Wenige Minuten bevor die Verteidigung des 1. FC Köln durch einen ihrer berüchtigten Schnitzer den ersten (von insgesamt fünf) Gegentreffer dieses Spieltages beim VWL Wolfsburg kassierte, kam die Nachricht, dass sich der Fernsehrat des ZDF nun doch auf einen Intendanten verständigt habe. Um 15.20 Uhr am 9. März war der Programmdirektor des Senders, Markus Schächter, mit 51 Stimmen der anwesenden 67 Fernsehratsmitglieder gewählt worden. Er folgt dem langjährigen Intendanten Dieter Stolte, der Anfang April als Herausgeber von Welt und Morgenpost nach Berlin wechselt. Mehr als drei Monate dauerten die Auseinandersetzungen um die Stolte-Nachfolge. Angesichts des Ergebnisses ist das mehr als absurd. Denn Schächter war von Anfang an unter den hausinter
an unter den hausinternen Kandidaten. Aber die Wahl sollte deshalb nicht so leicht werden, weil der Fernsehrat des ZDF, der den Intendanten mit Dreifünftelmehrheit zu wählen hat, fest in einen schwarzen und einen roten Freundeskreis aufgeteilt ist. Diesen Freundeskreisen rechnen sich selbst die partei-unabhängigen Mitglieder des Gremiums zu, als sei es lebenswichtig, eine zur einheitlichen Stimmabgabe verpflichtende Mitgliedschaft in einem dieser beiden inoffiziellen Zirkeln einzugehen - Zirkel, die bei näherem Betrachten trotz der illustren Namen ihrer Mitglieder wie eine Mischung aus Kegelklub und stalinistischer Kaderpartei wirken. Warum fand Markus Schächter aber nun nicht schon am ersten Wahltag im Dezember 2001 eine Mehrheit? Das hat zwei Gründe: Zum einen war der dem konservativen Lager durchaus nahestehende Schächter der CSU-Front im schwarzen Freundeskreis um den ehemaligen Herausgeber des Bayernkurier, Wilfried Scharnagl, nicht gut genug. Vermutlich im Auftrag seines Herren und Gebieters Edmund Stoiber wünschte sich Scharnagl jemanden, der markanter und dominierender die konservative Linie vertritt als der eher konziliant und leise auftretende Schächter. So nominierte der schwarze Freundeskreis, der die Mehrheit unter den 77 Fernsehräten des ZDF stellt, den stellvertretenden Chefredakteur Helmut Reitze. Doch zur Dreifünftelmehrheit bedarf es einiger Stimmen aus dem roten Freundeskreis. Die blieben aus, und Reitze scheiterte. Gleich zweimal. Der rote Freundeskreis hatte gegen ihn Dagmar Reim, die Direktorin des Funkhauses Hamburg des NDR, ins Rennen geschickt. Nicht, weil man glaubte, sie besäße eine Chance. Nein, mit einer weiblichen Kandidatin scheitert man eleganter - es sieht in heutigen Zeiten besser aus und kostet nichts. Dann wartete der rote Freundeskreis zu, welche Vorschläge ihm der schwarze Widerpart unterbreiten würde. Der blieb auf Stoiberkurs und schickte Gottfried Langenstein ins Rennen. Doch dieser erhielt noch nicht einmal alle Stimmen des eigenen Freundeskreises. Nun begann das große Rätselraten: Wer hat noch nicht, wer darf noch mal? Immer neue Namen wurden an der Gerüchtebörse gehandelt und fallen gelassen. Frühzeitig hatte der sozialdemokratische Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, der zwar nicht im Fernsehrat, dafür aber im Verwaltungsrat des Senders sitzt, Bewerber von außerhalb ins Spiel gebracht. Zwar waren die Namen, die Clement dann intern nannte, nicht unbedingt Koryphäen ihres Faches, aber die Idee, das interne Verfahren von Außen durchzulüften, war mehr als richtig. Aber für eine externe Kandidatensuche war es fast zu spät. Der Ruf des Senders wie des zukünftigen Intendanten war durch das amateurhafte Verfahren, die Ränke und Intrigen schwer beschädigt. Wer wollte sich noch auf einen dergestalt malträtierten Sessel hieven lassen? Mit dem ARD-Programmdirektor, Günter Struve, fand man schließlich jemanden, der für beide Freundeskreise vermittelbar erschien. Er hatte zwar einst der SPD angehört, war aber schon vor Jahren ausgetreten. Das Erste Programm hatte der Mozart-Liebhaber mit harter Hand, kräftigen Vokabeln und unendlich vielen Stunden Volksmusik popularisiert. Das musste selbst den Stoiber-Freunden im Fernsehrat gefallen. Doch die verbanden die ZDF-Personalie Struve mit einer der ARD. Sie würden - so wird kolportiert - für Struve stimmen, wenn dem der Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunk, Gerhard Fuchs, nachfolgen dürfe, der seit seiner gescheiterten Wahl zum BR-Intendanten gleichsam auf der konservativen Karriereleiter liegen geblieben ist und Stoiber in der ARD noch manchen Gefallen erbringen könnte. Das ging selbstverständlich nicht. Weil sich die ARD nicht von außen hinein reden lässt. Und weil sie - wichtiger noch - eigene Personalprobleme mittels des Aufstiegs von Struve zu lösen gedachte. Folglich scheiterte Struve. Er erhielt am 9. März die Stimmen des roten Freundeskreises - keine Stimme mehr, obgleich ihn auch viele des konservativen Kreises für einen tauglichen ZDF-Intendanten hielten. Aber anscheinend zählte nur das Argument: die haben unsere Kandidaten nicht gewählt, wieso sollen wir ihren wählen. In Kindergärten soll es rationaler zugehen. In dieser verfahrenen Situation kam Markus Schächter wieder ins Spiel und damit der zweite Grund ins Gespräch, weshalb er nicht schon im Dezember nominiert und gewählt worden war. Sollte er Intendant werden, müsste ihn sein Stellvertreter, Hans Janke, fast zwangsläufig beerben. Aber der ausgewiesene Fernsehfachmann Janke hat ein dreifaches Gebrechen. Er stammt aus dem Ruhrgebiet, ist ein Intellektueller und kann zudem brillant formulieren. Damit kann er schon zwangsläufig nicht auf einem Ticket des schwarzen Freundeskreises reisen. Aber den Posten des Programmdirektors reklamiert dieser für sich, seien doch Chefredakteur und Verwaltungsdirektor Sympathisanten der roten Konkurrenz. Damit trat ein, was in diesem Tagebuch Ende November prognostiziert wurde. Eine Personaldiskussion, die nicht nur parteitaktischem Kalkül folgt, sondern dieses auch konsequent senderschädigend anwendet. Ob Schächter dem schwarzen Freundeskreis vor seiner Wahl etwas versprach, weiß im Moment keiner. Nur lassen sich dessen Mitglieder mit den Worten zitieren, sie erwarteten, dass der neue Intendant als Programmdirektor einen aus dem konservativen Lager vorschlage. Das macht die Lage übersichtlich. Schächter hat zwei Möglichkeiten: Schlägt er den zuständigen Verwaltungsrat Hans Janke vor, hat er nicht nur alle Sachargumente auf seiner Seite, er bezeugte zugleich große Selbstständigkeit vor jenen, die im Intendantenwahlkrampf den Sender geschädigt haben. Nominiert er aber jemanden wie den Fachmann für Innenpolitik im ZDF, Thomas Bellut, dann unterwürfe er sich dem parteitaktischen Kalkül, das ihn an die Spitze brachte, und schwächte sich und seinen Sender selbst. Ach ja, mit seiner Niederlage in Wolfsburg besiegelte der 1. FC Köln seinen Abstieg in die zweite Bundesliga. Auch dieser Abstieg war selbstverschuldet.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.