Wachstumshoffnung Freihandel

DAS SÜDLICHE AFRIKA VOR DER WTO-KONFERENZ VON SEATTLE Im SADC ist vorerst mehr auf politische Sprengkraft als auf ökonomische Dynamik Verlass

Innerhalb der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) dreht sich inzwischen vieles um Seattle und die WTO, sollte man meinen. Schließlich werden beachtliche Vorleistungen erbracht, die künftige regionale Handelsbeziehungen, aber auch eigene Positionen auf dem Weltmarkt befördern sollen. In Mauritius gründen an diesem 22. Oktober die Industrie- und Handelskammern der SADC-Staaten ihre eigene Regionalorganisation. Ende September konnte der Vorsitzende der Entwicklungsbank des südlichen Afrika darüber informieren, dass 1998 deren Ausgaben mit 2,46 Milliarden Rand (umgerechnet 420 Millionen US-Dollar) einen Rekord erreicht hätten. Vor allem aber wurde am 11. Oktober in Pretoria nach vierjährigen Verhandlungen ein Handelsabkommen zwischen der EU und Südafrika unterzeichnet, das als eine Art Paradigma für den gesamten afrikanischen Wirt schaftsraum südlich des Äquators betrachtet wird.

Die Beispiele mögen nicht nur als Indiz für die Dynamik von Kooperation innerhalb des SADC gelten, sie lassen vor allem nach dem Potenzial fragen, mit dem regional und global zu rechnen ist - und da ergibt sich allerdings ein eher widersprüchliches Bild. Der Verbund namens SADC hat in den kommenden Jahren zunächst einmal dank der Bodenschätze seiner Mitglieder, dank ihrer agrarischen Ressourcen, der vorhandenen Infrastruktur, aber auch dank außerordentlich ergiebiger Fischfanggebiete alle Möglichkeiten, ein "Wachstumsmarkt" der Weltwirtschaft zu werden. Schließlich vereinen die 14 SADC-Staaten eine Bevölkerung von 200 Millionen Menschen und erwirtschaften ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 175 Milliarden Dollar (1998). Andererseits - konnte die Region noch 1996 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von vier Prozent verbuchen, fiel diese Quote 1998 auf 1,7 Prozent, ein Abwärtstrend, der sich auch mit diesem Jahr fortsetzt. Südafrika muss nach schmerzlichen Einbußen im Gold- und Diamantenhandel nun auch bei seiner Getreideproduktion witterungsbedingt mit Verlusten um 20 Prozent rechnen. Beim Hauptnahrungsmittel Reis wird im gesamten Wirtschaftsraum ein Absacken von fast 30 Prozent befürchtet. Erhebliche ökonomische Bürden verursacht überdies der trotz des jüngsten Waffenstillstands immer wieder aufflackernde Bürgerkrieg im Kongo, an dem SADC-Staaten wie Angola, Namibia und Simbabwe durch Militärhilfe für den kongolesischen Staatschef Kabila direkt beteiligt sind. Doch auch die eskalierenden Kampfhandlungen zwischen angolanischen Regierungstruppen und UNITA-Rebellen oder der schwelende Konflikt um den "Caprivi-Streifen" im Nordosten Namibias sind weder eine Empfehlung für ausländische Investoren, noch für regionale Wirtschaftsförderung.

Hinzu kommen divergierende politische Ordnungen (Königreiche wie Lesotho, Ein-Parteien-Systeme wie Simbabwe, pluralistische Demokratien wie Südafrika und Sambia) oder Unterschiede im nationalen Wirtschaftsgefüge, den Rechtssystemen und im Einfluß starker weißer Minderheiten - Fazit: Im SADC kann das Niveau Westeuropas auf das der Vierten Welt stoßen. Insofern wird sich auch auf absehbare Zeit an der Dominanz Südafrikas wenig ändern: Sein BIP ist dreimal höher als das der anderen 13 Mitgliedsländer. Zudem beherrschen südafrikanische Banken den Finanzverkehr in der Region - die Standard Bank of South Africa beispielsweise verfügt heute durch die 1997 erfolgte Übernahme des Bankhauses ANZ Grindleys über 77 Filialen in 14 Ländern Afrikas, das Gros davon liegt in den Grenzen des SADC. Ähnlich expansiv agiert die First National Bank, die ebenfalls durch Übernahme der Meridien BIAO de facto den Kredit- und Zahlungsverkehr in Swasiland kontrolliert.

Mit all diesen Konditionen im Nacken hat sich der SADC seit 1996 dem Freihandel verschrieben. Die praktischen Schritte hin zu einem "Gemeinsamen Markt" sollen 2004 abgeschlossen sein, doch ein Handelsprotokoll, das Anfang 2000 als wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin in Kraft treten soll, haben bislang erst sieben Mitglieder ratifiziert, Südafrika und andere wollen bis Ende 1999 folgen. Es bleibt eine komplizierte Entschei dung, denn Wachstumseffekte per Handel dürften bestenfalls mittelfristig zu erwarten sein, da sich derzeit der Waren- und Dienst leistungsverkehr innerhalb des SADC eher bescheidenen Margen nähert und lediglich einen Anteil unter zehn Prozent des Handelsvolumens aller Mitglieder erreicht. Nicht zuletzt eine Konsequenz aus exorbitant hohen Transport-, Versicherungs- und Kommunikationskosten, die den SADC-internen Güterverkehrs extrem belasten und nur durch eine gemeinsame In vestitionsanstrengung unter Federführung Südafrikas zu überwinden wären. Schließlich bleibt abzuwarten, wie sich das erwähnte Handelsabkommen EU/Südafrika auswirkt. Bisher wurde stets sein Modellcharakter für den gesamten SADC betont. Ab 2000 werden danach etwa 94,8 Prozent der südafrikanischen Exporte in die EU und 86 Prozent der EU-Exporte nach Südafrika zollfrei sein (bisher 70 Prozent). Ähnliches soll gemäß den WTO-Bestimmungen und im Verbund mit dem Nach-Lomé-Abkommen spätestens ab 2001 für die gesamte Region zutreffen. Das heißt SILIC-Länder (*) wie Mosambik oder Malawi werden dann den EU-Unternehmen einen präferenzierten Zugang zu ihren Märkten gewähren müssen. Es sei denn, diese Ländergruppe kann auf der anstehenden WTO-Konferenz in Seattle für sich einige Sonderregelungen durchsetzen. Für eine neue Dynamik innerhalb der SADC wie das ökonomische Erbe der lokalen Kriege wäre das von erheblicher Bedeutung.

(*) Severely Indebted Low-Income Countries - Gruppe der hochverschuldeten ärmsten Länder

SADC - Vorspuren für einen Gemeinsamen Afrikanischen Markt

Die am 17. August 1994 in Windhoek gegründete Southern African Develop ment Community (SADC / Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika) betrachtet sich mit seinen 14 Mitgliedstaaten Angola, Botswana, Kongo/Kinshasa, Lesotho, Malawi, Mauritius, Mosambik, Namibia, Sambia, Seychellen, Simbabwe, Südafrika, Swasiland und Tansania als eine wirtschaftliche und politische Einheit. Daher bestehen ihre Ziele neben einem gemeinsamen regionalen Binnenmarkt (geplant ist eine Freihandelszone ab 2004), für den es eines Tages auch eine einheitliche Währung geben soll, sowie dem freien Transfer von Kapital, Arbeitskräften, Gütern und Dienstleistungen auch in die Bildung eines Parlaments aller SADC-Länder und einer koordinierten Außen-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik im südlichen Afrika.

Eine Besonderheit des Verbundes ergibt sich aus der Tatsache, dass die diversen Integrationsbereiche der Federführung einzelner Mitglieder anvertraut sind: So ist Angola für das Energiewesen, Mosambik für Transport und Kommunikation, Namibia für Meeresfischfang und Sambia für die Montanindustrie zuständig. Eine Art von Dezentralisierung, die bislang ausufernde Bürokratie verhindert hat.

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