okay.“ Ich denke an meine weißen deutschen Freunde, die weißen Jungs, die wütend werden, wenn man über Astrologie oder Manifestation redet. Die weißen Jungs haben fast immer recht, oder? Astrologie, Manifestieren, Mondkram. Alles Quatsch. „That’s unscientific“, schreiben sie dir, und sie haben recht, oder sie nennen dich Schwurbler. Und ein Schwurbler ist eigentlich fast ein Nazi. Und sie haben recht. Weiße Jungs haben fast immer recht.Aber wo wart ihr, ihr weißen Jungs, im Jahr 2022? Ihr habt uns alleingelassen, wir mussten allein kämpfen. Plötzlich war die Wahrheit unwichtig.Und deswegen sage ich euch jetzt, ihr weißen Männer: Ich manifestiere. Vielleicht kaufe ich sogar Kristalle. Ihr habt mich alleingelassen, und jetzt manifestiere ich mit dem Mond, und eure Vorwürfe berühren mich gar nicht. Denn 2023 wird das Jahr sein, in dem der Feminismus wiedergeboren wird. Wie Jesus. Oder wie ein Zombie. #MeToo wird aus dem Grab klettern. Die Knochen sind gebrochen, Zähne fehlen, aber wir wissen jetzt, wie sehr der Feind uns hasst. Wir wissen jetzt, dass nicht jede Feministin Frauen beschützen will. Wir wissen jetzt, dass es viele „Feministinnen“ gibt, die Täter unterstützen würden, wenn diese Täter sagen, dass das Opfer ins Bett kackte.Guck mal, hier ist #MeToo, kaputt, aber doch nicht total zerstört. Ich klebe es wieder zusammen, mit Tesafilm – aus #MeToo wird #UsToo oder #AmberToo – eine wahre Befreiung, die weiß, dass Männer auch dann nicht schlagen oder vergewaltigen dürfen, wenn sie mehr Geld haben als ihre Partnerinnen. Und man muss nicht das perfekte Opfer sein, um ein Opfer zu sein. Denn die meisten Frauen gehen nach einer Vergewaltigung in der Ehe nicht ins Krankenhaus und auf jeden Fall nicht zu den Bullen. Und es kann niemals diffamierend sein, wenn eine Frau eine einstweilige Verfügung per Gerichtsbeschluss gegen den Peiniger einklagt, um in Sicherheit zu sein. Wir wissen auch, dass Opfer nach dem Missbrauch manchmal lachen und dass Make-up blaue Flecken verstecken kann. Und wir haben gelernt, dass Vergewaltigungsprozesse nie live übertragen werden sollten. Und nur weil du einen Täter magst, muss das nicht bedeuten, dass er nicht gewalttätig sein kann.Loser-Frauen atmen weiter2023 wird #MeToo ein #MeToo für alle – queere Frauen, arme Frauen, Frauen of Colour, Frauen mit mentalen Krankheiten. Wir werden weiterleben, wir werden nicht aufhören, wir werden nicht aufhören zu atmen. Die Loser-Frauen atmen weiter, wir hören nicht auf. Ich sah einen Tweet im vergangenen Sommer: „Mind you, Amber Heard’s still breathing“ stand dort, und es stimmt. Sie atmet noch, obwohl es Johnny Depp und seine Mittäter*innen so kränkt. Sie hat wegen seiner Gewalt und der Gewalt der ganzen Welt ein Herzproblem entwickelt, aber sie atmet noch. Sie atmet. Wir atmen. Wir leben. Wir tanzen.Amber Heard ist eine öffentliche Figur, die häusliche Gewalt repräsentiert und mit der vollen Wut der Gesellschaft konfrontiert worden ist. 2023 wird das Jahr sein, in dem wir anfangen, den Schaden, den dieser Mann in 2022 angerichtet hat, zu korrigieren. Wir fangen damit an. Wir kämpfen. Wir kämpfen und kämpfen.Und wisst ihr, was? Weißt du, was? Berit, hörst du mich? Berit, ich weiß, was ich manifestieren will, und das jeden Monat für den Rest meines Lebens. Irgendwann mal, und vielleicht bin ich dann eine sehr, sehr alte Frau, vielleicht sogar schon tot, irgendwann mal werden wir gewinnen. Irgendwann mal werden Opfer beschützt und Täter verhöhnt. Wir werden gewinnen. 2023 ist der Anfang des Endes der Vergewaltigungskultur. Lasst uns eine Welt manifestieren, die Opfer schützt und Täter – und ja, auch Täterinnen – verhöhnt.Placeholder authorbio-1
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