Das Geschäftsgebaren deutscher Stiftungen wirft Fragen nach ihrer Gemeinnützigkeit auf. Die Interessengebiete sind besonders bei der Digitalisierung von Schulen und Hochschulen eng mit Unternehmen verknüpft, zeigt der Freitag im Titelthema seiner neuen Ausgabe.
Am auffälligsten geschieht dies bei der Bertelsmann-Stiftung. Der Vorstand der Stiftung, Jörg Dräger, wirbt in einem Buch für Unternehmensbeteiligungen und -konzepte des profitorientierten Unternehmens, der Bertelsmann S.E. Recherchen und Reisen für das Buch Die digitale Bildungsrevolution wurden laut Dräger von der Stiftung ermöglicht, das Buch erscheint gleichwohl in einem Verlag des Bertelsmann-Konzerns.
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Vorsicht, Stiftung! Wie Bertelsmann und Konsorten Gemeinnützigkeit missbrauchen
Die großen Strategien von gemeinnütziger Bertelsmann-Stiftung und dem Konzern ähneln sich zum Verwechseln. Stiftungsvorstand Dräger macht die Digitalisierung der Bildung zum übergreifenden Thema der Stiftung. Ihre gesamte Arbeit solle künftig das Digitale mitdenken. Eine eigene Webseite zur Bildungsdigitalisierung treibt das Thema voran. Gleichzeitig peilt die Bertelsmann S.E. mit E-Learning-Kursen und Online-Universitäten einen Umsatz von einer Milliarde Euro an. „Die Hochschulen unterrichten noch wie vor 100 Jahren - das ist nicht nötig", sagt Bertelsmann-Vorstand Thomas Rabe. "Wir wollen den Bildungsbereich zu einer tragenden Säule des 'neuen Bertelsmann' entwickeln.“
Stiftungsvorstand Dräger räumte gegenüber dem Freitag Überschneidungen als unvermeidlich ein. Digitalisierung sei ein globaler Megatrend. „Wer sich damit nicht beschäftigt, nimmt an der Diskussion über Chancengerechtigkeit in der Bildung bald nicht mehr teil.“ Auch bei der Telekom-Stiftung macht man digitales Lernen zu einem großen Thema – ein Feld bei dem auch das verbundene Unternehmen Deutsche Telekom große Umsätze machen dürfte, wenn Zehntausende der Schulen an ein schnelles und stabiles Netz angeschlossen werden. Die Digitalisierung wird aus dem bislang öffentlichen Bildungssektor einen milliardenschweren Markt machen.
Die Vermischung von Geschäftsinteressen der Unternehmen und der gemeinnützigen Arbeit der Stiftungen begünstigt das deutsche Stiftungsrecht.Das US-amerikanische Recht verbietet mehr als zwanzigprozentige Beteiligungen von Stiftungen an Unternehmen. Das verhindert das so genannte „Self Dealing“ und den Einsatz steuerfreier Mittel für Profite. Die Bertelsmann-Stiftung hingegen ist Eigentümerin von knapp 80 Prozent der Anteile des Bertelsmann-Konzerns. Solche Interessenkollisionen werden von den kleineren gemeinnützigen Stiftungen mit Sorge beobachtet. „Die gestifteten Mittel sind nicht dazu da, das Ansehen des Unternehmens zu mehren – oder womöglich sogar seine Geschäfte“, rügt der Manager einer kleinen Stiftung. „Das ist eine Pervertierung der Stiftungsidee.“
Christian Füller
Kommentare 10
Lange schon notwendig, sich einmal gründlich des Stiftungsunwesens und der Vergabe der Gemeinnützigkeit anzunehmen, Herr Füller.
Dazu passend, eine kleinere Stiftungs- und Gemeinnützigkeits- Angelegenheit.
Derzeit geht die Stiftung "Gemeinnützige Umwelthaus GmbH", eine 100%ige Ablegerin des Landes Hessen (eingerichtet zur Zeit der CDU-Alleinregierung, Koch II;>>..Die Hessische Landesregierung und Luftverkehrswirtschaft haben sich in einer Gemeinsamen Erklärung vom 12.12.2007 im Kapitel „Vertrauensbildung, Transparenz, Dialog“ zur Einrichtung eines Umwelthauses verpflichtet.(...)), in deren Verwaltungsrat die Ausbaufreunde des Frankfurter Flughafens eine eindeutige und absolute Mehrheit besitzen, deren Geschäftsführer aus der Ministerialverwaltung des Landes stammt, mit einer Studie (NORAH) hausieren, die vornehmlich die Befindlichkeit und Voreinstellung von lärmbetroffenen Bürgern erfragt hat. - Die verlautbarten Ergebnisse, die von geringeren gesundheitlichen Fluglärmauswirkungen als angenommen berichten, wurden recht unkritisch vom hessischen Rundfunk und einigen wichtigen Zeitungen aufgegriffen. Die Zeitungen und Medien zitieren dabei praktisch nur aus dem Inhalt der Presseerklärung der Stiftung.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Die Bertelsmann-Stiftung gilt schon lange als 17. Kultusministerium Deutschlands. Die Bertelsmänner sind gerne als Berater für die anderen 16 und die KMK tätig, der Einfluss ist erheblich. Sog. Bildungsstudien und Gelder für ganz eigene ausgewählte Projekte fließen von Flensburg bis München.
Die Bertelsmann-Stiftung gilt schon lange als 17. Kultusministerium Deutschlands. Die Bertelsmänner sind gerne als Berater für die anderen 16 und die KMK tätig, der Einfluss ist erheblich. Sog. Bildungsstudien und Gelder für ganz eigene ausgewählte Projekte fließen von Flensburg bis München.
Die Bertelsmann-Stiftung gilt schon lange als 17. Kultusministerium Deutschlands. Die Bertelsmänner sind gerne als Berater für die anderen 16 und die KMK tätig, der Einfluss ist erheblich. Sog. Bildungsstudien und Gelder für ganz eigene ausgewählte Projekte fließen von Flensburg bis München.
da ist ein Fehler unterlaufen. Bitte den "zweiten" Bildungswirt löschen.
"Interessenkollisionen", da bleibt den verantwortlichen Betroffenen vermutlich die Luft weg - vor Lachen. Unternehmerischer Kern solcher Stiftungen ist ja regelmäßig das Gegenteil: Synergie und Steuervermeidung.
Ein größeres Problem, als das viel Geld selbstdienlich in die sogenannte politische Meinungsbildung fließt und dabei auch noch steuerlich begünstigt wird, ist jedoch wie gerne, treugläubig oder ungeniert politische Medien und Amtsträger mit diesen Interessensvertretungen im Gewand einer vorgeblich gemeinnützigen Stiftung kooperieren.
@columbus merci für den Hinweis auf die hessische Stiftung.
der Freitag lädt alle Leser ein, Beispiele von Grenzüberschreitungen von Philantropie zu Profit beizutragen; hier in den Komentaren.
Jörg Dräger überschreitet als von steuervergünstigten Mitteln bezahlter Stiftungsvorstand von Bertelsmann die rote Linie. Er wirbt als "mildtätiger und gemeinütiger" Stifter offen für Unternehmen wie "udacity" - an dem der Bertelsmann-Konzern beteiligt ist.
Das Thema Digitale Bildung ist zurzeit in aller Munde. Es vergeht kein Tag an dem nicht einmal dieser Begriff in den Medien verwendet wird.
Meiner Meinung nach versucht man hier bestehende Defizite zu überdecken bzw. man verspricht sich dadurch ein „Allheilmittel“ zu finden.
Der „Pisa Schock“ sitzt immer noch tief. Doch wie will man dagegen angehen? Betrachten wir einmal die Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben insgesamt 16 Bundesländer. Aufgrund der Kulturhoheit der Länder in Bezug auf die Zuständigkeit für das Schul- und Hochschulwesen gibt es 16 verschiedene Lehr- und Rahmenpläne. Es entsteht dadurch ein riesiger Absatzmarkt für die Schulbuchverlage. Wäre es nicht sinnvoller diese Situation zu ändern? Sichergestellt werden muss meiner Meinung nach eine finanzielle Gleichstellung der Länder. Damit dadurch jeder die gleiche Chance auf Bildung bekommt. Wir müssen hierbei auch an die SchülerInnen denken. Auch für sie ist es wichtig, dass alle die gleichen Chancen für die spätere berufliche Zukunft erhalten, unabhängig von ihrem Wohnort.
In der letzten Zeit „engagieren“ sich auch, wie im Artikel beschrieben, immer mehr Institutionen und Stiftungen. Bringt das Vorteile für Lehreraus- und Weiterbildung? Auf dem letzten #ecber15 educamp in berlin wurde eine interessante Diskussion geführt. Es ging um Angst, eine ausführliche Dokumentation ist hier zu finden. Eine Kollegin (@lammatini) brachte es auf den Punkt. Sie sprach über ihre Ängste als Lehrerin beim Einsatz von Digitalen Medien im Unterricht. Anders ausgedrückt, LehrerInnen brauchen Hilfe und vernünftige Fortbildungsangebote. Diese Fortbildungen müssten verpflichtend für LehrerInnen werden. Nur dadurch kann eine Digitale Bildung vorangetrieben werden.
Da es z.T. auf Länderebene kaum Angebote gibt, die Finanzmittel auch beschränkt sind, wäre eine Alternative, wenn Stiftungen sich in diesem Bereich engagieren würden.
Sie erhalten steuerliche Vorteile, die sie für gemeinnützige Arbeit einsetzen sollten.
Erst geht die Bildung stiften, dann die Gesundheit und dann...?
Bertelsmann stiftet nicht nur unbillige Bildung. Erhellend, was Bertelsmann offensichtlich billigt, um Bildung konzern- und umsatzorientiert als gesellschaftskonforme eDucation im eigenen Sinne umzudeuten und zu prägen. Ist für mich nicht zu billigen.
Eine andere Zumutung stiftet z.B. Bertelsmann im Gesundheitswesen. Schon ein Einblick in das aktuelle Bertelsmann-Magazin change 03/2015 belehrt frau/manchen. Das unhinterfragte Engagement von Bertelsmann bei der Aktiengesellschaft Phineo führt zu solch absurden Resultaten, dass an und für sich tolle Selbsthilfe-Initiativen ausgezeichnet werden - nicht, weil sie "wirken", sondern, weil sie de facto die Gesundheitsökonomie entlasten.
Leider habe ich auf die Schnelle nicht mehr das Gesellschaftsbild der Bertelsmann-Stiftung gefunden; bin/ sind? für Hinweise dankbar.
Alles in allem wäre es spannend, die gesellschaftliche, politischen und ökonomischen Verflechtungen deutscher Stiftungen noch ein wenig genauer zu untersuchen. Aber: "Journalisten haben ein Wissen, breit wie der Ozean und tief, wie eine Pfütze." ;-) Kann auch einfach das Tages-/Wochengeschäft sein.
@grosty die frage ist schon, wieso der staat so wahnsinnig schwach beim thema digitalisierung ist. das macht den weg frei für profiteure
@scharfenberger das problem ist folgendes. die bertelsmann-stiftung sieht sich als rein "operative stiftung", die keine fördermittel an bedürftige oder akteure vergibt. eine solche stiftung sollte per gesetz nicht zugelassen sein. stiften heißt: geld weggeben und bedürftigen zuwenden - ohne rückfluss von anerkennung, PR, profit o.ä.
Guter Beitrag. Wichtiges Thema.
"Bertelsmann, als rein Operative Stiftung sollte nicht zugelassen sein ..."
Ist sie aber! Und das wissen wir ja auch nicht erst seit gestern. Nur interessiert es eben die maßgeblichen Personen nicht, im Gegenteil. Stattdessen entzieht das Finanzamt Frankfurt einer am Gemeinwohl ausgerichteten Organisationen wie Attack die Gemeinnützigkeit. Alles, ohne großen Aufschrei.
Als Vertreter der Nehmerseite, möchte ich aber fairerweise auch zu bedenken geben: Viele kleinere private Stiftungen geben sich große Mühe, sind sehr engagiert. Nur ihnen schmilzt durch die Niedrigzinspolitik inzwischen das Kapital schneller weg, als sie es ausschütten können. Kurz: Es gibt große Verwerfungen in der Stiftungslandschaft, eine Welt trennt Unternehmensstiftungen wie Bertelsmann oder Hertie von kleinen privaten Akteuren. Wichtig ist mir, das Stiftungswesen nicht pauschal in Verruf zu bringen. Keine meiner Aktivitäten im Kultur und Bildungsbereich ließe sich ohne Unterstützung einer Vielzahl kleiner privater Stiftungen realisieren.
Es sind nicht nur die Stiftungen, die Einfluss auf die Digitalisierung des Bildungswesens nehmen. Firmen aus dem IT-Bereich haben mindestens ein Bein in den Schulen, wie das Beispiel zeigt:
In Kürze werden Lehrer bundesweit zu folgender Veranstaltungsreihe eingeladen:
Neue Technologien verändern unsere Lebensbereiche fundamental – dieser Wandel findet auch als wesentlicher Veränderungsprozess an den Schulen statt. Das Bamberger Zentrum für Lehrerbildung und die Trainingsagentur just ask! laden Sie deshalb als Lehrkraft, IT-Verantwortlicher, Schulleiter, Lehramtsstudierender, Referendar oder Personal- und Sachaufwandsträger ein, an unserem Webinar zum „Einsatz von IT im Unterricht“ teilzunehmen.
Sehen Sie gewinnbringende Praxistipps und -beispiele zum effizienten Medieneinsatz und erleben Sie didaktische Szenarien sowie neue Applikationen. Begeistern Sie so Ihre Schüler im Unterricht.
Getragen wird diese Reihe von Ingram Micro Distribution GmbH*. Als Referenzpartner werden u.a. genannt: Intel Education und Microsoft. Das Bedauerliche ist, dass die Universität Bamberg, genauer: das Bamberger Zentrum für Lehrerbildung als damit verbundenes seriös wirkendes Aushängeschild auftritt.
Die Lehrerschaft wird angelockt durch folgendes:
Sie erhalten im Nachgang der Veranstaltung auf Wunsch eine Fortbildungsbestätigung. Über die Anerkennung als Fortbildungsveranstaltung entscheidet der Dienstvorgesetzte.
Durch die Durchdringung der Universitäten, die ja inzwischen selbst eine unternehmerische Komponente bei der Mitteleintreibung haben, mit der IT-Branche wird das kommerzielle Feld vorbereitet. Das Problem ist: Die Lehrerinnen und Lehrer merken das nicht. Und wenn sie es merkten, blieben sie arglos, da ihnen eine heile IT-Welt versprochen wird. Sie müssten erstmal begreifen, dass die Lehrerausbildung Zug um Zug den Interessen der Warenwelt geopfert wird.
* Auszug aus dem Impressum:
Als der führende Großhändler für Produkte der Informationstechnologie in Deutschland bietet die Ingram Micro Distribution GmbH in Dornach bei München ein umfassendes Produktspektrum von mehr als 350 namhaften IT-Lieferanten sowie Dienstleistungen in den Bereichen Logistik, E-Commerce, Finanzen und Marketing für über 35.000 Kunden. Sie ist ein deutsches Tochterunternehmen der Ingram Micro Inc. mit Sitz in Santa Ana, USA, die der größte Distributor für Technologieprodukte und global führend in den Bereichen IT-Supply-Chain, Mobile-Device-Lifecycle-Services und Logistik-Lösungen ist. Als der einzige global operierende IT-Distributor ist das Unternehmen mit dem umfassendsten Portfolio an IT-Produkten und -Services in 170 Ländern auf sechs Kontinenten vertreten. Besuchen Sie uns unter www.ingrammicro.de oder www.ingrammicro.de
Mit dem Ableger Arvato ist Bertelsmann schon lange im Bereich öffentlicher Verwaltung als Dienstleister unterwegs. Der Bildungssektor ist ein interessantes Feld: Allein für das Schulwesen stehen jedes Jahr rd. 40 Mrd. € öffentlicher Mittel bereit. Überwiegend Gehaltskosten für Lehrer. Wäre doch schön, wenn der Staat beispielsweise für jede Stunde Fachunterricht eine Software-Lizenzgebühr an Bertelsmann entrichten müßte? Könnte man bei den Lehrergehältern einsparen. Und beim Schulbuch-Etat. Und die häusliche Nachhilfe der Eltern wäre dann natürlich auch auf die Software angewiesen. Die Geschäftsidee ist immer dieselbe: Den öffentlichen Aufwand für die Daseinsvorsorge in private Taschen lenken und die sozialen Standards absenken.