Waffenlobby gegen Amokopfer

Nach Winnenden Mehr als 100 000 Unterschriften übergeben: Betroffene fordern eine Verschärfung der Gesetze, doch die Politik ­zögert, gegen das tödliche Hobby der Schützen vorzugehen

Härteste Konsequenzen sind ihm schon angedroht worden, wenn er nicht aufhöre, gegen Waffenhersteller und Sportschützen vorzugehen. Aber Hardy Schober ist das inzwischen gewohnt. Fast jeden Tag erhält er E-Mails, mit denen Waffenfreunde ihn unter Druck setzen wollen. Im März vergangenen Jahres hatte Schober seine Tochter verloren. Sie war eines der Opfer des 17-jährigen Tim K., der mit einer großkalibrigen Militärpistole an einer Realschule in Winnenden ein Massaker anrichtete.

Mit anderen betroffenen Eltern hat Schober das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden gegründet. Und er legt sich seither mit der Waffenlobby an. Am Freitag hat das Aktionsbündnis gemeinsam mit der Initiative Keine Mordwaffen als Sportwaffen über hunderttausend Unterschriften an Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt übergeben – endlich solle eine Verschärfung des Waffenrechts erreicht werden.

Das zähe Ringen zwischen Menschen, die aus der Nähe erlebt haben, welches Grauen mit modernen Schießwerkzeugen ausgelöst werden kann, und einer ebenso aggressiven wie einflussreichen Waffenlobby geht damit in die nächste Runde.

Nach dem Schulamoklauf in Erfurt, der 2002 von einem Mitglied eines Schützenvereins ausgeübt wurde, war das Waffenrecht zunächst verschärft worden. Sofort setzten jedoch Bemühungen der Lobby ein, diese Änderungen wieder rückgängig zu machen – politisch vertreten hauptsächlich durch die FDP. Aber auch der Bundespräsidentschaftskandidat der CDU bescheinigte noch 2007 den Sportschützen, sie gingen äußerst verantwortlich mit ihren Waffen um. Christian Wulff forderte gar eine Lockerung der Bestimmungen.

Fehlendes Personal

Nach Winnenden kam es zu einer Verschärfung der Regeln. Doch die wird als absolut untauglich betrachtet. Vorgeschriebene „verdachtsunabhängige Kontrollen“, bei denen geprüft werden soll, ob Waffen ordnungsgemäß aufbewahrt werden, sind mangels Personal schlicht nicht durchführbar. Einige Kommunen verzichten sogar von vornherein darauf.

Dabei ist die Gefährlichkeit des Waffenbesitzes von Sportschützen leicht nachweisbar. Seit 1994 töteten Mitglieder von Schützenvereinen 63 Menschen. Und wozu benötigen Sportschützen großkalibrige und schnell feuernde Gewehre oder Pistolen? Mit ihnen wurde der Winnender Amokläufer Tim K. auf Treffgenauigkeit trainiert. Zielgenau brachte er später Schüler und Lehrer ums Leben – vorwiegend durch Kopfschüsse mit einer Beretta 92-Pistole. Deren Projektile haben eine Reichweite von zwei Kilometern und durchschlagen Ziegelwände, oder, wie man es etwa im Waffensachkundebuch nachlesen kann, Autotüren und Felgen.

Dafür, dass Schützenverbände Schießwerkzeuge solchen Formats benutzen, gebe es keinerlei rationale Begründung, meint Schober. Um auf Zielscheiben in Sichtweite zu schießen, benötige man schließlich kein kriegstaugliches Gerät. Außerdem ist der frühere Finanzberater davon überzeugt, dass viele der Schützen neben ihren legal zugelassenen Waffen auch noch über unangemeldetes Schießgerät verfügen. Es wäre kein Wunder: Der Sprecher des Forums Waffenrecht, Joachim Streitberger, nimmt an, dass hierzulande 20 bis 40 Millionen illegale Waffen im Umlauf sind.

Millionen illegale Knarren

Zur Verteidigung ihrer Interessen argumentieren die Waffenfreunde: Wer dazu entschlossen sei könne mit jedem beliebigen Werkzeug Menschen töten, zum Beispiel mit einer Axt. Der mit einem Beil, Messern und selbst gebastelten Molotowcocktails ausgerüstete Schulamokläufer von Ansbach, war im vergangenen Jahr jedoch lediglich in der Lage, Personen mehr oder weniger schwer zu verletzen. An einer Germeringer Schule scheiterte vor wenigen Tagen ein versuchter Sprengstoffanschlag eines Schülers, weil der mit den Chemikalien nicht klar kam und rechtzeitig gefasst werden konnte. Beide hatten keine Schusswaffen.

Die Behauptung, Schulamokläufer würden sich nötigenfalls Waffen auf den illegalen Märkten besorgen, verfängt ebenfalls nicht. „Die Analyse der Amoktaten zeigt deutlich, dass fast alle bei den Taten verwendeten Schusswaffen aus den Täterhaushalten stammen“, sagt die Gießener Kriminologin Jutta Bannenberg. In der Politik ist das aber immer noch nicht angekommen. Man werde das Waffenrecht bis Ende 2011 auf den Prüfstand stellen, heißt es im schwarz-gelben Koalitionsvertrag – um „unzumutbare Belastungen für die Waffenbesitzer“ abzumildern.

Hans-Peter Waldrich ist Publizist und Lerntrainer in Freiburg. Von ihm erschien zuletzt In blinder Wut. Amoklauf und Verantwortung der Schule bei PapyRossa

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Geschrieben von

Hans-Peter Waldrich

Aller Beschreibung spottend.

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