Es gäbe ein Mittel gegen die Flüchtlingskrise, sagte ein AfD-Abgeordneter neulich bei einer komisch gemeinten Bierzeltrede. Er wisse, wie man dafür sorgen könne, dass „die richtigen“ kommen, die dann „einen richtigen Schutz“ hätten, weil „bei uns nichts so geschützt ist wie Eigentum“: indem man eine moderne Form der Sklaverei einführte, „die an die Bedürfnisse der Menschen andockt“.
Dass nach dieser Rede kein öffentlicher Wutausbruch folgte, lag ausschließlich daran, dass es kein AfD-Mann war, der das sagte, sondern der Wiener Comedian und Tausendsassa Josef Hader in seinem aktuellen Programm Hader on Ice, für das die Menschen aus den „Rucola-Vierteln“ (Hader) ihrer Städte
) ihrer Städte viel Eintritt zahlen: Weil sie wissen, dass da etwas anderes gemeint ist. Nur was?StilebenenManchmal hilft es, die Wissenschaft zu fragen. Neulich wurde beim Kasseler Komik-Kolloquium wieder einmal über Humor gestritten. „Komik und Macht“ war das Thema. Steil die These von Christian Hempelmann (Dallas), der als Linguist sagte: Humor kann der Macht gar nichts, denn er ist nie eindeutig – das ist seine Schwäche und seine Stärke zugleich. Die Linguistik begründet das ungefähr so: Komik entsteht, wenn zwei Bedeutungsmodelle kollidieren. Also etwa solche der Logik, dann entsteht Nonsens. Oder es prallen unterschiedliche Stilebenen aufeinander (Helge Schneiders kaum nacherzählbare Komik) oder soziale Welten, etwa in schockierend-drastischen Witzen, wie sie im Internet nach 9/11 gemacht wurden.Inkongruenz hieß das früher, heute sagt man: „oppositionelle Skripte“. Welches davon das „Richtige“ oder „Bessere“ ist, kann man unmöglich am Text selbst ablesen, denn ein Witz hat für sich genommen keine Aussage oder Bedeutung. Er lebt davon, dass er mindestens doppeldeutig ist. Was natürlich schade ist für alle, die in Ostfriesenwitzen Ostfriesenfeindlichkeit zu erkennen meinten. Das waren sie genauso wenig, wie die Witze nach 9/11 wirklich USA-feindlich waren: Man war nur „im Internet“ damals noch mehr „unter sich“ – in einer „Ingroup“, sagt die Wissenschaft, die sich von der „Outgroup“ abgrenzt. Wie etwa die Leser von Satiremagazinen gegen die Nichtleser.Dass Humor, folglich auch Satire, wirkungslos sei, muss alle empören, die an die Macht des Wortes glauben und auf die Barrikaden gehen, wenn Witze ihrer Meinung nach rassistisch oder gar antisemitisch sind. Von der Wissenschaft gibt es Unterstützung durch Philologen, Germanisten etwa, die in der zunehmend politisch eindeutigen Haltung von Late Night Shows eine Selbstermächtigung sehen.Langweilige ErklärstückeDas Dilemma, dass man nicht gleichzeitig Eindeutigkeit (Haltung) und Uneindeutigkeit (Humor) haben kann, bleibt. Und mit ihm ein Verlust an Humorkultur in Formaten mit Tendenz zum Frontalunterricht: Sobald in längeren Erklärstücken, sei es in Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale oder Anja Reschkes Reschke Fernsehen, sich Empörung Bahn bricht, bleibt das Lachen stecken. Man weiß schon genau, wo.Wie könnte man wieder Zweideutigkeit zulassen? Es kommt halt auf den Kontext an: Wer erzählt wem was, unter welchen Umständen. Um es noch mal wissenschaftlich zu sagen: Komik ist keine Objekteigenschaft. Wer sagt, „das ist komisch“, müsste eigentlich sagen: „Das finde ich komisch.“ Komik entsteht im Vorgang. Das weiß, wer schon mal versucht hat, Scherze aus fremden Kulturen zu verstehen.Satire und Humor machen Menschen nicht besser, aber auch nicht schlechter, so die Botschaft der Linguistik. Weder werden Menschen durch Blondinenwitze zu Sexisten, noch hat die queere Comedy eine tolerantere Gesellschaft erzeugt. Allenfalls machen Sexisten sexistische Witze und queere Menschen queere (oder schwule). Witze kann man als kleine Augenblicksverschwörung gegen die reale Welt lesen: Für den Moment nehme ich als Erzähler an, Ostfriesen und Blondinen sind dumm, und du, Zuhörer, lässt dich darauf ein. Die Zeiten sind gerade gegen Verschwörungen aller Art und für Klarheit, insbesondere beim jungen, digitalen Publikum. Das macht es dem Humor so schwer. Vielleicht muss man die Gruppendynamik von Komik wieder öfter erleben. Etwa bei einem Abend mit Josef Hader.Placeholder authorbio-1