Vorurteil oder Vorsatz?

Kommentar Sprachforschung zum Antisemitismus

Ist die Nahostberichterstattung der deutschen Zeitungen in ihrer Grundierung antisemitisch? Ja, sagt die vergangene Woche vorgestellte Studie des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) und gibt damit den derzeit erhitzt geführten Debatten um Möllemann und Walser neuen Zündstoff. Die vom American Jewish Commitee (AJC) in Auftrag gegebene Untersuchung analysierte 427 Artikel aus sechs Zeitungen der "Mitte" - Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, taz, Welt und Spiegel - nach Ausbruch der zweiten Intifada (September 2000) bis einschließlich August 2001. Für die Studie spricht, dass sie versucht entlang der diffus geredeten Grenze zwischen Antisemitismus und der Kritik an israelischer Politik, klare Bewertungskriterien zu finden. Unterschieden wird zwischen "rassistischem Antisemitismus", - antijüdische Vorurteile gegenüber den Juden als ein Abstammungskollektiv -, "sekundärem Antisemitismus" - der Vorwurf, sie nutzten den Holocaust, um sich zu bereichern - und "christlichem Antijudaismus", der biblisch motiviert mit Anspielungen wie Christusmörder operiert. Tatsächlich gibt die Auswertung der gesammelten Zeitungsberichte Aufschluss über die Verfasstheit der deutschen Medienlandschaft. "Negative Zuschreibungen" erfahren der Staat Israel allgemein, besonders aber die Armee - "Besetzer von Moscheen", "israelische Elemente" nannte sie die FAZ -, die Person Sharon - von der gleichen Zeitung als "Schlächter" oder "politischer Pyromane" bezeichnet - und die Siedler in den Palästinensergebieten. Bleibt die Frage, ob die aus dem Diskurs gefilterten Aussagen und Strukturelemente wirklich Antisemitismus zum Ausdruck bringen? Wenn etwa die Frankfurter Rundschau vom 22. 11. 2000 schreibt, dass "Juden und Palästinenser halsstarrige Völker sind" und an einem "Flüchtlings- und Opferkomplex leiden", von "hässlichen Israelis" (Spiegel) die Rede ist oder die Welt in einem Artikel auf Henryk M. Broders Buchtitel die "Die Irren von Zion" verweist, lässt sich eine Verbindung mit antisemitischen Stereotypen erahnen. Bei vielen der von der Studie aufgeführten Sequenzen jedoch ist der Bezug zum vorgegebenen Bewertungsmaßstab nicht eindeutig. Bezeichnungen Sharons als "schmerbäuchiger Kriegsverbrecher" (FAZ) sind bösartig, Aussagen über den "exzessiven Gewalteinsatz der israelischen Armee" (taz) emotional aufgeladen, doch wenn die Studie hier Antisemitismus diagnostiziert, könnte dieser Befund bereits in der Annahme angelegt sein, wonach die deutsche Diskursöffentlichkeit latent von ihm durchzogen ist. Das birgt die Gefahr, dass jeder israelkritische Kommentar automatisch als antisemitisch eingestuft wird. Nicht zuletzt aber aufgrund ihrer eigenen Voraussetzungen resümiert die Studie, dass die deutsche Nahostberichterstattung generell mit religiösen Vorurteilen besetzt ist, obwohl über Einzelbeispiele zu diskutieren wäre.

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