Waldhimbeere und Schlumpf

Nachwahl-Kater in Frankreich Sozialistenchef Hollande wird abgedrängt - Staatschef Sarkozy bleibt den großen Durchmarsch schuldig

So sieht er also aus, der Rechtsruck in Frankreich: Vergrämte Mienen in der neuen Nationalversammlung, weil es am Ende nicht gereicht hat für eine Zweidrittelmehrheit. Ein Regierungschef, der nach zwei Wochen im Amt schon ein Kommunikationsproblem hat. Ein Präsident schließlich, besoffen von der Macht, entdeckt die Weltpolitik. Nur gut, dass bald Sommerferien sind. Dann wird der ganze Laden zugesperrt, und Nicolas Sarkozy kann wieder am Strand joggen vor den Objektiven ausgewählter Pressefotografen.

Frankreichs Wahlen waren eine sonderbare Angelegenheit. Zwei Runden für den Präsidenten im Mai, zwei für das neue Parlament im Juni haben die ideologische Herrschaft der Deregulierer und Individual-Liberalen gesichert. Die Regierung hat für die nächsten fünf Jahre eine solide Mehrheit in der Nationalversammlung. Zählt man die fünf zurückliegenden dazu, kommt man auf eine beachtliche Zeitspanne bürgerlich-konservativer Politik, die das Land und das Denken seiner Bürger formt. Seit zwölf Jahren hat die Linke keine Wahlen mehr für das höchste Amt in Frankreich gewonnen, 17 werden es sein, bis sie 2012 wieder eine Chance hat. Das ist wie ein Mühlstein, der an der Opposition hängt und deren Bemühungen um programmatische Erneuerung erschwert. Wäre da nicht die sichere Hand der Rechten für die Selbstblamage, die früher Jacques Chirac auszeichnete und für die auch die Generation um Sarkozy Talent erkennen lässt.

Aus dem schier unendlichen Fundus wirtschaftsliberaler Euphemismen hat Sarkozys neue Regierung den Begriff der "sozialen Mehrwertsteuer" gefischt und sich damit zwischen den beiden Runden zur Parlamentswahl um Kopf und Kragen geredet. Eine "Mehrwertsteuer zur Abwendung von Unternehmensabwanderungen", hatte der Premier versucht zu erklären und auch noch mit einer Zahl aufgewartet: Warum nicht fünf Prozent Steuererhöhung für alle, damit die Sozialabgaben für die Arbeitgeber gesenkt werden können - und die präsidialen Wahlversprechen eines Steuernachlasses für die Bestverdienenden halbwegs finanzierbar sind? So viel Unverblümtheit rächt sich, wie der relative Erfolg der Sozialisten bei den Stichwahlen zeigt.

Die Waldhimbeere, der Schlumpf und die streitbare Johanna von Orleans, das ist die derzeitige Besetzung der politischen Bühne: François Hollande, der Noch-Parteichef der Sozialisten, Nicolas Sarkozy und seine geschlagene Herausforderin Ségolène Royal. "Framboise de bois" hatte "Parteifreund" Laurent Fabius einmal gehässig seinen Parteivorsitzenden genannt: zu harmlos, zu nett, ohne wirklichen Biss. François Hollande, der immerhin seit zehn Jahren die Sozialisten führt, hat nun erst einmal privat die Koffer von seiner gnadenlos kalkulierenden Lebenspartnerin Royal vor die Tür gestellt bekommen - das Ende einer unmöglichen Koexistenz persönlichen Karrierestrebens. Ségolène Royal, die ganz offenbar "Biss" hat und einen quasi-religiösen Zugang zu ihrer politischen Mission, breitet in Büchern und Interviews das Innenleben ihres Wahlkampfs mit und gegen die eigene Partei aus. Ihr Ziel: so rasch wie eben möglich Parteivorsitz wie Status als Präsidentschaftskandidatin an sich ziehen.

Denn die ideologische Vormacht, die der klein gewachsene, in Karikaturen als gerissene Schlumpffigur dargestellte Staatschef Sarkozy über die französische Politik gebreitet hat, ist ja durchaus real. Die Linke muss sich völlig neu erfinden angesichts der politischen Dynamik, mit der Sarkozy durchs Land gerollt war. Worum wird sich nun die programmatische Debatte der Sozialisten drehen? Um eine Neubewertung des Marktes, hört man, der nicht länger nur als Maschine verstanden werden dürfe, die soziale Ungleichheit produziere. Man müsse vielmehr sehen, wie der Markt in den Dienst des öffentlichen Wohls gestellt werde. Es klingt nach den alten Formeln des "Dritten Weges" aus der Anfangszeit des Blairismus vor zehn Jahren. Darüber wird sich die Partei nun zerreißen: Fabius auf der Linken, Dominique Strauss-Kahn, der Apologet der Sozialdemokratie, auf der Rechten, Royal irgendwo dazwischen. Noch hält sich in den Großstädten die Wählerbasis der Ex-Präsidentschaftskandidatin und die Verachtung für die wenigen Sozialisten, die sich der Regierung Sarkozy angeschlossen haben.


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