Suche zweite Ebene, finde Vulven aus Kuhmist. Ist das originell?

Bodypositivity Kunst soll anregen oder aufregen, jedenfalls originell sein. Das klappt oft, bis dann Kuhmist an der Wand hängt
Ausgabe 30/2022

Der Kunst gegenüber habe ich ähnliche Ansprüche wie ans Leben: Wenn nicht ständig etwas Überraschendes, Neues, Erkenntnisstiftendes passiert, etwas, das mich auf neue Gedanken bringt, werde ich ungeduldig, unzufrieden gar. Da habe ich – so finde ich ganz kundenmäßig – einen Anspruch drauf.

Neulich zum Beispiel habe ich es zur Berlin Biennale in die Kunstwerke (KW Institute for Contemporary Art) geschafft, etwas gestresst, weil der Eintrittspreis ungefähr einem Viertel des Honorars für diese Kolumne entspricht.

Dort habe ich zunächst die eindringlich intime Fotoserie einer Rom:nja-Familie von Mathieu Pernot und eine riesige Wandtapete der Künstlerin Alex Prager, deren fotografisch abgebildeten Passantinnen wie in einer Art Wimmelbild alle Ungerechtigkeiten dieser Welt im Gesicht zu stehen scheinen, ziemlich beeindruckt betrachtet.

Doch dann hingen dort Tücher, auf die weiblich gelesene Personen gestickt waren, deren Körper nicht dem früher noch in der Werbung als Idealmaß Dargestellten entsprachen. Joa, denkt man sich als jemand, der glaubt, dass Befindlichkeiten und Unwohlsein gegenüber dem eigenen und fremden Körpern irgendwie im Menschsein drinstecken. Und es waren auch ästhetisch ganz ansprechende Stickungen, nicht zuletzt, weil ja wirklich alle Körper Schönheit in sich tragen. Aber hinter den Tüchern an der Wand hingen mehrere Reihen brauner Klumpen, die sich bei näherer Betrachtung als verschiedenförmige Vulven herausstellten. Und nun setzte meine Kundenmentalität ein.

Ja, Bodypositivity, alle Körper sind anders, viele Menschen kennen den Unterschied zwischen Vulva und Vagina nicht, und das liegt auch daran, dass Frauen unterdrückt werden. Sauerei. Alles richtig. Aber wir reden jetzt doch schon auch wirklich ein paar Jahre über die Repräsentation des weiblichen Geschlechts. Ein Thema, das man in jedem Twitter-Thread, öffentlich-rechtlichen Jugendformat oder der Social-Media-Kampagne für ein funky Getränk sehen kann. Findige Start-up-Hasen verkaufen längst Vulva-Kerzen oder -Eierbecher oder was weiß ich, um mit dem Trend eine Mark zu machen. Mir alles ein bisschen zu unoriginell, um ins Museum zu kommen. Na ja, vielleicht sagt es irgendjemandem ja etwas Neues.

Aus lauter Fassungslosigkeit ob des gedanklich unterfordernden Werkes trat ich einen Schritt darauf zu, in der Hoffnung, noch eine zweite Ebene zu finden – etwas, das auch bezüglich der Ansprüche ans Leben ratsam ist und zu selten gelingt –, und siehe da, sie ließ sich finden: Diese Vulven waren auch noch aus Kuhmist gemacht. Aha!

In der Ausstellung gibt es sehr gut gearbeitete Beschreibungstexte. (Könnte man im Leben auch öfter gebrauchen!) Darin stand, die indische Künstlerin Mayuri Chari verhöhne mit den Vulva-Kuhfladen „die Tradition, menstruierende Frauen aus dem Haus zu verbannen. Sie gelten als unrein, während die Verwendung von Kuhdung als Brennstoff und in religiösen Reinigungsritualen akzeptiert wird.“ Bisschen eindeutig vielleicht, aber gut, als nicht in Indien lebende Person kann ich mir nicht anmaßen, über diese Kunst, die aus einem mir nicht zugänglichen Umfeld entstanden ist, zu urteilen.

Die Kritik an der unterfordernden Kunst sei ja so alt wie die Kunstgeschichte, sagt der schlauere Freund. Und ist dieser Anspruch an Kunst nicht schon sehr elitär? Und die Demokratisierung der Mittel ja grundsätzlich etwas Gutes. Also ist das hier vermutlich eine Kolumne, die weder einen neuen noch überraschenden Gedanken hat, und da haben die Lesenden natürlich einen Anspruch drauf, wie jeder ans aufregende Leben. Na ja, vielleicht sagt es jemandem ja etwas. Und wenn es nur ist, dass sich nicht nur in der Kunst, sondern auch in vielen Lebenssituationen eine weitere Ebene entdecken lässt.

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