Warten auf den Tiefschlag

Spanien Im Prozess gegen katalanische Politiker ist mit harten Urteilen zu rechnen. Die Linke im Land scheint paralysiert
Ausgabe 36/2019
Eine Frau streift vier Bilder katalanischer Separatistenführer (v.l.n.r.): Jordi Cuixart, Jordi Sanchez, Oriol Junqueras und Joaquim Forn
Eine Frau streift vier Bilder katalanischer Separatistenführer (v.l.n.r.): Jordi Cuixart, Jordi Sanchez, Oriol Junqueras und Joaquim Forn

Foto: Lluis Gene/AFP/Getty Images

Seit Längerem ist aus den Nachrichten verschwunden, dass in Madrid gegen Protagonisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung prozessiert wird. Ein gespenstisches Warten hat begonnen. Es warten die politische Rechte und Linke, aber auf verschiedene Weise. Die Rechte erwartet den finalen Schlag gegen die Anführer eines „Staatsstreichs“. Die Linke scheint aus Angst vor einem harten Urteil und dessen Folgen gelähmt zu sein. Hinweise aus dem Obersten Gericht lassen erwarten, dass keine Gnade waltet. Uneinigkeit besteht in den Medien eigentlich nur darüber, ob die Urteile wegen vollzogener oder versuchter „Rebellion“ gefällt werden. Ein Anhaltspunkt für harte Urteile: Es wird an einer hermetisch abgesicherten Untersuchungshaft für die zwölf Angeklagten festgehalten.

So wurde Oriol Junqueras von der Linkspartei Esquerra kürzlich ein Besuch bei der für die EU-Wahl zuständigen Kommission in Madrid verweigert, um dort seine Akte als gewählter Abgeordneter abzuholen. Er bleibt damit ebenso wie zwei weitere katalanische Europaparlamentarier suspendiert. Antonio Tajani, der scheidende Präsident des EU-Parlaments und Weggefährte Silvio Berlusconis, hat bei dieser „Entsorgung“ fundamentaler demokratischer Prinzipien mitgespielt. Ein Aufschrei in Europa ob des Skandals blieb aus – bis auf einen Protest der Grünen Ska Keller. In der Begründung des Obersten Gerichts für die Verweigerung eines begleiteten (!) Ausgangs für Junqueras heißt es, eine Verurteilung des Antragstellers sei mehr denn je zu erwarten – ein atemberaubender Umgang mit der Unschuldsvermutung.

Abgesehen von den Spekulationen der Rechten zur Höhe des Strafmaßes – den Siegerkranz trägt die rechtsextreme Partei Vox, will sie doch 50 Jahre Haft für Junqueras –, lassen deren öffentliche Einlassungen tiefe Einblicke in ihr Rechtsverständnis zu. So frohlockt ABC, eine Zeitung der spanischen Rechten: Würden die Angeklagten zu hohen Strafen verurteilt, wäre eine Reaktivierung des europäischen Haftbefehls für Carles Puigdemont aussichtsreich. Welches EU-Land würde es schon wagen, die Autorität des Obersten Gerichts in Spanien in Frage zu stellen? Der Zeitung kommt nicht einmal in den Sinn, dass die ganze Geschichte mit einer Aufhebung des Urteils durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte enden könnte.

Zerstrittene Partner

Aber zur politischen Starre der spanischen Linken: Über vier Monate nach der Wahl vom 28. April sind die Versuche zur Regierungsbildung bisher gescheitert. Weder die Sozialisten von der PSOE noch Unidas Podemos geben öffentlich zu, dass dafür auch das anstehende Urteil des Obersten Gerichts ein Grund ist. Der PSOE spricht stattdessen vom tiefen Misstrauen zwischen Pedro Sánchez, Chef der amtierenden Regierung, und Pablo Iglesias von Unidas Podemos. Zuvor hörte man von Sánchez, Spanien sei nach Jahrzehnten tragfähiger Einparteienregierungen für eine Koalition noch nicht reif. Da Unidas Podemos auf angemessener Regierungsteilhabe beharrte, bot der PSOE schließlich einige Ministerien ohne konkrete Kompetenzen und eigene Haushaltsmittel an, was verständlicherweise abgelehnt wurde. Auch der schließliche Verzicht von Iglesias auf ein Regierungsamt führte nicht weiter. Inzwischen kehrt Sánchez zur Ablehnung einer Koalition zurück und bietet lediglich eine Zusammenarbeit „a la portuguesa“ an. Ausgehend von einem vereinbarten Regierungsprogramm solle Podemos den Sozialisten „von außen“ beistehen – für Podemos nicht akzeptabel.

Viele vermuten, der amtierende Premier setzt auf erneute Wahlen im November. Berücksichtigt man jedoch mögliche harte Urteile gegen die Katalanen, stellen sich die Dinge etwas anders dar. Pedro Sánchez würde es als Wahrer der Staatsräson nie einfallen, darauf etwa mit Begnadigung oder Amnestie zu reagieren. Andererseits liefe es für Unidas Podemos auf ein politisches Harakiri hinaus, würde man sich – wie bei den Gesprächen zur Regierungsbildung zugesagt – in dieser Lage neutral verhalten. Nicht nur in Katalonien könnten im Herbst mächtige Demonstrationen, womöglich sogar Unruhen und Gewalt bevorstehen. Kurz und gut: eine unkalkulierbare politische Situation im ganzen Land. Die Bildung einer stabilen Regierung durch einen bei Neuwahlen erstarkten PSOE wäre eher unwahrscheinlich. Ein Dilemma für Pedro Sánchez und ein Grund für Unidas Podemos, die Forderung nach einer Koalitionsregierung schleunigst fallen zu lassen.

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