„Warum ist das so?“

Im Gespräch Können die Jugendlichen die Welt verändern? Mit Unbekümmertheit, Konsequenz und dem Glauben an ihre Sache machen sie einen Anfang, finden Christine und Benjamin Knödler
Ausgabe 21/2020

Seit „Fridays for Future“ sind rebellierende Jugendliche wieder ein Thema. 25 von ihnen haben Christine und Benjamin Knödler porträtiert. Hier sprechen Mutter und Sohn über die Vielfalt von Protesten, Generationenkonflikte und das Ernstnehmen einer einfachen Frage.

Benjamin Knödler: Mehr denn je ist derzeit von Umdenken die Rede. Corona hat uns die Zerbrechlichkeit der Welt und die Sollbruchstellen unserer Gesellschaft vor Augen geführt. Wenn ich mir die Debatten der letzten Wochen anschaue, verblüfft mich immer wieder, wie viele der Themen und Probleme, die wir jetzt diskutieren, von Jugendlichen auf der ganzen Welt bereits seit Jahren aufgegriffen und angegangen worden sind.

Christine Knödler: Vielleicht macht Corona es uns allen schwerer, Probleme zu übersehen. Viele der Jugendlichen waren dazu schon früher nicht mehr bereit und haben entsprechend Lärm gemacht. Doch dafür braucht es Voraussetzungen. Es braucht die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit, die Erkenntnis, dass etwas in die falsche Richtung läuft, und den Glauben, dass man etwas verändern kann.

Nun sind dazu ja per se nicht nur Jugendliche in der Lage. Trotzdem schwingt, wenn es um Protest geht, häufig eine Generationenfrage mit. Da wird schnell ein Konflikt zwischen Jung und Alt aufgemacht: Die Jungen kritisieren die Älteren für ihre Untätigkeit, umgekehrt werfen die den Jungen wahlweise Naivität oder eine zu unkritische Herangehensweise vor. Davon scheinen sich die Jugendlichen allerdings nicht entmutigen zu lassen.

Im Gegenteil – und das zu Recht! In meinen Augen fällt die unterstellte Naivität in die Rubrik jugendliche Unbekümmertheit. Vor allem aber nehme ich ihre Konsequenz wahr. Entsprechend hat es mich im Laufe der Arbeit an unserem Buch zunehmend bestürzt, wie viel inkonsequenter ich in der Wahrnehmung und Bewertung gesellschaftlicher Probleme bin. Es besteht zwar ein theoretisches Wissen über den Zustand der Welt, aber ich leite daraus kein praktisches politisches Handeln ab. Die Young Rebels haben im Unterschied dazu allesamt einen Anfang gemacht. Oft hat ihr Engagement oder ihr Protest mit einer einfachen Frage begonnen: „Warum ist das so?“

Wobei sie oftmals gar nicht so daherkommen, wie man sich Rebellen gemeinhin vorstellt. Den „Young Rebels“ geht es primär nicht darum, alles auf den Kopf zu stellen. Sie ziehen nicht los und sagen beispielsweise: Wir schaffen den Kapitalismus ab. Es geht ihnen vielmehr darum, einen Missstand aufzudecken und anzugehen. Das finde ich sehr faszinierend und hat mir zu denken gegeben: Ich bin 28 Jahre alt, und sogar ich habe mich zuweilen alt gefühlt. Ich habe mich gefragt, ob es für solche Proteste eben doch eine Altersgrenze gibt und ob ich den Blick fürs Wesentliche womöglich auch schon verloren habe?

Sich eingerichtet und abgefunden zu haben, ist zumindest etwas, das eher der älteren Generation zugeschrieben wird. Und es stimmt ja auch: Je etablierter wir sind, desto unbequemer und mühsamer wird es, etwas zu verändern, denn man muss lang eingeübte Lebensentwürfe infrage stellen und Gewohnheiten über Bord werfen. Jugendliche verfügen vielleicht grundsätzlich über ein noch nicht durch Anpassung und Eigeninteresse verbogenes Empfinden dafür, was richtig ist und was falsch, was im Argen liegt, was man verändern muss und kann. Und wie weit man dabei geht.

Zu den Personen

Benjamin Knödler, geboren 1991, studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Journalist und arbeitet als Online-Redakteur für den Freitag

Christine Knödler, geboren 1967, schreibt und ediert für Verlage, Zeitungen und für den Deutschlandfunk. Sie leitet Schreibwerkstätten, konzipiert Workshops, und ist Lehrbeauftragte u.a. an der udk Berlin

Nehmen wir zum Beispiel den Umweltaktivisten Xiuhtezcatl Martinez. Er hat einerseits politische Basisarbeit geleistet, indem er gegen Fracking demonstriert hat. In einem weiteren Schritt hat er die US-Regierung verklagt, was ja nun doch schon deutlich höher zielt, und er hat explizit dafür geworben, Bernie Sanders zu wählen. Zugleich tritt er als Hiphopper auf und hat bei Instagram knapp 100.000 Follower. Ich hab mich oft selbst dabei ertappt, die Jugendlichen und ihr Engagement kategorisieren zu wollen. Ich habe mich gefragt: Was sind sie denn nun: Aktivist*innen? Rebell*innen? Influencer*innen? Unterm Strich sind sie einfach Jugendliche, die ein konkretes Problem angehen, dabei mitunter bei den großen politischen Fragen landen, neue Bündnisse schmieden und sich vieler verschiedener Themen annehmen.

Dabei ist der rote Faden der meisten Geschichten, dass die Proteste, wenn auch manchmal eher peripher, in den Bildungssystemen beginnen. Der ganze politische Widerspruchswille etwa eines Joshua Wong, der sich im Übrigen auch gegen die Generation seiner Eltern richtete, erwuchs daraus, dass er sich gegen die Einführung eines bestimmten Schulfachs wehrte. Ganz ähnlich Netiwit Chotiphatphaisal aus Thailand, der gesagt hat: Die Schulen sind zu autoritär – und der sich am Ende mit der Militärjunta angelegt hat. Es finden sich viele Beispiele, die zeigen: Ohne die Schule wären die Proteste nicht möglich gewesen.

Ein anderer wesentlicher Aspekt ist das Netz. Über Hashtags oder Videos, die viral gehen, ist es heute viel leichter möglich, sich weltweit Gehör zu verschaffen. Der Zugang zu kollektiver Wahrnehmung und zum kollektiven Gedächtnis ist einfacher geworden. Emma Gonzáles’ berühmt gewordene Rede nach dem Amoklauf an ihrer Schule war nicht nur in den USA ein Riesenthema. Und auch ich saß da und hab, ehrlich gesagt, ziemlich Gänsehaut bekommen. Denn da steht diese energische junge Frau, gezeichnet von den Erlebnissen, und sagt Sätze, die man nicht mehr vergisst.

Wenn ich hingegen an meine Jugend denke, haben die Mahnwachen, die wir damals an der Schule gegen Atomkraft und Nato-Doppelbeschluss organisiert haben, allenfalls unseren Direktor geärgert. Es brauchte schon Menschenketten über die Schwäbische Alb, um ein breiteres öffentliches Interesse zu wecken. Andererseits wurden eine Greta Thunberg und ihre Ideen im Netz nicht nur befeuert – sie wurde attackiert, und das in einer Brutalität, die mich immer noch schockiert.

Ich bin ja nun beruflich viel im Netz unterwegs und kann nur bestätigen: Vieles dort ist ausgesprochen unappetitlich. Und dennoch gibt es Geschichten wie die von Jakob Springfeld: Er engagierte sich in Zwickau für „Fridays for Future“ und gegen das Vergessen des NSU-Terrors und wurde dafür unter anderem im Netz von Rechtsradikalen bedroht. Gleichzeitig hat er in den sozialen Medien so viel Zuspruch erfahren, dass er heute sagt: Am Ende haben uns die Drohungen nur stärker gemacht.

Die Geschichten sind alsokeine Geschichten von Einzelkämpfer*innen, es sind Geschichten der Inspiration: Greta Thunberg und Joshua Wong haben Tausende von Menschen generationenübergreifend mobilisiert. Eine Erkenntnis heißt darum: Du bist nicht allein. Dann entwickelt sich aus der einfachen Frage „Warum ist das so?“ sehr viel mehr. Das, finde ich, macht Mut.

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