Walk of Cash

Norwegen Der bargeldlose Zahlungsverkehr spart in Oslo auch öffentliche Toiletten nicht aus
Ausgabe 43/2019
Weg damit! Sollen die Bettler doch Kuchen essen.
Weg damit! Sollen die Bettler doch Kuchen essen.

Foto: Tore Meek/NTB Scanpix/AFP

Es gibt eine Weltregion, in der Bargeld weitgehend aus dem Alltag verschwunden ist – Skandinavien. Schweden, Norweger und Dänen zahlen auch Brot mit Karte. Die Vision des gläsernen Menschen macht der skandinavischen Mentalität keine Angst, während man sich Barzahler als lichtscheue Gestalten vorstellt, die etwas zu verbergen haben. Am weitesten ist Schweden, dort wird für 2023 die völlige Abschaffung des Bargelds erwartet. Auch in Norwegen werden nur noch elf Prozent der Transaktionen in bar durchgeführt. Am meisten schockiert mich, dass angeblich schon norwegische Bettler die Überweisungs-App ihres Smartphones statt der Hand aufhalten.

Ein wenig Widerstand regt sich aber. Die Bewegung heißt „Ja til kontanter“ (Ja zu Bargeld). Ich bin mit ihrem Chef Hans Christian Færden verabredet, wir wollen an einem schönen Nachmittag das Zentrum von Oslo begehen – unser Vorhaben: „Walk of Cash“. Vorher sehe ich mir an, ob wenigstens das öffentliche WC am Hauptbahnhof noch Münzen nimmt. Es folgt eine Szene wie zu Onkel Toms Zeiten: Das Bahnhofsklo wird von Afrikanern geputzt. Am Kassenschalter sitzt niemand, dafür steht ein Somalier vor der Schranke und zeigt jedem Einzelnen, wie die Karte an die Kontaktlosfunktion des Kreditkartenterminals anzulegen ist. Als ein deutsches Rentnerpaar echte norwegische Kronen zückt, sperrt der Somalier die Kasse auf. Es geht also!

Færden ist ein gewitzter, weltweit mit finanzmarktkritischen Initiativen vernetzter Mindestrentner, sein Kopf eilt den Beinen immer ein Stück voraus. Demnächst soll das norwegische Parlament darüber abstimmen, ob das Nichtannehmen von Bargeld mit Strafe belegt wird. Færden hat immerhin drei kleinere Parteien auf seiner Seite – die Linkssozialisten, die Christdemokraten und die bäuerlich-souveränistische Zentrumspartei. „Bargeld müsste schon jetzt überall angenommen werden“, sagt er, „nur wird das nicht geahndet.“

Der Ex-Journalist führt mich durch Oslos zentrale Prachtstraße „Karl Johans Gate“. Gegenüber vom Parlament zeigt er auf die Zentrale einer Bank: „Hier fing es für mich an. Es muss 2014 gewesen sein, da verkündete der Kommunikationschef dieser Bank, mit Bargeld gehört Schluss gemacht.“ Als die große rechte Regierungspartei 2017 eine „Arbeitsgruppe Digitalisierung“ einsetzte, gab das Færden den Rest. Der betont mehrmals, mir das Schönste von Oslo zeigen zu wollen, denn „abgesehen von Cash“ sei Norwegen ein tolles Land. Nach einer halben Stunde stehen wir vor der Anhöhe mit dem Königsschloss. Færden fragt mich: „Wie viele Bankomaten haben Sie gesehen?“ Ich darauf: „Einen.“ Laut Færden ist das Absicht. Man komme nur noch schwer an Bargeld, und wenn, dann nur an 200 Euro am Tag, was im teuersten Land Europas kein Geld ist, „und ich muss jedes Mal Geld dafür zahlen, um an mein Geld zu kommen“. Wir biegen in Richtung Uferpromenade ab. Als Færden einen alten Parkautomaten sieht, ruft er begeistert: „Der nimmt noch Münzen!“ Wir treten näher und sehen, der Automat ist außer Betrieb. Gegenüber eine weitere Bank, und Færden genießt es, zuzusehen, wie ich auch an ihr keinen Bankomaten finde.

Der „Walk of Cash“ wird lang, raus auf die Museumsinsel, wo Færden auf eine riesige Dachkonstruktion in der Ferne zeigt: „Dort liegt das Schiff, mit dem Amundsen auf Expedition fuhr.“ Mein Eindruck ist, dass Barzahler in Norwegen noch besser dran sind als in Schweden. Man sieht uns zwar als Sonderlinge an, aber fast überall wird uns bestätigt, dass wir theoretisch in bar zahlen könnten. Die Rezeptionistin eines Grandhotels erklärt uns, dass wir in diesem Fall die elektronische Registratur unseres Autokennzeichens akzeptieren müssten; in bar zahlende Rockstars hätten einmal eine Suite demoliert.

Ein eigenes Kapitel sind die Bettler, an diesem Tag ausschließlich Roma aus Rumänien. Im Normalfall fände ich sie lästig, hier aber erfreut mich schon die erste Bettlerin mit ihrer analog ausgestreckten Hand, und der Rumäne vor dem Parlament lässt gar seine Münzen in einem Becher klimpern. Was für ein Wohlklang! Wenn nicht Færdens Leute, dann werden rumänische Bettler Norwegens Bargeld retten.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden