Wann die Frau eine Frau ist

Thriller Regisseur David Fincher treibt in „Gone Girl“ ein höllisches Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer und Geschlechterrollen
Ausgabe 40/2014

Mund zu Mund, mal anders: Vom zärtlichen Verlobungskuss zwischen Nick und Amy in einer New Yorker Bar schneidet Gone Girl umstandslos in eine schäbige Polizeistube, gut fünf Jahre später. Ein Beamter beugt sich über Nicks weit geöffneten Mund, um eine DNA-Probe zu entnehmen, denn Nick wird verdächtigt, seine Ehefrau umgebracht zu haben. Dieser Schnitt, der das Verliebtsein und die forensische Maßnahme derart eng miteinander verknotet, ist eine böse und zynische Angelegenheit, will sagen: macht höllischen Spaß. Das gilt für den ganzen Film.

Auf der Grundlage des Romans von Gillian Flynn (ein Bestseller, der in den USA mehr als sechs Millionen Leser hatte) erzählt David Finchers neuer Film von Nick (Ben Affleck) und Amy (Rosamund Pike), die nach der Krise 2008 ihre schönen Medienjobs verloren haben und deshalb von New York nach Missouri gezogen sind. Dort leben sie in einer gepflegten Vorstadtgegend, durch deren leere Straßen schwarze SUVs lautlos wie U-Boote schweben, in einer übertrieben großen Fertighausvilla, einer McMansion: geschmackvoll möbliert, die Fassade ein elegantes Grau, davor ein akkurat geschnittener Rasen. Aber der Rasen ist zu grün und zu sauber, da lauern Gewalt und Unheil. Glatt, leer, falsch sind nicht nur Haus und Garten, sondern auch Ehe und Leben. Am Morgen ihres fünften Hochzeitstags ist Amy verschwunden.

Was folgt, ist typisches Fincher-Kino, von dem, mehrfache Ermahnung durch die Pressebetreuung des Films, nicht zu viel verraten werden darf. Sagen wir also: messerscharf inszenierte Achterbahnfahrt, immer Affenzahn und Adrenalin, mit krassen Zeitsprüngen und dreisten Perspektivierungswechseln. He’s playing games, er spielt ein Spiel, sagte der von Morgan Freeman gespielte Detective Somerset über den irren Serienmörder, dessen Taten in Sieben (1995) die Todsünden nachstellten.

He’s playing games, das ist auch der Kern, auf den sich jeder Fincher-Film bringen lässt. Immer handeln diese Filme – einer hieß schlicht The Game – von groß angelegten und minutiös geplanten Katz-und-Maus-Spielchen, deren Regeln sich erst allmählich erschließen. Dieses Prinzip der Schnitzeljagd auf Leben und Tod (man denke auch an die Botschaften, die der Killer in Zodiac permanent aussendet) wird von Gone Girl auf die Spitze getrieben: Amy hat tatsächlich eine Schnitzeljagd veranstaltet, als Geschenk zum Hochzeitstag. Was von ihr bleibt, sind also eine Reihe weißer Briefumschläge, auf denen dick und fett „Hinweis“ steht, Umschläge, in denen verrätselte Verse stecken, die es zu entschlüsseln und kombinieren gilt.

Das Bauprinzip jedes Thrillers und jeder Detektivgeschichte – Indizien sammeln, kombinieren – wird damit vom Fincher- beziehungsweise Amy-Spiel höchst anschaulich ins Bild gesetzt, eine Art transparenter Konstruktivismus. Auf der anderen Seite repräsentieren die Fincher-Spiele, und das gilt auch für Gone Girl, immer ganz und gar geschlossene, paranoide Systeme, in denen jede Kontingenz ausgeschlossen und alles bis aufs kleinste Detail vom, sagen wir, Spielmacher vorherbestimmt, fabriziert und platziert worden ist.

Unter dem Kontrollbild

Georg Seeßlen hat Finchers allumfassende Spiele einmal als Allegorie auf den Neoliberalismus gedeutet; vielleicht erzählen sie aber nur, ganz selbstbezogen, vom eigenen Filmemachen. Denn auch für Finchers Werke gilt: Es gibt in ihnen keine Zufälligkeit, sie sind das Ergebnis absoluter Gestaltung und totaler Kontrolle. Damit aber ist jeder von Finchers Spiel-Filmen Metakino.

Das oft als Kontrollbild geschmähte HD-Bewegtbild der Digitalkameras, mit denen Fincher seit Zodiac arbeitet, fügt sich gut in dieses beherrschte, ultraelegante, fluide Arbeiten; hyperreale, kühle und gestochen scharfe, oft auch dunkle Bilder zwingen, die Augen weit offen zu halten. Es geht ums Sehen, im Kinosaal wie auf der Leinwand, weshalb die Ästhetik des Kontrollbilds für Gone Girl stimmig ist.

Denn Nick und vor allem Amy sind nicht nur Spieler, sondern Schauspieler, Fassadenmenschen, denen das Wissen und die Sorge um das eigene Bild so sehr in Fleisch und Blut übergegangen sind, dass ihnen sogar Überwachungskameras nicht mehr bedrohlicher Eingriff ins Private, sondern Anlass zur Performance sind. Narzissmus nennt Fincher das in einem Interview, und groß an Gone Girl ist, wie diese psychopathologische Diagnose vollkommen ins Filmische verschoben und in ein Drama übersetzt wird, das um die stets instabilen Grenzen von On und Off kreist.

Letztlich scheint damit eine nicht uninteressante geschlechtertheoretische These einherzugehen – und das in einem Film, dessen Geschlechterpolitik über weite Strecken höllisches Unbehagen bereitet und die Vermutung nährt, Gone Girl könnte der misogyne Gegenschlag zum rape-revenge-Plot von Finchers letztem Film Verblendung sein. Die These nämlich, dass das Frausein in unserer Kultur, anscheinend mehr und grundlegender als das Mann-sein, mit der Differenz des On und Off als Raum von Performance verbandelt ist. Weiblichkeit als Maskerade, hat eine englische Psychoanalytikerin das mal genannt.

Gone Girl David Fincher USA 2014, 145 Minuten

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