­Warten auf ­Godard

Praxis Sein neues Werk „Film Socialisme“ kommt nicht in die Kinos. Zum Glück gibt es das Netz

Den jüngsten Film von Jean-Luc Godard sehen, dieses Jahr in Cannes uraufgeführt, in Deutschland aber wieder ohne Verleih – wie soll das gehen? Hier zwei Möglichkeiten. Die eine ist, den Trailer auf Youtube anschauen, wo der Film von 90 auf gut 1 Minute zusammengestaucht ist. So schnell kann man nicht gucken, aber man bekommt ein Gefühl für Rhythmus und Farben, das aufgewühlte graue Mittelmeer und das bunte Kreuzfahrschiff. Man hört nicht den Filmton, sondern einen anderen, der an die Melodie aus Die Verachtung erinnert.



Die zweite Möglichkeit besteht im Googeln der Kürzeln JLG, FS, download. Wer sucht, findet die französische Fassung von Film Socialisme zum Herunterladen, und hört eine Textcollage, krasse Windgeräusche auf dem linken oder rechten Kanal, sieht Handyaufnahmen auf einem Kreuzfahrschiff, etwas Geschauspiele, Szenen aus vielen Filmen, Zitate aus vielen Büchern, Patty Smith die durchs Bild latscht. Dazu Godard im Interview: „In meinen Filmen gibt es keine Intentionen. Ich will keine Aussagen treffen. Ich versuche Dinge zu zeigen, Gefühle, oder etwas hinter der Fassade klarzustellen. Wenn man hört, dass die Arschlöcher heute mit ernster Miene an Europa glauben, was soll ich dann noch selbst sagen? Dass man an Europa nicht glauben kann, ohne ein Idiot zu sein?“

Wenn es in Film Socialisme um Europa gehen sollte, dann um eine hegemoniale Idee, darum, auf einem Trip zu den mediterranen Sehnsuchtsorten die Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Tradition zu suchen. Diese Fährte mit Fundstücken zu belegen, verhindert aber das europäische Urheberrecht, das bei Godard zum Hauptdarsteller wird. Denn zu behaupten, der Autor habe keine Rechte, er habe Pflichten, ist mit dem herrschenden Recht nicht vereinbar. Godard hält selbst keine Rechte an seinen Bildern, er weiß, dass sie im Internet auftauchen – aber nichts von ihm wegnehmen. Das vermeintlich fremde Film-, Ton- und Textmaterial, das in Film Socialisme auftaucht, komme ihm vor wie eine Blutprobe auf dem Weg zum Labor, sagt Godard. Er zitiert also nicht. Seine eigene Bildsprache unterscheidet sich fundamental vom gefundenen Material – vor allem keine Schwenks, „ein Chemiker schwenkt nicht über seinem Mikroskop und eine Ölgesellschaft nicht, wenn sie nach Öl sucht“. Auch wir tun es nicht, wenn wir seinen neuen Film gucken – allein vor dem Bildschirm und schlecht aufgelöst, gefordert und überfordert.

Christian von Borries ist Musiker und Filmemacher. The Dubai in me rendering the World wird am 21. 11. im Haus der Kulturen Berlin gezeigt, ist aber auch online auf

zu finden

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