FREITAG: Der rechtspolitische Sprecher der Union, Jürgen Gehb, sagte, Kinderrechte in der Verfassung seien so sinnig wie Zebrastreifen auf einer Formel-1-Piste. Hat er Recht?
HEINZ HILGERS: Wenn Kinder getötet werden, verweisen alle gerne auf das Elternrecht. Der Begriff des Kindeswohls, der dagegen steht, ist unbestimmt und schwach. Um ihn zu stärken, müssen Kinderrechte in der Verfassung verankert werden. Nur so können wir ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und auf möglichst kostenlose Bildung garantieren.
Was ändert sich, wenn Kinderrechte im Grundgesetz stehen?
Unter anderem würde die Rechtsprechung verbessert: Es wäre wohl nicht mehr möglich, das Baugesetz so auszulegen, wie es kürzlich in Hamburg gesehen ist. Dort musste ein Kindergarten in einem Wohngebiet geschlossen werden, weil sich Anwohner über spielende Kinder beschwert hatten. Die Kläger erhielten Recht und der Kindergarten wurde in ein Gewerbegebiet verlegt.
Was halten Sie von den Maßnahmen, die Bundeskanzlerin Merkel kurz vor Weihnachten beschlossen hat, etwa die Arbeit von Hebammen und Sozialdiensten besser zu verknüpfen?
In der Stadt Dormagen machen wir das schon lange: Hebammen, Kinderärzte, der soziale Dienst des Jugendamtes, die freien Träger, das Bildungswesen, die Jugendvorsorge arbeiten zusammen. Zudem schenken wir Eltern nach der Geburt ein Babybegrüßungspaket. Wichtig sind Wertschätzung und das Angebot zu Unterstützung: von sozialpädagogischer Familienhilfe über Haushaltsorganisationstraining bis zur ehrenamtlichen Ersatzmutter, vom Ganztagsplatz in der Krippe zum Ganztagsplatz in der Schule.
Würde es Kindern aus armen Familien nicht mehr nützen, wenn die Hartz-IV-Sätze deutlich angehoben würden?
Ich halte die Regel, einem Kind nur 60 Prozent vom dem zu gewähren, was einem Erwachsenen Hartz-IV-Empfänger zusteht, für falsch. 80 Prozent sind notwendig. Zudem muss es Beihilfen etwa für Schuhe und Kleidung geben, damit Kinder im Winter nicht mit Sandalen in die Schule rennen. Und wir brauchen den Kinderzuschlag. Die Bundesregierung hat ihn zweimal versprochen - im Koalitionsvertrag für das Jahr 2006 und erneut für 2008 bei ihrer Klausurtagung in Meseberg. Nichts ist passiert. Ich denke, ein Staat, der Kindern etwas verspricht und sich nicht daran hält, ist schlimmer als Rabeneltern.
Das Gespräch führte Dirk F. Schneider
Der SPD-Politiker Heinz Hilgers ist Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes und Bürgermeister der Stadt Dormagen.
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