Vorsicht: explizite Lyrik

USA Alle feiern das neue Album des Rappers Kendrick Lamar als Statement gegen die Sprachlosigkeit. Zu Recht
Ausgabe 15/2015
Kendrick Lamar bei einem Konzert in Cleveland, Ohio
Kendrick Lamar bei einem Konzert in Cleveland, Ohio

Foto: Angelo Merendino/Getty Images

Wann wurde ein Album zuletzt so einhellig gefeiert wie derzeit Kendrick Lamars To Pimp a Butterfly? Nicht nur als das musikalische Meisterwerk, das es zweifellos ist, sondern auch als Statement gegen die Sprachlosigkeit. Tatsächlich liest sich Lamars Platte wie eine Antwort auf die Ereignisse von Ferguson, als Kampfansage gegen die Zustände in US-amerikanischen Gefängnissen, als Anklage gegen einen Gesellschaftsvertrag, der Todesfälle wie die von Michael Brown, Trayvon Martin und Walter Scott zulässt.

„They give us guns and drugs, call us thugs / Make it they promise to fuck with you“ heißt es etwa in dem Song Hood Politics. Doch die Platte wäre kein so großer Wurf, gäbe es daneben nicht auch die Ebene der Selbstreflexion. In The Blacker The Berry, einem Rundumschlag gegen so ziemlich alles, eröffnet Lamar jede Strophe mit den Worten „I’m the biggest hypocrite of 2015“, der Heuchler des Jahres also. Lamar richtet seine Kritik hier sowohl gegen sich selbst, der nach den Regeln des Business spielt, als auch gegen alle, die sich den Mechanismen von Armut, Drogen und Gewalt bereitwillig ergeben.

In seiner Explizitheit kann man To Pimp a Butterfly indes auch als Ansage gegen die Schutzmechanismen einer Sprachkritik lesen, die das Sprechen über die eigentlichen Missstände erschwert. Gerade dort, wo diese sich unüberwindbar geben, legt sie sich wie ein Furnier über das Problem und gibt vor, es auf diese Weise behoben zu haben.

Es ist schon schizophren: In einer Zeit, in der über 60 Prozent aller Inhaftierten in den USA Schwarze sind und die Segregation im Alltag augenscheinlich ist, wird penibler über Sprachregelungen diskutiert denn je. Zuletzt bekam dies der Schauspieler Benedict Cumberbatch zu spüren. In einer Talkshow wollte er auf die ungleiche Bezahlung schwarzer und weißer Darsteller aufmerksam machen, sprach aber statt „people of colour“, was die korrekte Bezeichnung gewesen wäre, von „coloured people“. Es folgten die üblichen Erregungen, über die eigentliche Sache diskutierte niemand mehr. Eine Öffentlichkeit, die so agiert, muss sich den Vorwurf der Verdrängung gefallen lassen.

Ende November berief der US-Sender Comedy Central zur Überraschung vieler den südafrikanischen Comedian Trevor Noah – Sohn eines Schweizers und einer Xhosa – zum neuen Moderator der Daily Show. Die Nachricht war ein Statement; leider dauerte die Freude darüber nur so lange, bis akribische Internet-Ermittler in Noahs Historie ein paar mäßige Witze über Frauen und Israel fanden. Ein weiterer Shitstorm war geboren; Revolution und Konterrevolution.

Viele sehen in Kendrick Lamar im Zuge von Ferguson nun den Vorboten einer Repolitisierung von Rap und Öffentlichkeit, ähnlich wie es im Anschluss an die Misshandlung Rodney Kings im Jahr 1991 der Fall war. Von einer Wiederholung der Geschichte aber sollten wir nicht sprechen, der Kampf für politische Veränderungen ist per se einer, der Ausdauer erfordert und eben nicht immer mit voll aufgedrehten Reglern geführt wird. Mit der Wahl der Schmetterlingsmetapher legt Lamar diese Deutung nahe. Im Epilog der Platte zitiert er ein Gedicht, das die Verwandlung der Raupe beschreibt – es sind große Hoffnungen, die hier formuliert werden: „Finally free, the butterfly sheds light on situations that the caterpillar never considered, ending the eternal struggle.“

Stichwort Lautstärke: Auch der Schauspieler und Rapper Ludacris, der eher als Spaßvogel bekannt ist, hat dieser Tage ein neues Album veröffentlicht. Auf Ludaversal ist er ungewohnt nachdenklich: „It’s clear to see that Hip Hop’s under attack man / Or is it cause that no one wants to see a rich black man“, heißt es in Charge It To The Rap Game. Interessanterweise wählt auch er den Schmetterling als Bild, wenn er in einem Refrain rappt: „The grass is always greener on the other side / Always searching for another high / Caterpillar to a butterfly.“ Das mag etwas platt formuliert sein, aber die Botschaft kommt schon an.

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Geschrieben von

Timon Karl Kaleyta

Timon Karl Kaleyta, in Bochum geborener Autor und Musiker, gründete 2011 in Düsseldorf das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ.

Timon Karl Kaleyta

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