Warten auf den Westen

GEORGIEN Eduard Schewardnadse will bei einem Schlagabtausch mit Russland die NATO an seiner Seite wissen

Mit der Reise nach Tbilissi in dieser Woche hat sich Gerhard Schröder nicht nur in die transkaukasische Krisenregion bewegt, sondern auch einen der Nebenschauplätze des Tschetschenien-Krieges besucht. Der Konflikt belastet derzeit die Beziehungen zwischen Georgien und Russland erheblich. Im November hatte die OSZE beschlossen, eine Beobachtermission an der georgisch-russischen Grenze zu platzieren, um dem Vorwurf Moskau nachzugehen, tschetschenische Kampfverbände sickerten aus der nahen Argun-Schlucht in Georgien ein, um dort neu formiert und ausgerüstet zu werden. Schröders Visite sollte in dieser Situation offenbar dem georgischen Staatschef Schewardnadse den Rücken stärken. Sie war darüber hinaus aktive Wahlkampfhilfe. Am 9. April soll in Georgien ein neuer Präsident gewählt werden. Schewardnadse hofft auf ein erneutes Mandat.

Für Georgien war der Krieg in Tschetschenien nie eine rein innere Angelegenheit der Russischen Föderation, sondern ein Ansteckungsherd, der alle Anrainerstaaten im Kaukasus zu infizieren drohte - Georgien mit einer 85 Kilometer langen Grenze zu Tschetschenien ganz besonders. Im November hatte die Regierung in Tbilissi eine vom Oberkommando der russischen Armee lancierte Meldung scharf zurückgewiesen, Georgien habe sich bereit erklärt, tschetschenischen Einheiten, vor allem Präsident Aslan Maschadow persönlich, für den Fall einer militärischen Niederlage Asyl zu gewähren. Russland könne dies nur kolportiert haben, hieß es in Tbilissi wenig diplomatisch, weil das GUS-Mitglied Georgien destabilisiert werden solle. Hintergrund des arg zerrütteten Verhältnisses mit Moskau ist die Weigerung von Präsident Schewardnadse, russische Truppen auch von seinem Gebiet aus gegen die Rebellen in Südtschetschenien operieren zu lassen. Hubschrauber der Föderation haben dennoch mehrfach den georgischen Luftraum verletzt und dabei auch Anti-Personen-Minen abgeworfen. Und es ist ebenfalls nicht auszuschließen, dass Georgien jenseits seiner häufig beteuerten Neutralität während der kriegsentscheidenden Periode im Februar den Rückzug tschetschenischer Kämpfer auf georgisches Staatsgebiet geduldet hat. Russland könnte sich dadurch legitimiert fühlen, seine Operationen auf Georgien auszudehnen und darauf berufen, türkische Militärs, die kurdische Kämpfer im Norden des Irak verfolgten, würden schließlich von der internationalen Gemeinschaft auch toleriert.

Für Schewardnadse war die prekäre Sicherheitslage seines Landes Grund genug, für den Fall eines Sieges bei den am 9. April anstehenden Präsidentschaftswahlen der NATO ein offizielles Aufnahmegesuch anzukündigen, über das spätestens 2005 positiv entschieden sein sollte. Eine kaum realistische Option, doch ein außenpolitischer Schachzug, um gegenüber Russland an Spielraum zu gewinnen. Schewardnadse hofft, je stärker sich sein Land von Russland emanzipiert, desto mehr werde das eine Annäherung an den Westen beschleunigen.

Georgiens Stabilität ist nach dem Krieg um das abtrünnige Abchasien 1992/93 nach wie vor von der Präsenz russischer Militärs abhängig. Russland hatte 1993 zugunsten Schewardnadses interveniert, um ihn gegen die Angriffe von Rebellenformationen des einstigen Präsidenten Gamsachurdia zu schützen. Russische Kontingente zogen überdies in einer Art Peace Keeping Mission zwischen georgischen und abchasischen Truppen auf und kontrollieren diese Demarkationslinie bis heute. Tbilissi hatte sich dafür noch 1993 revanchiert, indem es seinen Beitritt zur ungeliebten GUS (*) erklärte und der russischen Armee vier Militärbasen auf dem eigenen Territorium zubilligte. Eine davon - der Luftwaffenstützpunkt Visjani - liegt nur 30 Kilometer von der georgischen Hauptstadt entfernt. Seit dieser Modus vivendi besteht, drängt Georgien auf eine Vermittlung Moskaus, um wenigstens die Rückkehr Hunderttausender Georgier nach Abchasien durchzusetzen und Verhandlungen über den künftigen Status der Provinz einzuleiten. Doch während des jüngsten GUS-Gipfels Ende Januar in Moskau hatte Wladimir Putin gegenüber Schewardnadse zu verstehen gegeben, solange sich die indifferente Kaukasuspolitik Georgiens nicht einer moskaufreundlichen Gangart befleißige, werde Russland keinen aktiven Part übernehmen. So empfiehlt sich Georgien dem strategischen Blick des Westens und setzt dabei auch auf eine Schlüsselposition beim Routenkrieg um den Öltransfer aus Aserbaidshan in Richtung Westeuropa. Angloamerikanische Konsortien planen, durch den Bau einer Pipeline aus dem Raum Baku über Georgien bis in das türkische Ceyhan die bestehenden Trassen über russisches Territorium abzulösen (s. Freitag Nr. 40/99). Dann wäre nicht mehr Russland, sondern faktisch über Nacht das NATO-Mitglied Türkei Georgiens wichtigster Handelspartner.

Dennoch dürfte sich die Allianz in absehbarer Zeit eher nicht für Schewardnadses Begehren erwärmen. Faktisch sprechen gegen einen NATO-Status Georgiens nicht nur dessen desolate Wirtschaftslage und von Vetternwirtschaft durchsetzte innere Machtstrukturen. Nicht zufällig ist - bezogen auf Schewardnadse - von der "Ein-Mann-Demokratie" Georgiens die Rede. Die NATO kann vor allem kein Interesse daran haben, sich die explosive ethnische Gemengelage der Region aufzuladen - von der absehbaren Belastung der sensiblen Beziehungen mit Russland ganz zu schweigen. Georgien als erster GUS-Staat in einem westlichen Militärbündnis, für Russland wäre das ein geradezu erschlagender Präzedenzfall, der die NATO-Mitgliedschaft seiner einstigen Alliierten Ungarn, Tschechien und Polen zur Marginalie degradieren würde. Allerdings, unterhalb dieser Maximaloption ergeben sich Möglichkeiten, die Schewardnadses 1998 installierter Verteidigungsminister David Tejsadse auszuschöpfen versteht. Der Bezug von Patrouillenbooten und Kommunikationssystemen aus Deutschland, Griechenland und den USA gehört dazu. Auf diesen Beistand - auch vor dem Hintergrund der Differenzen mit Russland - darf Schewardnadse wohl bauen.

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