Votum mit Kollateralschäden

Kosovo/Serbien Der Friede wurde gemacht wie früher der Krieg – rasch und rücksichtslos. Das musste sich bei den Kommunalwahlen rächen
Ausgabe 45/2013
Gähnende Leere: Wahlhelfer warten am dritten November in Mitrovica auf die Abstimmungsberechtigten
Gähnende Leere: Wahlhelfer warten am dritten November in Mitrovica auf die Abstimmungsberechtigten

Foto: Andrej Isakovic/ AFP/ Getty Images

Im Vorjahr wurde der frühere Pressesprecher von Slobodan Milošević Premierminister in Belgrad. Und der Mann, der unter dem einstigen serbischen Präsidenten oppositionelle Zeitungen verboten hatte, wurde einflussreicher Vize-Premier. Natürlich schlugen alle einstigen Kriegsgegner die Hände über dem Kopf zusammen, und das überall auf dem Balkan. Unter westlichen Diplomaten aber, die in das allgemeine Wehklagen eigentlich hätten einstimmen sollen, blieb es ruhig. Nicht wenige überraschten mit einem wissenden Lächeln. Wenn diese Wende nicht ihr Gutes hatte! Regierte nicht auch in Priština mit Hashim Thaçi ein Mann der neunziger Jahre, der politische Anführer einer ominösen Befreiungsarmee? Und hatten nicht pro-westliche Regierungen in Belgrad jahrelang eine sture Kosovo-Politik betrieben, und zwar aus Angst vor eben der nationalistischen Opposition, die jetzt an der Macht war? Vielleicht gab es da ja eine eigentümliche Dialektik. Eigneten sich nicht gerade einstige Kriegsherren am besten als Friedensfürsten?

Die schlauen Diplomaten behielten Recht. In Rekordzeit brach die neue Regierung in Belgrad ein Tabu nach dem anderen. Ivica Dačić und Hashim Thaçi, die beiden Premiers, verstanden sich offenbar prächtig. Sorgen, dass Druck aus Deutschland in Belgrad zu einer neuen Verhärtung führen könnte, lösten sich auf. Sogar die völkerrechtliche Anerkennung durch Serbien schien plötzlich denkbar. Bei der Kommunalwahl am vergangenen Sonntag sollten nun die Kosovo-Serben den neuen Weg gutheißen. Und dann die verheerenden Bilder aus Mitrovica: gähnende Leere in den Wahllokalen, davor kahl geschorene Schlägertypen, die Wahlwillige abschrecken und die internationalen Beobachter als Siptari schmähen, ein Schimpfwort für Albaner – Bilder, wie man sie von früher kannte.

Was war da los? Nun, die Regierenden hatten ihren Frieden nach demselben Rezept gemacht wie vorher ihren Krieg: rasch, effizient und ohne Rücksicht auf Verluste. In die Verhandlungen, die im April zum Brüsseler Abkommen führten, waren die, um die es ging, nicht einbezogen: die Kosovo-Serben.

Im Schrecken erstarrt

Wie 1995 beim Ende des Bosnien-Krieges fanden es die internationalen Vermittler schlau, ganz auf die Verhandlungsmacht Belgrads zu vertrauen. Dort nahm man das Mandat mit Freuden an und brachte als Preis für seine Kompromissbereitschaft die Hoheit über die serbische Minderheit im Kosovo mit nach Hause.

Die Entmachtung traf in Mitrovica eine fragwürdige Szene. Im Norden der geteilten Stadt leben nicht wenige Schmuggler seit 14 Jahren gut von dem Schwebezustand des Gebiets, das weder richtig zum Kosovo noch richtig zu Serbien gehörte. Um ihre Geschäfte zu bemänteln, schüren sie die Angst vor den Albanern, die jenseits der Brücke über den Ibar leben. Geklappt hat die Entmachtung der Schmuggler freilich nicht: Eine Handvoll Schläger schaffte es, die Kosovo-Polizei samt versammelter internationaler Gemeinschaft im Schrecken erstarren zu lassen.

Die Entmachtung durch Belgrad traf aber ganz andere: die Serben im Süden des Kosovo, die in sogenannten „Enklaven“ leben und immerhin an die 40 Prozent aller Kosovo-Serben ausmachen. Sie haben sich über viele Jahre hinweg mit der albanischen Mehrheit arrangiert, eingedenk der Tatsache, dass nur ein gutes Verhältnis zur Mehrheit sie schützen kann. Mit dem Brüsseler Abkommen bekamen die Serben im Süden eine Autonomie oktroyiert, die sie gar nicht haben wollten und die ihren Namen auch nicht verdient. Belgrade takes over: Das war die Message, mit der auch hier am Sonntag die Kommunalwahl bestritten wurde. Eine von Belgrad aufgestellte Liste siegte in allen serbischen Gemeinden im Süden.

Gleich wie gegensätzlich ihre Ziele und Interessen sein mögen: Jetzt sind sie alle wieder bloß Serben und haben einen gemeinsamen Chef in Belgrad. Gewonnen wurde damit bloß eine Formel, die Europa braucht, um sich bei EU-Beitrittsgesprächen mit Serbien nicht selbst in die Quere zu kommen. Im Krieg nannte man es Kollateralschaden, wenn Angriffe die Falschen trafen; das Ziel rechtfertigte das Opfer. Frieden, dachte man, gehorcht einer anderen Logik.

Norbert Mappes-Niediek ist seit 1990 Balkan-Autor des Freitag

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