FREITAG: Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie zuletzt 1993 und liegt derzeit bei 3,7 Millionen. Ist das eine gute Nachricht?
ALBRECHT MÜLLER: Es ist immer eine gute Nachricht, wenn die Arbeitslosigkeit abnimmt. Es sei denn, es handelt sich nicht um eine echte Abnahme.
Und ist der Rückgang denn ein echter?
Ein kleiner Teil davon ist vermutlich die Folge der Exportfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Im konkreten Fall wird die Freude über den Rückgang gewaltig relativiert. Erstens sind 3,7 Millionen immer noch 3,7 Millionen zu viel. Zweitens ist der Vergleich mit 1993 verlogen, weil viele Menschen in den vergangenen Jahren keine ordentliche Arbeit gefunden haben, sondern als ältere nicht mehr mitgezählt werden oder in den Niedriglohnsektor abgedrängt worden sind. Beinahe sieben Millionen Menschen waren Ende des Jahres geringfügig beschäftigt. Fast fünf Millionen davon verdienen ihr Geld mit Minijobs, 300.000 arbeiteten als Ein-Euro-Jobber. Zwischen 1995 und 2006 ist der Niedriglohnanteil um 43 Prozent gestiegen. Man kann sich beim besten Willen nicht darüber freuen, dass es immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse gibt.
Halten Sie denn Vollbeschäftigung noch für möglich?
Warum denn nicht? Auch wenn in rechten wie in linken Kreisen unisono behauptet wird, Vollbeschäftigung sei nicht mehr möglich, muss das ja nicht stimmen.
Was muss geschehen, damit die Arbeitslosigkeit noch weiter sinkt?
Wir müssen investieren: in die Infrastruktur, die Schulen, in die Alten- und Jugendpflege, in Umweltschutz und Forschung. Dazu bedarf es einer expansiven Geldpolitik, steigender Löhne und staatlicher Konjunkturprogramme. Es ist genug Geld da, man muss es nur besser organisieren. Und wenn man meint, es gebe nicht mehr genug Arbeit, dann kann man die Arbeitszeit doch verkürzen und auf alle verteilen.
Es heißt, dass die Globalisierung eine aktive Beschäftigungspolitik immer weniger möglich mache ...
Wer das behauptet, lässt sich auf die Reservearmee-Strategie der neoliberalen Bewegung ein: Mit einem Heer von Arbeitslosen sorgen sie dafür, dass die Arbeitnehmer nicht mehr zu kämpfen wagen. Dann drosseln sie die Löhne oder diese stagnieren so, wie das zwischen 1993 und heute geschah. Zudem höhlen die Arbeitgeber auch die Mitbestimmungs- und Kündigungsschutzrechte aus.
Das Gespräch führte Dirk F. Schneider
Albrecht Müller ist Nationalökonom, Autor von Die Reformlüge und Machtwahn sowie Mit-Herausgeber der NachDenkSeiten.de.
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