Wahlrecht für Kinder: Verschont uns damit!

Beteiligung Eltern pochen darauf, ihre Kinder bei der Wahl abstimmen zu lassen. Am Ende wäre das Kinderwahlrecht jedoch vor allem eine staatsbürgerliche Belohnung für Familien
Ausgabe 38/2013
Kinder haben eigene Parlamente, Universitäten und Nachrichten. Nun sollen sie auch noch das Wahlrecht bekommen?
Kinder haben eigene Parlamente, Universitäten und Nachrichten. Nun sollen sie auch noch das Wahlrecht bekommen?

Jörg Koch/Getty Images

Um an Wahlen teilzunehmen, muss man hierzulande volljährig sein. Man muss also jenes Alter erreicht haben, bei dem der Gesetzgeber davon ausgeht, dass man für die Untaten, die man an sich und anderen begeht, rechtliche und moralische Verantwortung zu tragen in der Lage ist.

Erst wem Einsichtsfähigkeit in die Wirkung von Alkohol unterstellt werden kann, erhält das Recht, sich ins Koma zu saufen; erst wer das Zerstörungspotenzial eines Personenkraftwagens zu ermessen vermag, darf den Führerschein machen. Insofern scheint es nur konsequent, die Beteiligung an Wahlen alterspolitisch ähnlich zu behandeln wie die Beteiligung an Straftaten. Wenn ein Fünfjähriger Kreuzchen auf einem Wahlzettel macht, gilt das nicht als Stimmenabgabe; wenn er mit der Sportpistole seines Papas aufs Schwesterchen schießt, haften für die Folgen die Erziehungsberechtigten.

Doch je ähnlicher die Erwachsenen ihrem zunehmend unnaiven Nachwuchs werden, desto lauter pochen sie auf die vermeintliche Mündigkeit der Kinder, die – da man ihnen schließlich bis ins gegelte Strubbelhaar gleicht – doch genauso selbstständig, pfiffig, entscheidungs- und funktionsfähig, kurz: genauso fertige Staatsbürger seien wie man selbst. Den Kleinen hat dieser Gesinnungswandel Kinderparlamente, -universitäten und -nachrichten beschert, in denen leider keine Faxen gemacht, sondern Kreativität, Bildung und Wissen vermittelt werden – das gleiche also, das sich die Erwachsenen untereinander antun, nur eben auf „kindgerechtem“, mithin noch ärmlicherem Niveau.

Die Zeichen der Zeit besonders fix erkannt haben wieder einmal die Grünen, die auf ihren Wahlkampfplakaten eine regelrechte Babyoffensive entfesselten, sodass der unschuldige Passant seit Monaten von nervigen Steppkevisagen belästigt wird, begleitet von pseudozeitgemäßem Herumgekumple der Art „Meine Mudda wird jetzt Chef – Und Du?“ oder dem Mädchen, das später „Energieriese“ werden will. Außerdem hat die sozialdemokratische Familienexpertin Renate Schmidt rechtzeitig vor der Wahl das Buch Lasst unsere Kinder wählen! vorgelegt, in dem sie für die Einführung eines Kinderwahlrechts von Geburt an plädiert.

Freilich ähnelte das Wahlrecht für Kinder, wie Schmidt und andere es sich wünschen, eher dem in manchen Diktaturen üblichen Brauch, bei Wahlen die Toten mitstimmen zu lassen. In Deutschland soll demnach künftig in jeder Familie zwar nicht die verblichene Oma, aber der frische Enkel symbolisch mit an die Urne dürfen. Abstimmen müssten allerdings immer noch die Erziehungsberechtigten für ihn, sodass davon auszugehen ist, dass seine Parteipräferenz der seiner Eltern ähnelt. Nicht als individuelle Menschen also sollen die Kinder mitbestimmen dürfen, sondern als Familieninventar: Das Kinderwahlrecht wäre vor allem eine staatsbürgerliche Belohnung für vermehrungsfreudige Paare. Wie viel mehr würde sich ändern, wenn man die Forderung ernst nähme und jedem Säugling wirklich seine eigene Stimme gäbe. Die Koalition aus Piraten, Yogi-Fliegern und rosaroten Panthern, die in diesem Fall hoffentlich bald die Republik regieren würde, verspräche für die nächsten vier Jahre jede Menge Spannung, Spiel und Schokolade.

Die Kinderoffensive machte auch nicht vor den Straßen Berlin-Schönebergs halt, wo Magnus Klaue lebt.

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