Früher war er Wirtschaftswissenschaftler: Sebastião Salgado
Foto: CommonLens/Imago
Fast unwirklich erscheinen die gestochen scharfen Fotografien, so gut proportioniert sind die Gletscher, Bergreliefs und Sanddünen, die sie zeigen, die Populationen von Seelöwen, Rentieren und Pinguinen in ihrem unberührten Lebensumfeld. Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado ist müde geworden, menschliches Elend zu bebildern – oder das, was wir aus der Distanz als solches wahrnehmen. „Alleine sterben, ohne gefunden zu werden, das ist Elend“, sagt der 71-Jährige. Er steht auf den Treppen des Amerikahauses in Berlin, wo seit Samstag nun die Fotografien seiner aktuellen Ausstellung Genesis zu sehen sind.
Den Weg des früheren Wirtschaftswissenschaftlers – vom ersten Foto mit der Leica bis an die Grenzen der Zivilisation –
vilisation – hat Wim Wenders im vergangenen Jahr mit seinem Film Das Salz der Erde nachgezeichnet. Wenn Salgado in Berlin nun sagt, Isolation sei das wahre Elend, klingt das fast trotzig. In Wenders’ Film jedenfalls ist zu sehen, wie er in Ruanda immer wieder die Kamera weglegen musste, um zu weinen, während er die Folgen des Genozids fotografierte. Die Fluchtwege, auf denen Salgado den Tutsi in den 90er Jahren folgte, wurden zu Friedhöfen. Seine Bilder, die in Magazinen auf der ganzen Welt erscheinen, haben uns gezwungen, hinzusehen. Sie zeigen die Schönheit schmerzvollster Augenblicke auf. Salgado ist dafür auch immer wieder kritisiert worden.Placeholder gallery-1Salgado reiste, so formuliert es Wenders in seinem Film, ins „Herz der Finsternis“. Doch anders als der Protagonist, der in der gleichnamigen Erzählung von Joseph Conrad im Angesicht menschlicher Abgründe resigniert, findet Salgado für sich einen Weg hinaus. Das Verlangen nach einem Paradies treibt ihn an, die Schönheit in der Welt zu suchen. Die Idee seiner Frau Lélia, das Land der Familie im Tal des Rio Doce in Brasilien wieder aufzuforsten, wird in der Gründung des Instituto Terra Wirklichkeit. Parallel zu dieser Arbeit beginnt Salgado sein Projekt Genesis, acht Jahre lang bereist er ab 2004 die entlegensten Winkel der Erde. 46 Prozent unberührter Landmasse, sagt er, gebe es noch auf der Erde. Die gelte es zu bewahren.Strategie SchönheitBei einem Besuch der Ausstellung im International Center of Photography in New York, wo Genesis bereits im vergangenen September zu sehen war, fiel mir ein Mann mit buschigen weißen Augenbrauen auf, der von einer kleinen Gruppe Menschen und zwei Fotografen umringt wurde. Er berührte die Bilder, während er sprach, fast mit den Fingerspitzen. Die meisten Besucher erkannten Sebastião Salgado nicht. Unprätentiös sprach er über die Fotografien und nahm ihnen jedes Pathos. Er erzählte von der Gastfreundschaft der Curcuru, einem Volk aus Papua-Neuguinea, von der Kälte am Polarkreis und wie er sich monatelang nicht hatte waschen können. Die Art, wie Salgado über seine Bilder sprach, an den ästhetisch dramatischsten rasch vorbeischritt und nur einzelne zur Besprechung auswählte, war robust. Wie er mit seinem Werk umging, zeigte, dass hinter der gestochen scharfen Schönheit der Bilder ein Anliegen steckt, für das die Ästhetik nur Mittel zum Zweck ist. Salgado wirkte nicht wie jemand, der Frieden in der Dokumentation der Schönheit des Planeten und im Erschaffen einer Oase auf seiner Farm in Brasilien gefunden hatte. Seine Strategie hat sich nur verschoben.Die Ausstellung hat zwei Aspekte. Da sind zum einen die eindrucksvollen Bilder der Artenvielfalt, angefangen bei den Galapagos-Inseln, die schon Charles Darwin für seine Evolutionsstudien nutzte, bis zu den vereisten Tiefen der Antarktis. Zum anderen aber auch der westlich geprägte Blick auf das Volk der Dinka in Afrika und auf das Leben indigener Völker in Brasilien. In New York fragte ich ihn, wie er den Menschen auf seinen Bildern begegnet sei. Er antwortete, die Menschen, die er fotografiere, hätten selbst eine genaue Vorstellung davon, wie sie aussähen und wie sie sich in Szene setzten.In Berlin nun hat man diesem Aspekt von Salgados Ausstellung ein aufschlussreiches Pendant entgegengesetzt. Im ersten Stock des c/o Berlin hinterfragt die Ausstellung Distanz und Begehren: Begegnungen mit dem Afrikanischen Archiv mit historischen Porträts schwarzer Familien den westlichen Blick auf Afrika. Im Erdgeschoss versucht Salgado diese Distanz zu durchbrechen und stellt sie gerade dadurch aus. Ein Bild, das Frauen im Zo’é-Dorf von Towari Ypy in Brasilien zeigt, inszeniert sie in perfekter Choreografie vor dem Muster der Palmwedel, die ein Relief bilden, gerade so wie die Gletscher und Sanddünen auf anderen Bildern Salgados. In Zweierpaaren führen sie ähnliche Bewegungen aus, zwei beugen sich zur rechten Seite, zwei liegen in Hängematten, zwei führen die gleiche Armbewegung aus. Es herrscht eine Spannung zwischen Zufall und Inszenierung, zwischen dem Unberührten und der Kamera, die ihren Blick darauf richtet und es so durchbricht. Die perfekte Bildkomposition führt ihre Gemachtheit vor und stellt sie infrage. Gerade durch die Naturbilder, die in ähnlicher Weise wirken, wird das offenbar.So fragil scheinen die Welten, die Salgado mit Licht und Schatten zeichnet, so erhaben die majestätischen Gebirge und Eismassen, die Steinformationen auf Galapagos, in die sich Seelöwen schmiegen, als wären sie mit dem Pinsel hineingetupft. So einsam die Pinguine, die durch gigantische Eislandschaften der Antarktis wandern. So elegant die ebenmäßig geschwungene Walflosse, die in den Südatlantik taucht.Erhaben, schrieb Kant in seiner Kritik der Urteilskraft, sei es, wenn der Mensch im Angesicht der Größe der Naturgewalt seine eigene moralische Verpflichtung zur Freiheit erkenne. Ehrfürchtig steht der Betrachter bei Kant vor der Größe der Natur, die ihm seine eigene Ohnmacht bewusst werden lässt. Salgados Fotografien greifen durch ihren Blick in die Größe der unberührten Welt ein und machen so die Bedrohung spürbar, die in der ungebremsten Ausbeutung der Ressourcen lauert, in der Bezwingung der Natur.In seinen bisherigen Arbeiten waren Menschen Opfer anderer Menschen. Hier nun zeigt er den Planeten, der wehrlos ist. Hoffnung, sagte Salgado einmal, sehe er nur noch für den Planeten, nicht mehr für die Menschheit. Doch die hat ihn in der Hand. Deutschland könnte hier eine Vorreiterrolle innehaben. Doch zeigt schon die aktuelle Diskussion um den von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel geforderten Klimabeitrag für zu hohe CO2-Emissionen, wie weit man davon noch entfernt ist. Es geht, wie Hans Joachim Schellnhuber, der Direktor des Potsdamer Instituts für Klimaforschung in seinem Essay zu Genesis schreibt, „um die Bewahrung der Schöpfung durch Fortschritt“. Nicht um ein „Zurück zur Natur“, wie Rousseau es predigte, sondern um ein Vorwärts.Placeholder infobox-1
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