Warten auf ein Zeichen

Dalai Lama Der Dalai Lama wird von Militär begleitet, wenn er an seinen Zweitwohnsitz in Ladakh kommt. Die Fotografin Jane Stockdale war bei den Menschen die auf ihn warten

Ich habe diese Bilder im vergangenen August zufällig in Ladakh, der Region im äußersten Norden Indiens, aufgenommen. Damals war ich auf dem Weg nach Kaschmir. Ich wollte gerade Leh verlassen, als ich hörte, der Dalai Lama werde am folgenden Tag in der Gegend eintreffen. Und so änderte ich meine Pläne und stand morgens um halb vier auf, um eine Mitfahrgelegenheit ins einige Kilometer entfernte Choglamsar zu bekommen. In Choglamsar hat der Dalai Lama seine Sommerresidenz.

Ladakh wird ‘Little Tibet’ genannt. Seit die chinesische Invasion 1959 den Dalai Lama und über 80.000 seiner Gefolgsleute ins Exil zwang, ist Choglamsar tausenden tibetischer Flüchtlinge zur zweiten Heimat geworden. Viele ließen sich aufgrund der geografischen Nähe in der Provinzstadt Choglamsar nieder, auch der Dalai Lama betrachtet sie mittlerweile als sein zweites Zuhause. Einmal im Jahr kommt er hierher, und ich war gespannt auf die Reaktion der Einheimischen in ,Little Tibet‘.

Transparente um vier Uhr früh

Von Manali, der 30.000-Einwohner-Stadt am Fuße des Himalayas, fährt man knapp 24 Autostunden, um nach Ladakh zu gelangen. Es ist eine anstrengende Fahrt. Die Straße, die auf 5.360 Meter gelegen ist (also etwa auf der Höhe der Ausgangslager bei Mount-Everest-Besteigungen), gehört zu den höchst gelegenen Passstraßen der Welt. Sie ist nur einige Monate im Jahr überhaupt befahrbar. Die indische Armee hat hier eine Notfallstation eingerichtet, wo Patienten mit Sauerstoff versorgt werden können. Die Fahrt ist schön, aber der Weg holprig. Als wir später in Ladakh aus unserem zerbeulten, nahezu ungefederten Transporter taumelten, fühlten wir uns, als seien wir einem Boxring entstiegen. Man braucht einige Tage, um sich an die Höhe zu gewöhnen.

Ladakh grenzt an Tibet, China, Indien und den pakistanischen Teil Kaschmirs. Der größte Teil der Region liegt mehr als 3000 Meter über dem Meeresspiegel. Verborgen hinter zwei Gebirgszügen, war Ladakh jahrhundertelang so gut wie unberührt von äußeren Einflüssen, bis die Regierung in den siebziger Jahren begann, die Gegend touristisch zu bewerben. Seitdem hat sie eine radikale Transformation erlebt: von der abgelegenen Provinzregion zum Touristenmagnet von heute.

Der Buddhismus ist in Ladakh zu Hause, und der Dalai Lama wird von seinen Anhängern und Verehrern nicht nur als geistiges und politisches Oberhaupt betrachtet, sondern als die lebendige Inkarnation Buddhas höchstpersönlich. Am Tag seiner Ankunft hängten die Einwohner um vier Uhr früh Transparente und tibetische Gebetsfahnen an der Straße auf, um ihn willkommen zu heißen. Im hellen Licht des frühen Morgens säumten Schulkinder mit Blumen in den Händen und weißen Zeremonienschals die Straßen, buddhistische Mönche verbrannten Weihrauch, während sie auf ihn warteten und darauf, dass er ihnen zuwinken und sie segnen würde. Kühe liefen durch die Straßen, Hunde schliefen in der Sonne, und der Duft von Weihrauch erfüllte die Straßen.

Höchste Sicherheitsstufe

Ein einheimischer Mönch sagte mir: „In unseren Augen steht der Dalai Lama für den Frieden. Wenn er kommt, fühlen wir, dass der Frieden in der Luft liegt.” Paradoxerweise erschien der Mann, der für den Frieden steht, dann aber mit einer großen Security-Eskorte. In seinem Konvoi aus hupenden Motorrädern und Lkw mit seinen Anhängern, die die tibetische Fahne schwenkten, befand sich auch eine mit AK47s bewaffnete Militäreskorte. Der Dalai Lama wird gut bewacht.

Eine seiner Schriften, die ich gelesen habe, handelt vom modernen Leben „in Zeiten von schnellen Mahlzeiten, die wir lange verdauen müssen“, und von dem „Paradox unserer Zeit“. „Wir haben die ganze Entfernung zum Mond und wieder zurück hinter uns gebracht“, heißt es, „aber wir schaffen es nicht, die Straße zu überqueren und unseren neuen Nachbarn zu treffen.“

Der Dalai Lama fuhr an diesem Tag an uns vorbei und winkte uns zu. Unter all dem Hupen und den wehenden Flaggen senkten die Menschen ihre Häupter, um ihren Respekt zu bekunden, als sein Auto sich näherte. Nach seiner Ankunft begab er sich in sein Haus in Choglamsar, um 15 Tage lang zu meditieren. Und ich trank eine Tasse Tee mit den Mönchen.

Jane Stockdale ist eine schottische Fotografin. Von ihr erschien das Buch I Predict A Riot (Verlag der Buchhandlung Walther König), das die Demonstrationen beim G20-Gipfel in London 2009 dokumentiert, die sie für den Freitag fotografierte

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