Warum es so hart ist

Musik Charles Bradley wurde mit 62 zum Soul-Star und spielt nun fast 300 Shows im Jahr. Eine Begegnung in Berlin
Ausgabe 15/2016
Keine Floskeln: Why It Is So Hard – Charles Bradley
Keine Floskeln: Why It Is So Hard – Charles Bradley

Foto: Dave Mangels/Getty Images

Es fängt nicht perfekt an. Als nach dem Warten und dem instrumentalen Intro der Mann, der auch The Screaming Eagle of Soul genannt wird, in Glitzer gekleidet auf die Bühne kommt, hält man inne für seine Stimme. Man erwartet Ausrufe der Verzweiflung –, er singt doch über den erschossenen Bruder – aber dann fehlt es dem Mikrofonkabel an Durchsetzungskraft. Oder liegt es an Charles Bradleys Intonation?

Die ersten drei Songs sind die bekanntesten seiner ersten beiden Alben No Time for Dreaming (2011) und Victim of Love (2013). Man ist glücklich, den funkigen Hit The World so früh zu hören und stört sich nicht mehr daran, dass Bradley einige Gesangsmelodien in den hohen Sphären herunterbrechen muss. Was er heute nicht mit seiner Stimme zeigen könne, sagt der 67-Jährige, das wolle er uns mit dem Herzen zeigen. Er habe eine Menge Liebe für uns. An diese Ansage wird er sich halten.

Charles Bradley tanzt und unterhält auf der Bühne des Berliner Astras, wie es ihn 20 Jahre als James-Brown-Imitator gelehrt haben. Seine Lieder erzählen von Brooklyn, Maine und Upstate New York, sie handeln von Bradleys jahrzehntelang gescheiterten Versuchen, erfolgreich Musik zu machen und von seinen Zweifeln. Bradley war kurze Zeit obdachlos, in den 90er Jahren begann er, neben der Musik tagsüber als Koch zu arbeiten, um sich seine kleine Brooklyner Wohnung in den Projects leisten zu können. In der Dokumentation Soul of America von 2012 erfährt man, dass es ihm noch 2011 schwerfiel, zu lesen und zu schreiben, da er die Schule in frühen Teenagerjahren abgebrochen hat. Wenn er auf der Bühne ausruft: „I live what I say“, dann ist das keine Floskel.

Selbst bei dem letzten offiziellen Song des gut einstündigen Sets, Changes, der auch gleichzeitig der Titelsong des neuen, dritten Albums ist, hört man nur ihn und nicht Ozzy Osbourne lallen, der das Lied 1972 mit Black Sabbath herausgebracht hat. Veränderungen gab es zahlreiche in Charles Bradleys Leben, zuletzt waren da der plötzliche musikalische Erfolg, der ihn erst 2011 mit 62 Jahren ereilte, und der Tod seiner Mutter, für die er bis zuletzt sorgte.

Erinnerung an die Mutter

Der Song Changes, sagt Bradley zwei Tage nach dem Konzert beim Interview in der Lobby eines Hotels am Alexanderplatz, habe direkt zu ihm gesprochen. Er habe ihn an seine Mutter erinnert. Er könne einen Text nur singen, wenn er ihn berühre. Eigene Worte, die ihn mit seiner Mutter verbinden, seien zu emotional und überforderten ihn auf der Bühne.

Seine Augen wirken müde. Zwischen den Auftritten muss er sich immer wieder ausruhen. Mit seinen 67 Jahren spielt er fast 300 Shows im Jahr. Selbst für Jüngere ist das körperlich eine enorme Herausfoderung. Dass Bradley 2016 seine bisher größte Tour in Europa bestreitet, klingt nach einer klassischen American-Dream-Geschichte. Doch er würde den Soul nicht so gut verkörpern, wenn er sich damit einfach schmücken könnte. Die Zugabe Why It Is So Hard macht deutlich, dass der schwere Weg zum Erfolg ihn weit mehr gezeichnet hat als die letzten Jahre mit seiner Band auf der Bühne. Das erste Mal an diesem Abend bricht er in die markanten Schreie aus, der Schmerz wird regelrecht spürbar.

Ob er an das Schicksal glaubt? Er sei auf einer Mission, antwortet er. Seine Mission sei nur ein Training für das, was später komme.

Info

Changes Charles Bradley Daptone Records/Groove Attack

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