A
Aussteigerprogramm Sind Sie auch in die linke Szene abgerutscht? Der Verfassungsschutz kann Ihnen helfen! Seit 2011 läuft das „Aussteigerprogramm für Linksextremisten“. Es richtet sich „an Personen, die sich dazu entschieden haben, sich aus dem Einflussbereich linksextremistischer Strukturen zu lösen, den Ausstieg jedoch aus eigener Kraft nicht schaffen“. Dazu gibt es eine 24-Stunden-Hotline und einen E-Mail-Kontakt.
Wer sich meldet, der kann anonym „Hilfe zur Selbsthilfe“ bekommen, wird also beispielsweise bei der Arbeitsplatz- oder Wohnungssuche unterstützt. Sonderlich großen Bedarf gibt es jedoch nicht. In den Jahren 2012 und 2013 wurde mit gerade mal 20 Menschen gesprochen, ausgestiegen ist davon nur eine einzige Person. Oder geht es vielleicht doch um etwas ganz anderes? Allein die Existenz dieses Programms erweckt ja den Eindruck, dass Linke (➝ Schwarzfahren) ähnlich gefährlich seien wie Rechte (➝ Generalprävention). Felix Werdermann
D
Darmkrebs Schade, meine nächste Darmkrebsvorsorge ist noch eine Weile hin. Alle zehn Jahre bei Frauen meines Alters ohne Disposition, sagt man. Zweimal war ich schon. Das Wartezimmer (➝ Hausarzt) des Proktologen meines Vertrauens ist stets voller hübscher Männer mit gezupften Augenbrauen. Den vorangegangenen Tag habe ich mit Glaubersalz heruntergespült und mich nie weiter als drei Meter vom Badezimmer entfernt. Bis Klares kommt. Das alles ertrage ich klaglos in ungeduldiger Vorfreude auf die Ketamin-Portion, die kurz vor der eigentlichen Spiegelung durch meine Adern fließt. Betreuter Drogenkonsum im Dienste der guten Sache. Ich starre im Vollrausch auf den Monitor, in den sich hübsch schnörkelig mein Darm kuschelt. Im Anschluss höre ich entmaterialisiert, blöde grinsend der Auswertung zu und torkele beseelt und pumperlgesund nach Hause. Elke Allenstein
F
Foucault Wer von Vorsorge spricht, darf von der Sorge um sich nicht schweigen – und da ist man auch schon wieder bei Michel Foucault (siehe S.16). In seinem meist nur unter dem Teppich zitierten Spätwerk widmete sich der Philosoph genau dieser Thematik: der Sorge um sich als ultimativer Selbst-Technik zur Instandsetzung einer – grob gesagt – besseren Welt. Wie so oft war Foucault auch hier vorausschauend, wandte sich seine Forderung nach mehr Selbstsorge doch gegen einen sehr gegenwärtigen Selbstkult, der individuelles Heil in der Verwirklichung eines „wahren Ichs“ zu suchen droht.
Foucault war überzeugt, dass eine selbstbestimmte Sorge um sich nicht im Narzissmus endet, sondern den anderen solidarisch (➝ Zermürbung) umfasst. Aktuelle Gesundheitsideologien scheinen hingegen in eine andere Richtung zu weisen: Ist erst jeder wieder selbst schuld, wenn er krank wird, braucht er auf die Sorge der anderen nicht zu warten. Herrscht heute ein biopolitisches Regime von Fitness-Taliban, firmiert „Prävention“ somit meist nur noch als neoliberale Kampfvokabel zum Abspecken des Sozialstaats. Timon Karl Kaleyta
G
Generalprävention Wer sich an Rechtsgütern vergeht, wird bestraft, sei es zur Abschreckung oder damit der Gesellschaft vorgeführt wird, dass der Staat imstande ist, Recht durchzusetzen. Bei der Generalprävention handelt es sich also zunächst nur um einen juristischen Begriff. In einer nur noch vom Risikodenken beherrschten Gesellschaft bekommt sie indes eine neue Dimension. Vorbeugung und Vermeidung sind die Schlüssel der Selbst- und Sozialtechnologie: im Rahmen individueller Lebensgestaltung, im medizinischen Kontext (➝ Darmkrebs) oder bei der Gewaltprävention. Doch auch das schärfste Sicherheitsgesetz schützt nicht vor krimineller Absicht oder dem Zufall der Natur. Ulrike Baureithel
H
Hausarzt Das deutsche Wort „Hausarzt“ stammt vom lateinischen „Haruspex“ ab, dem antiken Berufsstand der Seher, die mithilfe der Eingeweide von Opfertieren die Zukunft prophezeiten. Heute nennt sich der Vorgang nicht mehr Hieroskopie, sondern „Vorsorgeuntersuchung“ und läuft dank moderner Analyseverfahren weitgehend unblutig ab. Einzige Reminiszenz des Hausarztes an die Traditionen seines Berufsstandes ist die manuelle Prostata-Untersuchung beim Mann. Das Ergebnis ist fast immer das gleiche: keine Zigaretten, kein Alkohol und keine Leckereien mehr. In puncto Lebensqualität (➝ Foucault) ist man also so tot wie ein antikes Opfertier. Uwe Buckesfeld
K
Kalifornien Land of the free, home of the world’s largest prison population. Diskutiert man hierzulande noch über die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, wird in Marlboro-Countrys Golden State ein ganz besonderes Modell der sozialen Grundsicherung praktiziert: In Richmond werden Ex-Straftätern nach einer Zeit der Abstinenz bis zu 1.000 US-Dollar gezahlt, um Morden und Gang-Rivalitäten vorzubeugen.
Die Resultate sind so positiv, dass Städte wie Miami und Baltimore aktuell überlegen, das Programm zu kopieren: Die Mordrate ist deutlich gesenkt, von den 88 Personen, die seit 2010 an dem Experiment teilnahmen, sind noch 84 am Leben, und vier Fünftel von ihnen wurden weder eines neuen Schusswaffenverbrechens beschuldigt noch angeschossen. Während der 18 Monate des Programms helfen ihnen Mentoren, sich ein deliktfreies Leben (➝ Generalprävention) aufzubauen. Es scheint zu helfen. Felix-Emeric Tota
P
Präventivschlag Wer einen Präventivschlag plant, hat es nicht leicht. Der vorsorglichen Zerstörung gegnerischer Ziele haftet der Vorwurf des Kriegstreibens an. Das zuvorkommende Zuhauen ist moralisch und völkerrechtlich schwer zu vertreten. Zwar erlaubt die UN-Charta die Selbstverteidigung (➝ Prepper) zur Abwehr – allerdings ist es umstritten, ob dazu auch die Annahme einer zukünftigen Attacke zählt, denn präventive Handlungen zeichnen sich ja eben dadurch aus, dass kein Angriff vorliegt.
Politiker wie George W. Bush haben daher versucht, dem PR-Schaden des kriegerischen Vorbeugens semantisch vorzubeugen, und den Präemptivschlag eingeführt: Eine unmittelbar bevorstehende Bedrohung eines Feindes wird kurz vor der Eskalation durch einen Angriff abgewendet – apriorische Kriegsführung, sozusagen. Der Angriff als Verteidigung kann jedoch zu einer Pattsituation führen, wenn sich ein Staat durch den Präemptivschlag eines anderen dazu genötigt sieht, ebenfalls einen solchen durchzuführen. Joseph Möller
Prepper Im Neuen Testament steht bereits seit etwa 2.000 Jahren, dass die Menschheit sich in der „Endzeit“ befindet und die Apokalypse kurz bevorsteht. Im Prinzip könnte es also jeden Moment so weit sein. Kein Wunder also, dass es Bewegungen gibt, die sich gegen so ziemlich alle denkbaren Ernstfälle rüsten: Meteoriteneinschläge, Bürgerkriege (➝ Präventivschlag) oder den Zusammenbruch des Weltfinanzsystems.
Die sogenannten „Prepper“ (von „to prepare“) geben sich im Internet gegenseitig Tipps zum Bunkerbau, Konservieren von Lebensmitteln oder zur legalen Selbstverteidigung. Für einige ist es ein Survival-Hobby, für andere paranoider Ernst. Laut Bibel sind die Zeichen für eine nahende Apokalypse übrigens: Kriege, Hungersnöte, Erdbeben, soziale Ungleichheit und fehlende Liebe. Klingt ja eigentlich wie immer. Also keine Panik: Es ist nur Endzeit. Konstantin Nowotny
R
Rente „Ich hab 40 Jahre eingezahlt und heute bekomme ich ’ne mickrige Rente.“ Der Ärger über geringes Auskommen im Alter ist verständlich. Und beruht doch auf einem Missverständnis (➝ Aussteigerprogramm). Denn die Rentenversicherung ist kein Vorsorgemodell, bei dem das Individuum Rücklagen für seine eigene Zeit nach der Lohnarbeit sammelt. Es ist ein Umlageverfahren: Die Einzahlenden finanzieren die aktuellen Rentenbezüge und erwerben einen Anspruch auf spätere Rente. Deren Höhe hängt aber nicht von der Einzahlung ab, sondern wird über die Rentenformel berechnet. Auch deshalb wird etwa die private Riester-Rente von der Regierung propagiert – diese ist aber auch nicht weniger von Ungerechtigkeiten gegenüber Geringverdienern gezeichnet. Tobias Prüwer
S
Schwarzfahren Werden Sie beim Schwarzfahren erwischt, „tragen Sie es mit Würde“, heißt es im Wikibook-Ratgeber „Umgangsformen“. Statt Würde reicht aber auch Vorsorge. Wie bei Planka.nu, der schwedischen ➝ Versicherung zum Schwarzfahren. Die ist eine Mischung aus Netflix-Abo und Stadtguerilla: Statt umgerechnet 130 Euro Strafe zu zahlen, überweisen die Nutzer monatlich 10 Euro an den Dienst, so viel, wie drei Einzehlfahrten kosten. Die Bußgelder begleicht Planka dann aus dem Abotopf. Das funktioniert so gut, dass die New York Times von einem „beneidenswerten Geschäftsmodell“ spricht, welches die Städte dazu anregen sollte, über einen Nulltarif im ÖPNV nachzudenken. Simon Schaffhöfer
V
Versicherung Es war an meinem 30. Geburtstag. Anscheinend bekommt man bei einem solchen Anlass automatisch auch von Versicherungsvertretern gratuliert, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass meiner mich nur ärgern wollte. Wäre auch verständlich, denn beharrlich Briefe mit tollsten Sonderangeboten zu verschicken, ohne dass die Empfängerin auf eine der Super-Offerten eingeht, das macht sicher keinen Spaß. Die Gratulation begann unauffällig, es war zunächst vom neuen Lebensabschnitt die Rede, der ja auch immer zur inneren Einkehr genutzt werden sollte.
Und dann kam es: Nun sei es allerdings auch an der Zeit, sich den wichtigen Fakten des Lebens zu stellen, nämlich: „Haben Sie schon an Ihre Altersvorsorge (➝ Rente) gedacht?“ Ich habe die Versicherung gewechselt, das Risiko, beim nächsten Geburtstag mit den Worten „Herzlichen Glückwunsch, nun dauert es nicht mehr lange, und sind Sie tot. Höchste Zeit, sich um eine Grab-Versicherung zu kümmern!“ gratuliert zu bekommen, war mir einfach zu groß. Elke Wittich
Z
Zermürbung Für gesellschaftlich diskriminierte Gruppen ist Prävention besonders wichtig. Die Vorurteile und Barrieren im Alltag fressen ohnehin Energie. Vor kurzem fanden Stefanie K. Johnson und David R. Hekman von der University of Colorado heraus, dass Engagement für Diversity in Unternehmen negativ wahrgenommen wird – außer es geht von weißen Männern aus. Wer sich also gegen die eigene Diskriminierung wehrt, wird dafür bestraft. Das ist auf Dauer zermürbend. Eine marginalisierte Position fördert zudem nicht gerade Selbstbewusstsein, so dass der Erhaltung mentaler und körperlicher Gesundheit (➝ Hausarzt) der entsprechenden Personen große Bedeutung zukommt. Oder, wie die Aktivistin und Autorin Audre Lorde sagt: „Caring for myself is not self-indulgence, it is self-preservation, and that is an act of political warfare.“ Sophie Elmenthaler
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