Wagner und das Weib der Zukunft

Siegfried und Senta Heute vor zweihundert Jahren wurde Richard Wagner geboren. Wir stellen die Genderfrage an den Großkomponisten
Ausgabe 21/2013
Götterdämmerung
Götterdämmerung

Foto: Miguel Villagran / Getty

Nehmen wir den berühmtesten seiner Helden, Siegfried: in den frühen Inszenierungen von Richard Wagners Ring des Nibelungen viel Fell, Schwert und Rauhbeinigkeit, gegenwärtig zwar zuweilen modern anverwandelt, aber auch hier das Heldische, angesiedelt zwischen Unrasiertheit und Muskelmasse. Ebenso markant sind die weiblichen Figuren in Wagners Musikdramen: Hat sich eine unbedingtere Liebe als Isoldes „Liebestod“ je auf der Opernbühne ereignet? Ist eine aufopferungsvollere Geste denkbar als Sentas Entschluss, durch ihren eigenen Tod dem Fliegenden Holländer Erlösung zu schenken?

Diese Senta ist Wagner „das noch unvorhandene, ersehnte, geahnte, unendlich weibliche Weib, – sage ich es mit einem Worte heraus: das Weib der Zukunft.“ Bei allem Nuancenreichtum in seinen Musikdramen muten die Geschlechterrollen eindeutig verteilt an: das männliche Prinzip im Heldischen, das weibliche im „Weib der Zukunft“.

Es kommt hinzu, dass Wagner die Polarisierung der Geschlechter zur Grundlage seines ästhetischen Denkens gemacht hat. Es gehe, so Wagner 1851 in seiner Schrift Oper und Drama, beim Komponieren einer Oper nicht darum, ein Libretto mit mehr oder weniger passender Musik zu versehen, sondern Wort und Ton zu einem Ganzen zu formen, wobei „das Dichterwerk als das männliche, die Musik hingegen als das weibliche Prinzip“ zu gelten habe und deren „Vermählung“ der „Erzeugung des größten Gesammtkunstwerkes“ diene. „Die Musik ist ein Weib“ – auf diese Formel kommt Wagner immer wieder zurück.

So eindeutig scheinen die polaren Geschlechterrollen bei Wagner verteilt zu sein, dass sie auch heute noch Einfluss nehmen auf die Art, wie seine Bühnenwerke inszeniert werden – man denke an Robert Lepages bildgewaltige Ring-Interpretation an der New Yorker Met – und wie wir über Wagner und seine Musik nachdenken. Wagner bestätigt uns vordergründig unser Bild vom deutschen Bildungsbürgertum und dessen Geschlechtervorstellungen.

Doch schauen wir nicht mit eben diesem Bild zirkelschlüssig auf Wagner, um unser Bild bestätigt zu finden? Es scheint an der Zeit, diesen Polarisierungen zu misstrauen, nicht nur mit einem Verweis auf die „starken“ Frauenfiguren wie Brünnhilde, die dem Göttervater Wotan zu widersprechen wagt, oder den „schwachen“ Helden, wie der an Hagens Intrigantentum scheiternde Siegfried.

Genau genommen greift es einfach zu kurz, das Idealtypische des Männlichen und Weiblichen bei Wagner, in seinen Werken, Schriften, womöglich in auch seinem Leben aufsuchen, zu viele Ungereimtheiten treten beim genaueren Hinsehen und -hören zu tage.

Stattdessen sollte man Wagner mit den Geschlechterdiskursen seiner Zeit konfrontieren. Sollte seine Konzeption von Heldentum befragen, wenn die Helden und „starken“ Frauen immer just in dem Moment scheitern, in dem sie in der Ehe eine bürgerliche Lebensform finden: Siegfried und Brünnhilde, aber auch Lohengrin und Elsa und andere. Ist das, was Wagner auf ästhetischer Ebene – die „Vermählung“ des männlichen mit dem weiblichen Prinzip – als künstlerisches Ziel verfolgte, auf der Figurenebene zum Scheitern verurteilt? Und: Wie geht dieser Widerspruch zusammen mit seinen Vorstellungen einer idealen Ehe, die er als seinen „höchsten Kunst-Idealen“ gleichwertig sah? Hier fängt das Nachdenken über Wagner jenseits schablonenhafter Zuschreibungen an.

Melanie Unseld lehrt Kulturgeschichte der Musik in Oldenburg. Sie organsisiert auch die Tagung "Wagner - Gender - Mythen. Internationales und interdisziplinäres Symposium zu Richard Wagners 'Tristan und Isolde'." Carl von Ossietzky Universität Oldenburg in Kooperation mit dem Staatstheater Oldenburg 15.-17. November 2013

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